Erneuerbare: Woher soll er in ausreichender Menge kommen, der grüne Strom?
Es war eine ganze Reihe von Fragen, die wir mit dem Start unseres Schwerpunktes „Neue Energien, neue Perspektiven“ aufgeworfen haben. Bekannt ist: Staat und Gesellschaft stehen vor großen Herausforderungen beim Klimaschutz. Die Datenlage der Klimaforschung spricht eine eindeutige Sprache: Wir müssen uns anstrengen, wenn wir die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens einhalten wollen. Was für die Pandemie der Impfstoff ist beim Klimaschutz der grüne Strom.
Wie viel grünen Strom brauchen wir überhaupt?
Zunächst müssen wir die Hemmnisse beseitigen, die dem Ausbau der neuen Energien im Wege stehen.
Die Antwort ist strittig. Die Vorgabe der Bundesregierung ist, wie sie jetzt selbst eingeräumt hat, keinesfalls hinreichend. Im Kreis unserer Autoren und Interviewpartnerinnen im Schwerpunkt „Neue Energien, neue Perspektiven“ gehen die Forderungen zum Teil sehr weit über die Ziele des nationalen Klimaschutzprogramms hinaus. Die Gründe dafür sind:
Wie viel CO2-Emissionen stehen uns noch zu Verfügung, um das die Vereinbarung von Paris einzuhalten? Prof. Dr. Volker Quaschning kommt im Gespräch mit uns zu dem Schluss, dass Deutschland spätestens im Jahr 2035 klimaneutral sein muss. Die Konsequenz für den Ausbau der Erneuerbaren hieße dann: Eine Vervielfachung des Angebotes von Solar- und Windstroms in den nächsten 15 Jahren. Dirk Güsewell, designierter Vorstand der EnBW AG, kommt mit dem Blick auf den Technologiestandort Deutschland ebenfalls zu Ausbauzielen, die weit über dem liegen, was in der Bundesregierung derzeit diskutiert wird.
Der Bundesverband Erneuerbare Energien sieht bis 2030 eine Lücke von ca. 100 TWh beim grünen Strom auf uns zukommen. Um diese zu schließen, bräuchten wir ein neues Strommarktdesign mit entsprechenden Anreizen.
Erneuerbare stärker ausbauen und Kohleausstieg auf 2030 vorziehen
Tendenziell sieht das auch Patrick, Graichen, Direktor Agora Energiewende so. Er fordert bis 2030 bei der Photovoltaik eine Verdreifachung der aktuell installierten Leistung auf 150 Gigawatt. Bei Windkraft an Land von aktuell 54 auf 80 Gigawatt und bei der Windkraft auf See eine Erhöhung von 8 auf 25 Gigawatt. So könnte der Kohleausstieg auf 2030 vorgezogen werden.
Wir baten in Sachen Stromlücke beim grünen Strom und Ausbautempo der Erneuerbaren auch die energiepolitischen Sprecherinnen der Bundestagsfraktionen um Auskunft. Während die Grünen hier aufs Tempo drücken, sehen weder FDP noch CDU/CSU einen durch das Pariser Abkommen oder den neuen Kurs der EU gesteigerten Handlungsdruck.
Klimaneutral geht: Mit sehr, sehr viel grünem Strom auch in der chemischen Industrie
Klimaneutralität ist kein Hirngespinst. Die chemische Industrie gehört zu den Großverbrauchern fossiler Brennstoffe. Selbst in diesem energieintensiven Industriezweig lassen sich die Treibhausgasemissionen auf Null herunter fahren. Das ist das Ergebnis einer Studie des Verbandes. Allerdings hat die Studie auch ergeben, dass der Bedarf an grünem Strom im Jahre 2050 dann bei 627 TWh liegen würde. Das ist mehr Strom als Deutschland zurzeit insgesamt verbraucht.
Weil auch andere Branchen wie die Stahl- und die Zementindustrie bei einer Abkehr von fossilen Brennstoffen gigantische Mengen grünen Stroms benötigten, bedarf die Transformation die enge Begleitung durch die Forschung.
Potentiale für Erneuerbare Energien längst nicht ausgereizt
Wir sind in der Ära Post-EEG-Förderung – weiter geht’s!
Da geht noch viel mehr. Um die Komplettumstellung unseres Energiesystems in Angriff zu nehmen, gibt es noch zahlreiche Optionen. Fast 50 Prozent unserer Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt. Nicht hinreichend bekannt ist, dass sich der Anbau von Nahrung und die solare Nutzung auf den Flächen kombinieren lassen. Das geht mit Hilfe von senkrecht aufgeständerten bifacialen Modulen. Aber auch Wasserflächen sind eine bislang noch wenig genutzte Möglichkeit. Und nicht nur Solarmodule können Schwimmen lernen. Selbst bei Offshore-Windenergie eröffnen schwimmende Anlagen ganz neue und zudem umweltschonende Perspektiven für die Tiefsee.
Melanie Peschel wies in ihrem Beitrag zudem darauf hin, dass Anlagen, die aus der 20 jährigen Förderung des EEG heraus fallen, nicht zwingend die Energieerzeugung einstellen müssen. Auch bei der Optimierung der Erzeugung ist das Ende der Fahnenstange längst noch nicht erreicht. Christiane Schatzmann fasste für uns eine Studie zusammen, aus der hervorgeht: Die Energieausbeute bei modernen Windkraftanlagen wird sich bis 2030 erneut verdoppeln!
Debatten-Abend: Neue Energien, neue Perspektiven
Klimaschutz ist aktiver Naturschutz. Dennoch kam es in der Vergangenheit insbesondere beim Ausbau der Windkraft immer wieder zu Konflikten bei einzelnen Projekten. Naturschutzverbände und Projektentwickler sind seit längerer Zeit im Gespräch, um frühzeitig Divergenzen auszuräumen. Nabu und BUND bekennen sich ausdrücklich zu einem naturverträglichen Ausbau der Windkraft.
Dieses Thema wurde neben anderen bei unserem digitalen Debatten-Abend erörtert. Für alle, die die Diskussion noch nachvollziehen wollen, empfehlen wir die Video-Aufzeichnung der Veranstaltung.