Strom ist zentral für eine CO2-neutrale Chemie

Gastautor Portrait

Dr. Jörg Rothermel

VCI-Abteilungsleiter Energie, Klimaschutz und Rohstoffe

Der Diplom-Chemiker Dr. Jörg Rothermel vertritt den Verband der Chemischen Industrie (VCI). Er wurde 1960 im Saarland geboren, absolvierte das Chemiestudium an der Universität des Saarlandes und promovierte 1989. Nach einigen Jahren in der Chemischen Industrie wechselte er 1997 zum VCI. Von 2001 bis 2008 leitete Dr. Jörg Rothermel dort die Fachvereinigung Organische Chemie. Seit 2009 ist er Leiter des Bereichs Energie, Klimaschutz und Rohstoffe im Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI) und seit Mai 2014 Leiter der Abteilung Energie, Klimaschutz und Rohstoffe im Verband der Chemischen Industrie und damit Mitglied der Geschäftsführung des VCI.

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14. Dezember 2020
Co2-neutrale-chemie in einer treinhausneutralen Gesellschaft

Schon bis heute hat die deutsche Chemie für den Klimaschutz viel erreicht.

Dr. Jörg Rothermel

Eine treibhausgasneutrale Gesellschaft bis 2050 – dieses Ziel haben sich sowohl die Europäische Union als auch Deutschland auf die Fahnen geschrieben. Auch die deutsche Chemie hat sich damit auseinandergesetzt. Die Chemieindustrie gehört zu den großen industriellen Emittenten. Diese Emissionen gilt es für eine treibhausgasneutrale Gesellschaft langfristig zu beseitigen. Die Chemie kann aber aus einem weiteren Grund als Schlüsselbranche für den Klimaschutz gelten. Denn sie steht als Industrie am Beginn der Wertschöpfungsketten, somit wirkt ihre Treibhausgasbilanz stark auf nachgelagerte Branchen. Eine CO2-neutrale Chemie mit klimafreundlichen (Vor-)Produkten wäre ein großer Hebel für den Klimaschutz in fast allen Industriebranchen.

Schon bis heute hat die deutsche Chemie für den Klimaschutz viel erreicht. Zum Ziel Deutschlands, die CO2-Emissionen von 1990 bis 2020 um 40 Prozent zu senken, hat die deutsche Chemie entscheidend beitragen, indem sie ihren eigenen Ausstoß von Treibhausgasen seit 1990 bei Prozessen und im Energieverbrauch um über 50 Prozent senken konnte.

Verfahren für eine CO2-neutrale Chemie ab Mitte der 30er Jahre bereit

Auf diesem Weg möchte die deutsche Chemie weiter vorankommen. Die Branche strebt an, selbst vollständig treibhausgasneutral zu werden. Die technologischen Voraussetzungen hatte der VCI 2019 in der Studie „Roadmap 2050“ analysiert. Darin wurde festgestellt, dass das Ziel erreichbar ist. Nötig ist dazu eine Transformation der Branche durch neue Prozesstechnologien in der Basischemie. Entsprechende Verfahren könnten ab Mitte der 2030er Jahre bereitstehen, erfordern dann aber jährliche Investitionen in Milliardenhöhe. Auf dem Weg dahin steht die Branche vor großen Herausforderungen.

Es ist bekannt, dass die Herstellung chemischer Produkte sehr energieintensiv ist und schon dadurch Treibhausgasemissionen anfallen. Zudem entsteht auch in einigen chemischen Reaktionen das Treibhausgas CO2 als Nebenprodukt. Die mengenmäßig größte Quelle von Treibhausgasen der Chemie und auch den größten Innovationsbedarf gibt es beim Kohlenstoffgehalt der Produkte. Denn die organischen Chemieprodukte basieren auf Kohlenstoff, der am Ende des Produktlebens in Form von CO2 in die Atmosphäre entweicht. Diese Emissionen werden heute zum großen Teil der Abfallwirtschaft zugerechnet. Für eine Bestandsaufnahme der gesamten heutigen Emissionen der Chemie macht es aber mehr Sinn, sie auch der Branche zuzurechnen.

Fortschritte in der Kreislaufwirtschaft nötig

Der Kohlenstoff in den Produkten der chemischen Industrie verliert seine negative Wirkung für das Klima, sobald er konsequent im Kreislauf geführt wird. Denn aus einem geschlossenen Kohlenstoffkreislauf entstehen keine Emissionen mehr. Nötig für diese Kreislaufführung sind unter anderem stark verbesserte Recyclingmethoden inklusive des chemischen Recyclings, um den Kohlenstoff aus Kunststoffabfällen zurückzugewinnen. Zudem spielt der Einsatz von Biomasse eine größere Rolle, da sie als nachwachsender Rohstoff keine zusätzlichen CO2-Emissionen verursacht. Als dritter Schritt der Kreislaufführung wird auch das Treibhausgas CO2 selbst, in dem ja auch der für die Chemie nötige Kohlenstoff steckt, als Rohstoff eingesetzt.

Enormer Strombedarf

Woher kann der Strom kommen? Die Chemie wird die nötigen Mengen nicht selbst erzeugen können.

Dr. Jörg Rothermel

Nötig ist dazu allerdings eine große Menge Wasserstoff, um das energetisch träge CO2 als Kohlenstoffquelle wieder nutzbar zu machen. Im Sinne einer treibhausgasneutralen Chemie muss dieser Wasserstoff seinerseits mit Hilfe von erneuerbarem Strom hergestellt werden. Der Strombedarf, der nötig wäre, um diesen Wasserstoff in Deutschland zu produzieren, liegt allein für die deutsche Chemie bei 550 Terrawattstunden, also fast neun Mal so hoch wie der Stromverbrauch der gesamten deutschen Chemie heute. Für alle in der Roadmap untersuchten treibhausgasneutralen Verfahren der Basischemie liegt der Strombedarf 2050 sogar bei 627 TWh, etwa so viel wie die gesamte deutsche Stromproduktion heute.

Diese Zahlen zeigen schon die großen Herausforderungen und die hohen Anforderungen an die zukünftige Stromversorgung in Deutschland und Europa. Woher kann der Strom kommen? Die Chemie wird die nötigen Mengen nicht selbst erzeugen können. Zwar deckt die Chemie heute fast ihren kompletten Wärmebedarf (90 Prozent) und etwa ein Fünftel ihres Strombedarfs durch eigene Kraftwerke größtenteils auf Basis von Erdgas ab. Den größten Teil des Stroms muss die Branche aber von außen zukaufen. Und dieser Abhängigkeit von der externen Stromerzeugung wird in Zukunft weiter wachsen.

Wirtschaftlich nur mit günstigem Strom

Um die neuen Technologien wirtschaftlich zu machen, damit sie sich auch im internationalen Wettbewerb behaupten können, muss dieser Strom günstig sein. Er sollte zu etwa 4 Cent pro KWh zur Verfügung stehen. Hier sind also nicht nur die Stromerzeuger gefragt, die den Strom so günstig wie möglich produzieren müssen, sondern sicherlich auch der Staat, der zumindest die bestehenden staatlichen Aufschläge auf den Strompreis beseitigt. Zudem ist es erforderlich, dass die Infrastruktur auf diesen neuen zusätzlichen Strombedarf ausgerichtet wird. Das fordert sowohl die Übertragungsnetz- wie auch die Verteilnetzbetreiber.

Die wichtige Rolle der Energiewirtschaft schlägt sich auch in der Klimaschutzplattform Chemistry4Climate nieder, die der VCI in diesem Jahr zusammen mit dem Verein Deutscher Ingenieure VDI gegründet hat. Dort bringen Vertreterinnen und Vertreter sowohl von Netzbetreibern als auch von Energieerzeugern ihre Expertise ein. Die Plattform soll in den kommenden Jahren in mehreren Arbeitsgruppen Handlungsempfehlungen und Lösungen erarbeiten, wie die Chemie ihr Ziel einer treibhausgasneutralen Produktion in Deutschland erreichen kann.

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