Floating Offshore Wind – Einblicke in das Forschungsprojekt Nezzy²

Gastautor Portrait

Ulf Baak

Projektleiter für das Forschungsprojekt Nezzy², EnBW Energie Baden-Württemberg AG

Ulf Baak, Dipl.-Ing.(FH) Bauing.,viele Jahre national als auch international in der Bau- sowie Öl & Gasindustrie tätig. Dann 2007 Einstieg in die Offshore Windkraftbranche als Teammitglied des ersten deutschen OWP „ Alpha Ventus“. Seit 2010 für die EnBW am Hamburger Standort in z.T. leitender Funktion für die OWPs „ Baltic 2“, „Hohe See“ und „Albatros“ tätig. Aktuell Projektleiter für das Forschungsprojekt Nezzy² demonstrator 1:10 und 1:1, dass das Thema „offshore floating wind structures“ verfolgt.

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18. Januar 2021
Quelle: EnBW/aerodyn, Fotograf: Jan Oelker

Seit einigen Jahren verfolgt daher die Windbranche das Thema “Floating Offshore Wind”, um weitere Offshore Windkraftkapazitäten weltweit aufzubauen.

Ulf Baak

Die EnBW hat sich zum Ziel gesetzt, die CO₂ Emissionen in den nächsten Jahren drastisch bis zur Klimaneutralität im Jahr bis 2035 zu reduzieren. Damit wird sie einen erheblichen Beitrag zur Energiewende und zum Umweltschutz nicht nur national, sondern auch weltweit leisten. Der Geschäftsbereich Erneuerbare Energien, insbesondere auch der Bereich der Offshore Windkraft in Hamburg, soll zu diesem ambitionierten Ziel beitragen.

Realisiert wurden schon vier Offshore Windparks (“Baltic 1 und 2”. “Hohe See”, “Albatros”). Diese Windparks wurden alle nach dem Prinzip des “fixed bottom concepts” umgesetzt, d.h. alle bisherigen Turbinen wurden auf Stahlstrukturen wie Monopiles (MP) und/oder Jackets fest im Meeresboden installiert.

Dieses Prinzip ist seit Jahren in der Offshore Wind Industrie weltweit gängige Praxis, beschränkt aber den Einsatz von Windturbinen offshore. Denn da es nicht nur technische Restriktionen bezüglich der technischen Machbarkeit gibt (aktuell liegt diese bei ca. 70 m Wassertiefe), sondern auch der Schutz der Umwelt (z.B. Erhöhung der Lärmemissionen beim Rammen mit XXL Monopiles, Eingriff in den Meeresboden etc.) hier eine sehr hohe Priorität hat.

Seit einigen Jahren verfolgt daher die Windbranche das Thema “Floating Offshore Wind”, um weitere Offshore Windkraftkapazitäten weltweit aufzubauen. Die Turbinen werden aber nicht mehr auf fixed bottom Strukturen installiert, sondern auf schwimmenden Strukturen, die in wesentlich tieferen und küstenentfernteren Regionen installiert werden können und somit sehr flexibel einsetzbar sind.

Mit dieser Installationsmethodik betritt aber die gesamte Branche technisches Neuland, so dass weltweit Forschungsprojekte initiiert worden sind.

Die Hamburger EnBW Offshore Wind Niederlassung hat sehr früh die Chancen der Floating Offshore Wind Methodik erkannt und bearbeitet dieses neue Thema aktiv mit dem Forschungsbereich der EnBW. In einer Kooperation mit dem Windenergieanlagen-Designer „aerodyn engineering GmbH“, Rendsburg erprobt die EnBW ein neues Design von Aerodyn für eine schwimmende Windenergieanlage.

Design-Konzept und Messkampagne Nezzy² 1:10

In einem ersten Schritt wurde mit dem Projekt Nezzy² 1:10  in 2020 ein Demonstratoranlage im Maßstab 1:10 im Norden Deutschlands realisiert. Nach erfolgreicher Absolvierung des Demonstratorprojektes soll Nezzy² im Maßstab 1:1 in 2021 bzw. 2022 in China in Zusammenarbeit mit einem chinesischen Partner umgesetzt werden.

Struktur Nezzy² 1:10

Die schwimmende Windenergieanlage Nezzy² 1:10 besteht im Wesentlichen aus zwei leeläufigen (Lee = vom Wind abgewandte Seite) Windturbinen, einem gemeinsamen Y-förmigen, halbtauchenden Fundament und Abspannseilen, die zusammen die Gesamtstruktur bilden.

Die Schwimmfundamente sind aus einem hochfesten vorgespannten Beton hergestellt, die Auftriebskörper am Ende der Fundamente sowie die Tragstruktur für die Turbinen sind aus Metall hergestellt. Die Abspannseile können nachgespannt werden. Die Turbinen wurden custom made auch von aerodyn speziell für Nezzy² hergestellt und sind entsprechend kompakt.

Die Anlage wurde sowohl in einer 2–Blatt als auch 3-Blatt Konfiguration aufgebaut und getestet.

Das Gesamtgewicht Nezzy² 1:10 beträgt ca. 5,2 t. Der Rotordurchmesser liegt bei 15 m pro Rotor und die Gesamtbreite des Systems beträgt 30,2 m.

Die Gesamtstruktur ist mit 180 Mess-Sensoren an den Turbinen, den Schwimmfundamenten und dem Verankerungssystem bestückt.

1:10-Nezzy² Modell mit 3-Blattrotor Konfiguration

Foto: EnBW AG

Verankerung am Meeresboden

Die Anlage wird über ein sogenanntes Turretsystem, welches sich in der Öl- und Gasindustrie seit Jahren bewährt hat, verankert. Durch die Eigenschaft des Leeläufers in Kombination mit dem Turret-Verankerungssystem dreht sich die Anlage selbstständig in den Wind, eine Azimut-Steuerung (d.h. aktive Drehung der Rotorgondeln in die Windrichtung) für die Windturbinen ist daher nicht notwendig.

Das 6-kettige Verankerungssystem sorgt für die ortsfeste Positionierung der Struktur und bietet eine hohe immanente Redundanz gegen Bruch einer oder mehrerer Verankerungsketten. Als Verankerungselemente kommen auf dem Meeresboden abgesetzte Betonblöcke (je 5t Eigengewicht) zum Einsatz. Dies vereinfacht auch den vollständigen Rückbau nach Abschluss der Offshore-Tests.

Zwischen den zwei zum Land gerichteten Verankerungselementen wird eine Messboje platziert, welche mit dem Daten- und Stromkabel an Land verbunden ist und Umgebungsdaten aufnimmt.

Teststandorte

Nezzy² in Hymendorf, Baggersee

Quelle: EnBW/aerodyn, Fotograf: Jan Oelker

Nezzy² 1:10 wurde an zwei Standorten im Norden Deutschlands praktisch getestet.

Dazu wurde als erster Teststandort südlich von Bremerhaven in Hymendorf noch im Einflussgebiet der nahen Nordsee im Zeitraum von 04/20 bis 08/20 „onshore“ hauptsächlich die Nezzy² 1:10 Technologie als auch das Windnachführverhalten überwacht. D. h. es wurde grundsätzlich der Einfluss des Windes auf den Demonstrator in einer 2- und 3-Blatt Messkampagne beobachtet und gemessen.

Weiterhin wurde natürlich noch die eigentliche Technologie wie z.B. die Prozeduren der Montage, der Installation / Wasserung im See sowie der Inbetriebnahme intensiv getestet. Dazu gehörte auch der eigentliche Komponententest.

Der Standort in Hymendorf erwies sich für den Onshore-Test als gut geeignet, da das Testareal ideale Windverhältnisse bot und der erste Test in noch relativ „ruhigen“ Gewässern absolviert werden konnte.

Nachdem der Test in Hymendorf beendet war, wurde mit Nezzy² 1:10 der eigentliche Offshore-Test im Zeitraum von 09/20 -11/20 im Greifswalder Bodden / Ostsee in ca. 650 m Distanz zur Küste durchgeführt.

Nezzy² unter realen harschen Offshore Bedingungen im Greifswalder Bodden / Vierow

Quelle: EnBW/aerodyn, Fotograf: Jan Oelker

Das Nezzy² 1:10 Projektteam konnte dabei die günstig gelegenen Hafenbereiche zum Offshore Standort der Hafen Vierow GmbH freundlicherweise nutzen.

Ziel der Offshore Messkampagne war es nun, die Kombination aus Wind, Welle und Strömung auf die Gesamtstruktur von Nezzy² in einer 3-Blattkonfiguration zu testen.

Lessons learned aus der Messkampagne in Hymendorf wurden in der Messkampagne in Vierow umgesetzt, so dass Nezzy² mit leichten Modifikationen am Offshore Standort nun ausgiebig getestet wurde.

Der Standort in Vierow erwies sich wie Hymendorf auch als idealer Standort für die Messkampagne, da nun unter realen Offshore Bedingungen Daten erhoben  werden konnten. Dabei hatte das Projektteam aber noch direkten Sichtkontakt zu Nezzy² hatte und nicht nur via Mess-Sensorik Kontakt.

Messkampange für Nezzy² 1:10 in Hymendorf und Vierow

Bevor Nezzy² 1:10 in Hymendorf und in Vierow installiert wurde, hat man die Gesamtstruktur in aufwendigen Simulationen für beide Standorte berechnet. Mit den durch die Messkampagne an beiden Standorten generierten Messdaten zum dynamischen Verhalten der Gesamtstruktur sollten die Simulationen für die 2- und 3- Blattkonfiguration nun verifiziert werden.

Der Umfang der Messkampagne stellte sich wie folgt dar:

  1. Wie schon vorab beschrieben sollten weiterhin der Windeinfluss (Hymendorf) und die Kombination aus Wind/Wellen und Strömung (Vierow) getestet werden.
  2. Test von verschiedenen Yaw-Controllern mit Optimierung verschiedener Einstellungen
  3. Test des Verankerungssystems
  4. Schwimmstabilität im Betrieb und in geparkter Konfiguration in Bezug auf die Windnachführung
  5. Systemverhalten bei Abschaltprozedur von einer und beiden Turbinen
  6. Test von Montage- und Installationsprozeduren

Bisherige Messergebnisse Nezzy² 1:10

Die Messkampagnen wurden an beiden Standorten erfolgreich ohne größere Störungen beendet.

Das ist umso mehr bemerkenswert, da es sich um Nezzy² 1:10 um einen Prototypen handelt und die komplette Messsensorik zum ersten Mal eingesetzt wurde. Die Anlage ist qualitativ hochwertig hergestellt, es gab keine „bottlenecks“, die im Projekt nicht gelöst werden konnten, da die Messdatenbearbeitung und -analyse laufend geschah.

Aktuell wird ein Abschlussbericht auf Grundlage der Messkampagne von aerodyn für Nezzy² 1:10 erstellt, der umfassend die Messdaten analysiert und natürlich weitere Erkenntnisse für das Design von Nezzy² 1:1 bringen soll. Die erste Sichtung der Messdatenergebnisse noch im laufenden Projekt erschien bisher als sehr vielversprechend und in guter Übereinstimmung mit den Simulationsergebnissen:

  • Nezzy² 1:10 Demonstrator konnte in Volllast und ohne Fehler über alle Messzyklen betrieben werden
  • Alle 180 Sensoren des Datenerfassungssystems funktionierten einwandfrei
  • Hydrodynamisches Verhalten unter allen Lastfällen konnte erfolgreich getestet werden
  • Hohe Schwimmstabilität mit niedrigen Beschleunigungen, stabil beim Rollen: ±2,5 °
  • Ruhiges Schwimmverhalten im skalierten Hurrikan im Oktober 2020 (3 m Welle, Windstärke 9)

Ausblick Nezzy² 1:1

Nezzy² 1:1 mit CrewTransferVessel (CTV), Länge ca. 30m

Grafik: EnBW AG

Aktuell befindet sich Nezzy² 1:1 noch in der Designphase, ein erster wichtiger Meilenstein konnte für das Projekt in 2020 aber erreicht werden. Der Zertifizierer DNV-GL hat für das Nezzy² 1:1 das wichtige „Statement of Feasibility“ Dokument ausgestellt, d.h. dass der Zertifizierer die technische Machbarkeit bestätigt hat.

Dieses Zertifikat hat insofern erhebliche Projektrelevanz, da nun darauf aufbauend das Design weitergeführt wird, sowie Erkenntnisse daraus aus dem kleineren Maßstab einfließen und wichtige Schritte wie das load assessment, das hydro-statische design, structural design sowie weiteres detail engineering nun verstärkt fortgesetzt werden konnten.

Der Nezzy² 1:1 Prototyp soll voraussichtlich nach Abschluss der Design-Phase (2021) in 2022 in China offshore getestet werden.

Dimensionen der Anlage: ca. 9000 t Eigengewicht, 7,5 MW pro installierte Turbine, Abmessungen ca. 120 m x 138 m

Fazit

Mit den Demonstrationsprojekten Nezzy² 1:10 und 1:1 hat sich die EnBW eine neue Technologie der Floating Offshore Wind Methodik erschlossen, die neben den EnBW fixed bottom Projekten, die schon im Betrieb sind bzw. noch projektiert werden, einen erheblichen Beitrag zur CO2 -Neutralität in 2035 leisten kann und wird.

Floating Offshore Wind hat eine Vielzahl von Vorteilen. Weitere interessante Floating Offshore Wind Strukturen, die aktuell in der Branche vorgestellt werden, werden schon jetzt vom Hamburger EnBW Offshore Team weiter auf technische Machbarkeit evaluiert.

Nezzy² 1:10 war erst der Anfang. Ein erster Schritt in Richtung Floating Offshore Wind und damit auf dem Weg zur CO2 -Neutralität der EnBW.

Diskutieren Sie mit

  1. Tarribo

    vor 2 Jahren

    Da hat einer das Prinzip nicht verstanden. Die Wassertiefe ist z.B. irrelevant. Und die Stabilität bekommt Nezzy durch die Abspannung. Das Funktioniert bei Schiffsmasten, bei Brücken und bei Windkraftanlagen genauso. Und da die Rotoren Leeläufer sind, kommen sie sich mit den Stahlseilen auch nicht ins Gehege. Ich glaube dennoch, dass es weniger anfällige Prinzipien gibt. Aber funktionieren wird Nezzy trotzdem...

  2. james

    vor 3 Jahren

    Hallo, auch ich als Laie erkenne sofort das dieses Projekt niemals aus physikalischen Gründen über die Testphase hinaus kommen wird. Es ist kein stabiles stationäres Fundament als Verbindung zu den Rotoren gegeben, sondern nur mit aufliegenden Betonklötzen an Seilen nach oben. Bei schon 100m Wassertiefe + 100m Anlagenhöhe über Wasser sind extreme Schwingungen der Anlage bei Starkwind/Wellen garantiert und die Anlage zerlegt sich von selbst. Viel Spass den Investoren.

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