Höchste Eisenbahn für mehr Wind- und Solarenergie

Gastautor Portrait

Dr. Julia Verlinden

Sprecherin für Energiepolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Dr. Julia Verlinden ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie sitzt im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und ist Sprecherin für Energiepolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Verlinden studierte Umweltwissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg und promovierte 2012 über Energieeffizienzpolitik. Von 2006 an arbeitete sie als Wissenschaftlerin im Umweltbundesamt, zuletzt als Leiterin des Fachgebietes Energieeffizienz. Mehr auf www.julia-verlinden.de Foto: Rainer Kurzeder

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30. November 2020

Das Wort haben die Energiepolitiker*innen.
Eine Anmerkung der Redaktion

Wie geht es weiter mit der Energiewende? Wenn alle von der Sektorkopplung reden, Millionen Pkw elektrisch fahren, nicht mehr mit Öl und Gas, sondern mittels Wärmepumpe oder Wasserstoff geheizt werden soll, dann brauchen wir viel mehr grünen Strom. Wir brauchen grünen Strom auch, um die Prozesse in der Industrie zu dekarbonisieren. Und dieser Wechsel – von fossil auf erneuerbar – muss schnell geschehen, denn sonst lässt sich die Verpflichtung aus dem Pariser Klimaabkommen nicht einhalten. Dort haben die Nationen sich festgelegt, „den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur deutlich unter 2°“ zu begrenzen.

Wir haben die energiepolitischen Sprecher*innen der Fraktionen im Deutschen Bundestag gefragt, woher er kommen soll, der grüne Strom? Konkret wollten wir wissen:

  • Wie hoch wird der Strombedarf 2030 sein?
  • Wie viel erneuerbaren Strom brauchen wir, um die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten?
  • Ist es opportun, große Mengen Energie (als Strom oder als Wasserstoff?) zu importieren? Aus Europa? Aus Afrika?

Wir bedanken uns für die Gastbeiträge, die uns als Antwort auf unsere Anfrage erreichten. Heute schreibt Dr. Julia Verlinden, MdB, Bündnis 90/Die Grünen.

Höchste Eisenbahn für mehr Wind- und Solarenergie

Um die Grundlage für eine klimagerechte und nachhaltige Wirtschaftsweise in Deutschland zu schaffen, muss unser Energiebedarf so schnell wie möglich zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien gedeckt werden. Dabei ist ein sparsamer und effizienter Umgang mit Energie entscheidend: Je weniger Energie insgesamt benötigt wird, desto schneller und einfacher lässt sich der Bedarf vollständig erneuerbar decken. Die Senkung des Energieverbrauchs muss daher fester Bestandteil der Energiewende sein.

Trotz Energieeinsparung und mehr Energieeffizienz ist klar, dass der Bedarf an Ökostrom steigt. Denn in den Bereichen Verkehr, Wärme und Industrie kommt mit Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen oder grünem Wasserstoff zunehmend sauberer Strom zum Einsatz, um Öl und Erdgas zu ersetzen. Diese Entwicklung blendet die Bundesregierung in ihren Szenarien für den Ausbau Erneuerbarer Energien bisher völlig aus.

EEG-Novelle muss Weichen stellen

Bis 2030 muss sich die Ökostrom-Menge gegenüber heute verdoppeln, um Deutschland auf Klimakurs zu bringen.

Dr. Julia Verlinden

Bis 2030 muss sich die Ökostrom-Menge gegenüber heute verdoppeln, um Deutschland auf Klimakurs zu bringen. Dafür ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) weiterhin der richtige gesetzliche Rahmen, der Ländern, Kommunen und Branche Planungs- und Investitionssicherheit geben kann. Die anstehende Novelle des EEG bietet die Chance, den Ausbau zu beschleunigen und mehr Klimaschutz zu erreichen. Doch die Bundesregierung scheitert mit ihrem Entwurf an dieser Aufgabe. Sie bleibt auf Bremserkurs.

Dabei haben wir keine Zeit mehr zu verlieren. Schon jetzt ist klar, dass die europäischen Klimaziele bis 2030 angehoben werden, um auf den Pariser Klimapfad zu kommen. Das bedeutet auch für Deutschland mehr Anstrengungen. Der Ausbau insbesondere der Wind- und Solarenergie muss einen regelrechten Schub bekommen. Das haben zuletzt u.a. die Studien zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von Fridays for Future und der Agora Energiewende bestätigt.

Schub für Erneuerbare notwendig

Schon vom nächsten Jahr an muss sich der Neubau von Solarkraftwerken gegenüber 2019 verdreifachen. Bei der Windenergie ist sogar mindestens eine Verfünffachung notwendig. Mit jedem Jahr, um das sich die Beschleunigung des Erneuerbare-Ausbaus weiter verzögert, wird der Bedarf größer. Entscheidend für den klimagerechten Ausbau sind mindestens drei Stellschrauben:

Erstens müssen die jährlichen Ausbauziele deutlich erhöht und in der Folge die Mengen in den Ausschreibungen für Wind- und Solarenergieanlagen nach oben angepasst werden. Das große Interesse an den letzten Solarausschreibungen zeigt, dass eine Ausbauoffensive der Erneuerbaren möglich wäre. Nur mit einer klaren Perspektive für den Erneuerbaren-Markt werden Unternehmen in Produktion und Personal investieren.

Pionier-Anlagen retten

Zweitens muss nicht nur eine Anschlussregelung für Solaranlagen aus den ersten Tagen des EEG her, sondern auch eine für Windräder, die nach 20 Jahren Laufzeit aus der EEG-Finanzierung ausscheiden. Wenn hier nicht schnell etwas geschieht, droht ein massenhafter Rückbau von funktionsfähigen Anlagen und unterm Strich sogar ein Rückgang der Windenergie insgesamt.

Eine Mindestvergütung für Altanlagen ohne zusätzliche Bürokratie ist hier ein guter Ansatz. Denn coronabedingt ist der Börsenstrompreis im Keller, das reicht derzeit für viele Anlagen nicht, um Kosten für Wartung und Betrieb zu decken. Eine befristete Auffangprämie wäre eine wichtige Überbrückung. Zusätzlich bedarf es eines schlüssigen Konzepts für großflächiges Repowering von Windrädern, also den Ersatz alter Anlagen durch neue, leistungsstärkere. Vereinfachte Genehmigungsverfahren sind dafür ein wesentlicher Baustein.

Beteiligung erleichtern, Unterstützung sichern

Energiewende im Schneckentempo können wir uns nicht länger leisten – weder klima- noch industriepolitisch.

Dr. Julia Verlinden

Drittens müssen die großen Chancen der Bürgerenergie endlich ergriffen werden. Viele wollen bei der Energiewende mitmachen und investieren, aber die Regierungskoalition erschwert das an allen Fronten. So untergräbt sie die große Unterstützung, die es für Erneuerbare Energien im Land gibt.

Bei der direkten Nutzung der Solarenergie vom eigenen Dach muss Deutschland bereits mit der anstehenden EEG-Novelle die Vorgaben der EU für bessere Bürgerbeteiligung umsetzen. Danach sollen mindestens alle Anlagen bis 30 Kilowatt Leistung beim Verbrauch von selbst produziertem Strom von Umlagen befreit werden.

Auch beim Mieterstrom halten nach wie vor unnötige bürokratische Hürden Unternehmen und Genossenschaften von Investitionen ab. Es ist Aufgabe der Regierung, diese Art der nachbarschaftlichen Stromversorgung endlich einfach und wirtschaftlich zu machen. Dann kommt die Energiewende auch in den Städten schneller voran.

Energiewende-Motor anschmeißen

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz war einmal ein kraftvoller Motor der Energiewende. Rot-Grün hat dieses Gesetz vor 20 Jahren auf den Weg gebracht und damit die Erfolgsgeschichte der Erneuerbaren gestartet. Wir brauchen jetzt eine EEG-Novelle, die an diese Erfolge anknüpft und Deutschland auf Klimakurs bringt. Energiewende im Schneckentempo können wir uns nicht länger leisten – weder klima- noch industriepolitisch.

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