War watt? Der Traum von der dezentralen Energiewende

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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09. Oktober 2014
Energiewende aktuell

„Deutschlands größte Gemeinschaft zur Umsetzung der dezentralen Energiewende“, so nennen sich die Energieblogger. Es ist eine schöne Vorstellung: Strom wird dort erzeugt, wo er verbraucht wird. Erneuerbare Energieanlagen speisen ins Nieder- und Mittelspannungsnetz ein, um die regionale Wirtschaft und die Haushalte zu versorgen. Überschüssiger Strom geht in vernetzte Speicheranlagen und wird abgerufen, wenn in der Dunkelheit Windflaute herrscht.

GrügerDer Traum von der dezentralen Energiewende ist so mächtig, dass er neue Koalitionen gebärt. Weil die dezentrale Energiewende keine teueren neuen Trassen benötigt, sind sich Bayerns Ministerpräsident Seehofer und der Verband Eurosolar in der Ablehnung der SuedLink-Trasse einig, die den Windstrom aus dem Norden nach Bayern transportieren soll.
Überflüssig sei die Trasse, meinen unisono die Verfechter der dezentralen Energiewende, weil sie nur dazu diene, den dreckigen Braunkohlenstrom im Süden zu vermarkten. Über das Für und Wider des Netzausbaus streiten sich die Experten. Fakt ist: Schon jetzt übertreffen die Windkraftkapazitäten, die vor allem im Norden angesiedelt sind, das Erzeugungspotential der Braunkohle um fast das Doppelte (ca. 35 GW zu 19 GW). Mittelfristig wird in windstarken Stunden die Menge an Windstrom den Strom aus Braunkohle um das drei- bis fünffache übersteigen. So warnte auch die Deutsche Umwelthilfe mit guten Argumenten vor einem Scheitern der Netzausbaupläne: „Ohne neue Stromtrassen scheitert die Energiewende.“

Wie realistisch ist der Traum von der dezentralen Energiewende?
Im Süden scheint häufiger die Sonne, im Norden weht der Wind stetiger und heftiger. Eine Studie der Stiftung 100% Erneuerbare schickt sich an, der letzten Aussage zu widersprechen. Und in der Tat gibt es Standorte in den deutschen Mittelgebirgen, die es mit der Windhöffigkeit, die bezeichnet das durchschnittliche Windaufkommen im Jahr, von küstennahen Gebieten aufnehmen können. Leider hat die Studie weder die Größe dieser 640px-SolarGIS-Solar-map-Germany-deGebiete erfasst noch genauer untersucht, welche Standorte naturschutzrechtlich in Betracht kommen. Schon ein Blick auf die Zahl der Einwohner hätte genügt, um festzustellen, dass die windreichen Gebiete im Norden unserer Republik eine viel geringe Bevölkerungsdichte ausweisen als der Süden. In Baden-Württemberg wohnen 297 Einwohner pro km², in Sachsen-Anhalt nur 110. Keine Frage, Länder wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen haben den Ausbau der Windkraft planungsrechtlich mit allen Mitteln verhindert; in Sachsen ist es noch heute so. Aber selbst eine planungsrechtlich einheitliche Grundlage in Deutschland hätte nicht für eine gleichmäßige Verteilung der Anlagen über die Republik gesorgt, dafür sind die Bedingungen zu unterschiedlich.
Zusätzliche Malaise: Auch die Off-Shore Standorte liegen in Deutschland vor den Küsten im relativ dünn besiedelten, industrieschwachen Norden.
Für eine dezentrale Energiewende wäre es nicht hinreichend, wenn in den industriestarken Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg (hier wird ein Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet!) ähnlich viel Erneuerbare Energie erzeugt würde wie in Niedersachsen und Schleswig Holstein. Analog zum Energieverbrauch müsste für die Realisierung der dezentralen Energiewende in diesen beiden Bundesländern eine überproportionale Erzeugung von EE-Strom stattfinden. Das ist alles andere als realistisch. Die Ziele der Bundesländer sehen beim EE-Strom für 2020 einen Anteil von 36% für Baden-Württemberg und von 54% für Bayern vor.  2020 In Schleswig-Holstein wird dann der Anteil bei 168% liegen, in Brandenburg bei 135%.
DenaNetzausbau
Der Ausstiegsplan aus Kohle und Kernkraft von Greenpeace weist für die nahe Zukunft 2.000 Windräder auf See aus, die einen Großteil des Braunkohlestroms ersetzen könnten. Aber auch dieser Strom muss zu den Verbrauchern und die sitzen in der großen Masse im Süden der Republik.

Ist die dezentrale Energiewende zum Scheitern verurteilt?
Mir persönlich, das sei angemerkt, kommt es in erster Linie darauf an, dass die Energiewende statt findet, dass sie erfolgreich und sozial ebenso wie wirtschaftlich tragfähig ist. Denn nur so wird sie zu einem Exportschlager. Nur eine globale Energiewende wird die Herausforderungen des Klimawandels und der Ressourcenverschwendung bestehen. Eine gleichmäßig dezentrale Energiewende, wie sie Eurosolar Vorstandsmitglied Stephan Grüger in seinem Tweet fordert, ist eine Inszenierung, die wegen Realitätsferne nicht zur Aufführung gelangen kann.
Darüber hinaus ist es mehr als sinnvoll, Energie verbrauchsnah zu erzeugen. Das entlastet die Netze, ist effizient, weil Transportwege gespart werden, stärkt Eigenverantwortung und Bürgerbeteiligung. Unsere Siedlungsstruktur, die Verteilung der Wirtschaftszonen, die um mehr als 20% differierende Sonneneinstrahlung über Deutschland und die ungleichmäßge Verteilung der guten Windstandorte setzen einer dezentralen Energiewende Grenzen.
WindInstalliert

Jüngst hatte eine Studie im Auftrag der Agora Energiewende darauf hingewiesen, dass die Energiewende nicht auf die Entwicklung großer Speicher warten muss, sondern dass es ökonomisch in der nächsten Ausbaustufe bis 2030 rentabler sei, sich stärker mit den europäischen Netze zu verflechten. Außerdem, so die Studie, könnten intelligent verbundene kleinere Speicher preiswerter das System stabilisieren.

Dezentral oder europäisch? Wie soll die Energiewende umgesetzt werden?
Ich glaube, die Energiewende muss beides sein: So dezentral wie möglich und ökonomisch sinnvoll ist und gleichzeitig sehr europäisch, weil wir so die Netze stabil bekommen und als starker Wirtschaftsraum ein Zeichen der Nachhaltigkeit setzen.

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