War Watt? CO2-Zertifikatehandel von EU auf Eis gelegt

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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30. Oktober 2014
Energiewende aktuell

Der Held aus Sten Nadolnys Roman “Die Entdeckung der Langsamkeit gab beim jüngsten EU-Klimagipfel den Takt vor: Der Beschluss einer 40%-igen Reduktion des CO2 im Zeitraum 1990 bis 2030 setzt ein deutliches Signal der Entschleunigung in einer hektischen Zeit, beim Klimaschutz kommt er aber einem Offenbarungseid nahe. Entsprechend negativ waren die ReaktionenVon den Medien wenig beachtet blieb der Umstand, dass die EU so ganz nebenbei ihr zentrales politisches Instrument, den CO2-Zertifikatehandel, vorerst aufs Eis gelegt hat.  

Die Klimaretter suggerieren mit der Überschrift „EU-Gipfel setzt auf Emissionshandel“, dass das stumpfe Schwert mit den Beschlüssen von Brüssel geschärft worden sei. Der Artikel gibt dann die ernüchternden Fakten richtig wieder:

  • Der jährliche Faktor, um den die Obergrenze für die maximal zulässigen Emissionen gesenkt wird, wird von 1,74 % auf 2,2 % angehoben – aber erst ab dem Jahr 2021!!
  • Das System der kostenfreien Zuteilung von Emissionsrechten bleibt erhalten – auch nach 2021 (Punkt 2.4. des Beschlusses)

Heute liegt der Preis für eine Tonne CO2 an der EEX bei 6,26 €. Bei derartig niedrigen Kohlehalde_HLBEmissionskosten kann der CO2-Zertifikatehandel in der EU nicht die gewünschte Steuerungsfunktion entfalten; dieser traurige Umstand wird mit den Beschlüssen von Brüssel nun auf Jahre hinaus zementiert. Nötig wäre, den Emissionshandel flexibler zu gestalten und die CO2-Zertifikate mit Preisober- und Untergrenzen zu versehen, denn nur so kann die Menge der Zertifikate je nach Konjunktur- und Witterungseinflüssen gesteuert werden. Ein Preis in der Größenordnung von 30 Euro je Tonne CO2 würde insbesondere die – derzeit konkurrenzlos günstige – Verstromung der Braunkohle in eine Wettbewerbssituation bringen, in der die Preise die ökologische Wahrheit sagen. Eine so langfristig angelegte Strategie der gezielten Dekarbonisierung würde nicht nur die Erneuerbaren bevorzugen und die festen Einspeisevergütungen in Zukunft überflüssig machen, sondern auch Innovationen und Investitionen in Energie- und Ressourceneffizienzmaßnahmen beflügeln.  

Wenn gezielte ökologische Interventionen ausbleiben, steuert Deutschland auf eine Dualität bei den Energieträgern zu: Erneuerbare und Kohle. Das war nicht der Plan einer Energiewende, die den Ausstieg aus der Atomenergie mit einer Reduktion der Treibhausgase koppeln wollte. Situation paradox, meint die taz: Trotz eines stetig steigenden Anteils der Erneuerbaren in der Stromproduktion sinken die CO2-Emissionen nicht.  

Erzeugungstechnisch passen Erneuerbare und Kohle zusammen wie die Kuh und das ARTIS-Uli Deck// 11.10.2014 EnBW RDK8, RDK 8, Tag der offenen Tuer und offizielle InbetriebnahmeKlavier. Sonnen- und Windenergie brauchen flexible Partner im Erzeugungsmix. In der neuen Energiewelt bewegen sich Kohlekraftwerke aber ähnlich elegant wie Dieselloks im Hindernisparcours – mal abgesehen von hochmodernen Anlagen wie dem RDK 8. Derweilen stehen effiziente Gaskraftwerke, die bei gleicher Leistung nur ein Drittel der Emissionen von Braunkohlekraft emittieren, immer länger still. Ohne einen funktionierenden CO2-Zertifikatehandel werden sie weder ihre Betriebsstunden nennenswert erhöhen können, noch können notwendige Investitionen in neue Kraftwerke zur Begleitung der Energiewende und Gewährleistung der Versorgungssicherheit getätigt werden.

Rückwärts voran: Severin Fischer hat nicht zu unrecht Osteuropa als Bremser in der EU-Klimapolitik identifziert. Aber auch über die deutsche Rolle beim EU-Klimagipfel ist zu reden: Einst waren wir die Musterknaben des Klimaschutzes und konnten – mit weit reichenden nationalen Beschlüssen sowie einer vorzeigbaren Statistik bei der Reduktion der Treibhausgase im Rücken – international überzeugend auftreten. Diese Rolle haben wir verloren. Die weiße Weste des Klassenprimus in der Umweltpolitik hat Flecken bekommen. Selbst die Tageszeitung Die Welt, unverdächtigt ein PR-Instrument der Umweltorganisationen zu sein, titelte: Bundesregierung scheitert am Klimaschutz.

Als Zuchtmeister in Europa generieren wir uns nur in der Disziplin des ausgeglichenen Haushaltes, beim Klimaschutz verspielen Merkel, Gabriel und Co. erworbenes Vertrauen und Kredit und verlieren an Einfluss auf die Energie-, Klima- und Umweltpolitik in der EU. Auf dem Weltklimagipfel 2015 in Paris wird sich Deutschland zurück halten müssen. Wer seine Hausaufgaben nicht erledigt, ist als Ratgeber nicht gefragt.
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In der Reihe „War watt?“ erschienen zuletzt:
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  1. Windmüller

    vor 10 Jahren

    Nachdem ich mich seit 20 Jahren im Bereich erneuerbarer Energien engagiere, habe ich festgestellt, dass Veränderung nur über die "Graswurzelmethode" möglich ist.
    Politik oder gar EU reagieren nur auf Druck. Da muss der Bürger schon selber aktiv werden, und Veränderung von unten schaffen.

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