Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie

Gastautor Portrait

Johannes Enssle

Landesvorsitzender des NABU in Baden-Württemberg

Johannes Enssle arbeitet seit 2006 für den NABU. Bis 2011 war er beim NABU-Bundesverband als Referent für Waldwirtschaft und Forstpolitik beschäftigt, dann wechselte er in gleicher Funktion zum Landesverband Baden-Württemberg. Im November 2016 wählten ihn die Delegierten des NABU Baden-Württemberg zum Landesvorsitzenden. Als Landesvorsitzender vertritt er die Positionen des NABU gegenüber der Politik und in der Gesellschaft. Ein besonderes Herzensanliegen ist ihm die naturverträgliche Gestaltung der Energiewende. Der gebürtige Donaueschinger studierte International Forest Ecosystem Management (B.Sc.) und Global Change Management (M.Sc.) an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung (FH) in Eberswalde und am International Agricultural College der Universität Wageningen in der Niederlande.

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10. Dezember 2020

Klimakrise und Biodiversitätsverlust sind zwei der dringendsten Herausforderungen unserer Zeit. Eine schnellstmögliche Umsetzung der Energiewende ist wesentlicher Baustein zum Erreichen der in Paris vereinbarten Klimaziele und damit auch zum langfristigen Erhalt der biologischen Vielfalt. Der Ausbau der Windenergie ist dabei Teil der Lösung, kann im Einzelfall am konkreten Standort von Windenergieanlagen (WEA) aber gleichzeitig auch zu Konflikten mit dem Artenschutz beitragen.

Innerökologische Zielkonflikte

Der Naturschutz ist daher besonders gefordert, innerökologische Zielkonflikte zu lösen. Einige aktuell diskutierte Ansatzpunkte, die aus Naturschutzsicht dazu beitragen können, einen naturverträglichen Ausbau der Windenergie zu beschleunigen, werden nachfolgend beschrieben.

Ziel dabei ist das

  • Erreichen des notwendigen Klimaschutzbeitrags durch Windenergie an Land
  • bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Natur- und Artenschutzes.

Die bestehende Rechtslage zum Artenschutz erfordert zurecht umfangreiche, zum Teil sehr langwierige Untersuchungen, durch die der Schutz von allen Individuen streng geschützter Arten bei geplanten Bauvorhaben sichergestellt wird. Der strenge Individuenschutz führt auf der anderen Seite oft zu Verzögerungen bei der Planung von WEA und auch aus Naturschutzperspektive steht der Schutz von Populationen im Vordergrund.
Kernfrage ist es nun, einen Weg zu finden, wie unter den bestehenden naturschutzrechtlichen Rahmenbedingungen der Schutz von Populationen erreicht werden und im Ausnahmefall vom individuellen Tötungsverbot abgewichen werden kann.

Die Idee dazu ist vergleichsweise einfach...

Sie beginnt mit der Forderung nach einer verbindlichen Bund-Länder-Strategie, die Strommengenziele für erneuerbare Energien inklusive der dafür nötigen Flächen definiert.

Die Länder wären dann aufgefordert, die Ausbauziele der Windenergie verbindlich sicherzustellen, indem sie die Ausbauziele festschreiben und die Flächen dafür als Vorranggebiete für die Windenergie überörtlich konkretisieren. Damit wäre jede neue WEA Teil eines übergeordneten klimaverträglichen Energieversorgungsplans. Das erleichtert die Erteilung von artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen mit dem Ausnahmegrund „öffentliche Sicherheit“.

Eine verbindliche übergeordnete Planung ist hierfür unerlässlich. Die bisherige Praxis in Baden-Württemberg, eine räumliche Steuerung der Windenergie der kommunalen Ebene zu überlassen, hat nicht zu der erhofften Beschleunigung des Windenergieausbaus beigetragen.
Nur eine übergeordnete räumliche Planung kann den Ausbau der Windenergie gezielt und konzentriert auf Flächen mit geringem Konfliktpotential lenken und das großräumige Freihalten konfliktträchtiger Räume sicherstellen. Ökologisch betrachtet, ist der Erhalt großräumiger Dichtezentren und Schwerpunkträume für Quellpopulationen für den Schutz der betroffenen Vogel- und Fledermausarten wichtiger als der kleinräumige Schutz von Einzelvorkommen in weniger geeigneten Lebensräumen. Eine Vorab-Berücksichtigung WEA-sensibler Arten in der Regionalplanung erhöht die Planungssicherheit und verkürzt Genehmigungsverfahren, da bei Konflikten eine Lösungsmöglichkeit über die Ausnahme offensteht. Das Flächenpotential für WEA wird dadurch eher erweitert als reduziert.

Konzepte für Artenschutz

Die Definition der Windvorranggebiete erfolgt auf Basis der im Windatlas ermittelten windhöffigen Flächen. Um den Schutz von Populationen windenergiesensibler Vogel- und Fledermausarten zu gewährleisten, sind deren Schwerpunktvorkommen („Dichtezentren“) bereits auf Ebene der Regionalplanung als Ausschlussgebiete zu berücksichtigen.

Gleichzeitig werden landesweite Artenhilfsprogramme für diese Arten entwickelt, durch die ein guter Erhaltungszustand der Population sichergestellt wird. Dadurch, dass die Artenhilfsprogramme auch andere Gefährdungsursachen adressieren (z. B. Landwirtschaft oder Verkehr), ist dem Artenschutz durch solche Konzepte mehr geholfen als durch die Vermeidung von Kollisionen an einzelnen Anlagen. Dass ein Monitoring die Wirksamkeit der Maßnahmen begleitet, ist selbstverständlich.

Systemwechsel als Lösung

Der Systemwechsel wäre insofern eine Möglichkeit, den seit langem geforderten Schritt vom Individuenschutz zum Populationsschutz zu schaffen und Artenschutz und Windenergie miteinander zu verbinden, denn wenn es im Einzelfall innerhalb ausgewiesener Windvorrangflächen doch noch zu einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko kommen sollte, sind die Möglichkeiten zur Anwendung der artenschutzrechtlichen Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG geschaffen.

Zugegeben, der vorgeschlagene Weg hat einen Haken: Die Umsetzung eines solchen Systemwechsels braucht Zeit. Wir werden damit am Ende aber besser und schneller vorankommen. Wie der notwendige Prozess beschleunigt werden kann, muss nun umgehend geprüft werden, damit wir uns voller Energie auf den Weg machen können.

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