Dirk Güsewell im Interview: Wo kommen die Erneuerbaren Energien her?

Gastautor Portrait

Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
23. November 2020
Quelle: EnBW/aerodyn, Fotograf: Jan Oelker

Die sinkenden Preise und die steigende Effizienz machen die Solarenergie immer preiswerter.

Dirk Güsewell

Redaktion: Für 2023 prognostizieren Experten eine Stromlücke, weil der Ausbau der Erneuerbaren Energien in den letzten Jahren weit unter den Erwartungen blieb. Lässt sich das Ziel der Bundesregierung, 2030 einen Anteil von 65% bei der Stromerzeugung zu erreichen, einhalten?

Dirk Güsewell: Bereits 2017 ließen die Frühindikatoren erkennen, dass die Projektentwicklung bei der Windenergie in Stocken geraten würde. Diese Entwicklung hat sich dann auf dem Markt niedergeschlagen. 2019 wurden in ganz Deutschland Windkraftanlagen mit nur einem GW Leistung installiert. Das ist der geringste Zubau seit über 20 Jahren. Zum Vergleich: 2017 lagen wir bei einem Zubau von fast 5 GW. Ein Rückgang um 80 Prozent.

Aktuell in 2020 gibt es auf dem Markt eine leichte Erholung. Allerdings ist diese viel zu schwach, um auch nur annähernd die Ausbauziele der Bundesregierung zu erreichen. Stattdessen droht sich die Situation weiter zu verschärfen, weil mittlerweile sogar mehr Windkraftanlagen zurück gebaut werden als neue dazu kommen. Nach Einführung des EEG wurden in den Jahren nach 2000 jährlich Anlagen mit einer Leistung von rund 3 GW gebaut. Wenn diese Anlagen alle vom Netz gehen, weil die Einspeisevergütung nach 20 Jahren wegfällt, können wir erst ab einem Zubau von mehr als 3 GW von einem Netto-Zuwachs sprechen.

Redaktion: Wo sehen Sie Potentiale, den Ausbau der Erneuerbaren zu forcieren?

Dirk Güsewell: Die sinkenden Preise und die steigende Effizienz machen die Solarenergie immer preiswerter. Schon kommen große Solarparks ganz ohne Förderung aus. Die Fotovoltaik wird in den nächsten Jahren überdurchschnittlich wachsen.

Auch die Onshore-Windkraft hat in Deutschland das Potential, jedes Jahr um 4 bis 5 GW zuzulegen. Zieht man die Verluste von 3 GW pro Jahr durch den Rückbau alter Anlagen ab, brauchen wir jährlich eine Neuinstallation von 7 bis 8 GW Leistung, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Davon sind wir gegenwärtig Welten entfernt. Deswegen brauchen wir den Mut und Entschlossenheit von der Politik, die Kluft zwischen Klimazielen und Energiewende-Praxis zu schließen. Die Gründe für den stockenden Ausbau liegen in den langen Genehmigungszeiten, die sich seit 2018 mehr als verdreifacht haben. Seit Oktober 2019 liegt der politische Aktionsplan vom Bundeswirtschaftsministerium auf dem Tisch. Trotz weiterhin hoher Zustimmungswerte für die Windenergie in der Bevölkerung, vertagt die Politik jedoch immer wieder die notwendigen Entscheidungen.

Die größten Innovationen erwarten wir jedoch bei den Windkraftanlagen auf See.

Dirk Güsewell

Der politische Einsatz für den Windkraftausbau ist nicht nur eine umweltpolitische, sondern auch eine industriepolitische Entscheidung. Der Markt für Erneuerbare Energien ist ein globaler. Die Unternehmen erwarten auf den Heimatmärkten ein Mindestmaß an Kontinuität und Verlässlichkeit. Ansonsten orientieren sie sich um. Das sehen wir jetzt schon an den Arbeitsplätzen. Seit 2016 hat die Zukunftsbranche Wind in Deutschland inzwischen rund 40.000 Arbeitsplätze verloren. Knapp 100.000 stehen noch auf dem Spiel.

Redaktion: Der Markt der Erneuerbaren Energien war immer von Innovationen geprägt. Welche technischen Innovationen bei den Erneuerbaren werden wir in naher Zukunft sehen?

Dirk Güsewell: Bei der Fotovoltaik wird auch die nächste Generation der Zellen wieder leistungsfähiger sein. Auch beim Wind wird der Trend zu immer größeren und damit leistungsfähigeren Anlagen weiter gehen. Die nächste Generation der Windkraftanlagen wird zudem umweltverträglicher sein, weil es gelingt, Schallemissionen zu mindern.

Die größten Innovationen erwarten wir jedoch bei den Windkraftanlagen auf See. Bisher konnten Windkraftanlagen nur bei Wassertiefen von bis zu 50 Metern im Meeresboden verankert werden. Deswegen werden seit Jahren schwimmende Windkraftanlagen entwickeln. Das Potential ist enorm. Neue Länder und Meeresflächen kommen mit dieser Technik für Offshore-Windparks in Frage. Hier werden wir bald den Durchbruch erleben. Als EnBW testen wir in einer Kooperation mit einem Partner die schwimmende Anlage Nezzy² bereits mit sehr guten Ergebnissen.

Zur Person

Dirk Güsewell

Mitglied des Vorstands der EnBW Energie Baden-Württemberg AG

Person
Dirk Güsewell war nach Abschluss des Studiums der Betriebswirtschaftslehre von 1993 bis 1998 in verschiedenen Fach- und Führungsfunktionen bei der Robert Bosch GmbH beschäftigt, bevor er 1999 zur EnBW wechselte. Er war dort zunächst in verschiedenen Führungspositionen im Kraftwerksbereich tätig. Seit 2008 war Dirk Güsewell bei der EnBW für den Ausbau des Geschäftsfelds Erneuerbare Energien verantwortlich, unter anderem als Mitglied des Vorstands der seinerzeitigen Tochtergesellschaft EnBW erneuerbare und konventionelle Erzeugung AG. Nach Auflösung diverser Tochtergesellschaften im Zuge einer umfassenden Neuordnung der EnBW-Strukturen wurde er 2014 Leiter der Geschäftseinheit Erzeugung/Portfolioentwicklung. Mit Wirkung zum 1. Juni 2021 wurde Dirk Güsewell in den Vorstand der EnBW berufen. Dirk Güsewell übernimmt das Ressort „Systemkritische Infrastruktur“, das alle leitungsgebundenen Geschäfte für Strom, Gas und Wasser, die Wertschöpfungskette Gas sowie die Wachstumsfelder Telekommunikation, Innovationsmanagement und urbane Infrastrukturentwicklung umfasst.

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