Die Klimakrise spitzt sich zu. Ein Zeitalter der Unsicherheit beginnt.

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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20. Juli 2022

Als die Weltgemeinschaft in Paris beschloss, die Erwärmung auf deutlich unter 2° Celsius zu beschränken, keimte Hoffnung auf. Ist die Menschheit kollektiv in der Lage, sich auf einen Pfad der Vernunft zu begeben? Aus heutiger Sicht müssen wir diese Frage mit einem eindeutigen Nein beantworten. Das Paris Agreement teilte das Schicksal von zahlreichen Absichtserklärungen zuvor und blieb ein Text, dem zu wenige Konsequenzen folgten. Solche Untätigkeit ist messbar in steigenden Emissionen. Sie erreichten in 2021 den neuen Höchststand von 36,3 Milliarden Tonnen. Entsprechend erhöhte sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf aktuell 419,78ppm. https://keelingcurve.ucsd.edu/ Dermaßen angetrieben beschleunigte sich der Klimawandel 2019, so dass wir jetzt über eine Klimakrise reden müssen, die längst in Deutschland spürbar ist.

Klimakrise verschärft weltweit die Unsicherheit

Wie schon in den Jahren zuvor begann der Sommer in Deutschland Wochen vor dem meteorologischen Beginn am 21. Juni. Frühlingstemperaturen von fast 40 Grad markieren einen neuen Rekord.

Deutschland erwärmt sich stärker als andere Regionen der Welt, hat aber auf Grund seiner Lage in einer gemäßigten Klimazone noch vergleichsweise wenig unter der Zunahme der Wetterextreme zu leiden. Angesichts der Katastrophe im Ahrtal, der zunehmenden Dürre und dem Hitzestress, der eine rapide Zunahme von Krankheiten und Todesfällen bedingt, mag diese Einschätzung zynisch klingen. Doch die Länder des Mittelmeerraumes und des subtropischen Gürtels trifft die Klimakrise ungleich härter. Die Hitzewelle in Pakistan und Teilen Indiens begann bereits im April und führte in diesem Monat zu einem Temperaturrekord von 49°. In der Poebene Norditalien droht wegen Wassermangels ein großflächiger Ernteausfall. In Kansas starben 2.000 Rinder bei Temperaturen von 40° und nur wenig abkühlenden Nächten an Hitzestress.

Das Horn von Afrika erlebt die schlimmste Dürre seit vier Jahrzehnten. 89 Millionen Menschen in der Region gelten laut Welternährungsprogramm als „akut ernährungsunsicher“. 172 Millionen US-Dollar werden laut FAO benötigt, um eine Hungerkatastrophe abzuwenden.

Wetterextreme eindeutig von Menschen verursacht

Extreme Ereignisse, die wir sehen, spüren und von denen wir lesen, sind Wetterphänomene, zufällige meteorologische Konstellationen. Klimawissenschaftler untersuchen in sogenannten „Attributionsanalysen“, ob solche extremen Wettereignisse häufiger auftreten. Eine gerade erschienene Meta-Analyse einer renommierten Forschergruppe kommt zu dem Ergebnis, dass Häufigkeit und Intensität von Extremen zunehme. Bei extremer Hitze steigt die Wahrscheinlichkeit des Eintretens um das Mehrfache an: „Eine Hitzewelle, die im vorindustriellen Klima in einem bestimmten Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 50 aufgetreten wäre, tritt jetzt 4,8 Mal häufiger auf und ist 1,2 °C heißer. Bei 2 °C Erderwärmung tritt sie 13,9 (6,9–16,6) mal häufiger auf und wird 2,7 °C wärmer.“

Anders hingegen verläuft die Entwicklung bei tropischen Stürmen. Hurrikane, Taifune oder Zyklone treten im Vergleich zur vorindustriellen Zeit seltener auf. Nach einer wissenschaftlichen Auswertung des vorliegenden Datenmaterials sank die jährliche Anzahl von Tropenstürmen im 20. Jahrhundert im Vergleich zum vorindustriellen Ausgangswert 1850–1900 um ca. 13 %. Anders als Laien vermuten, ist dieses Ergebnis für die Forschung ebenso wenig eine Überraschung wie die Zunahme der Stärke.

Brasilien, die Klimakrise und das Fleisch

Entwaldung, Klimankrsie

Die Entwaldung schreitet weltweit fort

Geringere Niederschläge und extreme Dürreperioden bedrohen nicht nur Fichten, Kiefern und auch die Laubbäume Mitteleuropas, sondern auch die tropischen Baumarten im Amazonas-Regenwald.

75 Prozent des Waldes haben an Widerstandskraft eingebüßt. Im Urwald droht ein Waldsterben. Eine aktuelle Studie in nature climate change warnt, dass der brasilianische Dschungel seinen Kipppunkt bald erreicht haben könnte.

Beschleunigt wird diese Entwicklung durch die von der Regierung Bolsonaro unterstützte Abholzung des Waldes, die in diesem Jahr einen neuen Höchststand erreicht hat. Selbst Schutzgebiete sind betroffen und werden für Landwirtschaft und Bergbau genutzt.

Klimakrise plus die politisch gewollte Entwaldung setzten dem Ökosystem so stark zu, dass es seine Funktion als Regenwald verlieren könnte. Tropische Regenwälder mit einer großen Fläche und dichtem Pflanzenbewuchs verdunsten so viel Wasser, dass der Wasserdampf aufsteigen kann, sich daraus Nebel und Wolken bilden, die dann wiederum abregnen. Wird dieser Kreislauf gestört, weil das Gebiet zu klein wird, geht der Wald unrettbar verloren. 

Brasilien sägt nicht nur am eigenen Ast. Der Verlust des Amazonaswaldes würde das Klima weltweit beeinflussen. Statt den Regenwald zu opfern und weiter Viehfutter für den Weltmarkt anzubauen, wäre die Abkehr von der Fleischwirtschaft der richtige Weg, um die Klimaerwärmung zu dämpfen. Eine Studie der University of California hat untersucht, welche Auswirkungen der globale Verzicht auf Viehzucht und die Wiederbewaldung der Futterflächen hätte. Das erstaunliche Ergebnis: Ein über 15 Jahre laufender Ausstieg würde die Treibhausgase deutlich reduzieren. „Der Rückgang von Methan- und Lachgas sowie die Umwandlung von 800 Gigatonnen (800 Milliarden Tonnen) Kohlendioxid (CO₂) etwa in Wald und Bodenbiomasse hätten bis 2100 die gleiche positive Wirkung auf die Erderwärmung wie eine Senkung der jährlichen weltweiten CO₂-Emissionen um 68 Prozent.“

Patient Meer gehört auf die Intensivstation

Obwohl das Problem seit Jahrzehnten bekannt ist, nimmt die rücksichtslose Plünderung der Weltmeere zu.

Hubertus Grass

Den Meeren geht es dreckig. Und die Folgen sind dramatisch. Hochgradig gefährdet sind weltweit die Korallenriffe, die unzähligen Art von Meeresbewohnern als Kinderstube dienen. Das größte und artenreichste von ihnen, das Great Barrier Reef vor der Nord-Ost-Küste Australiens, durchleidet derzeit die sechste Korallenbleiche seit 1998. Anderen Riffs in den anderen Meeren geht es nicht besser. Überall die gleichen Ursachen: Versauerung des Wassers und steigende Wassertemperaturen.

Wie auch dem Wald droht dem Ökosystem Meer Gefahr von zwei Seiten. Neben dem Klimawandel gefährdet die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen dessen Generationsfähigkeit. Obwohl das Problem seit Jahrzehnten bekannt ist, nimmt die rücksichtslose Plünderung der Weltmeere zu. Mehr als ein Drittel aller Fischbestände sind überfischt, so der Fischereibericht der Welternährungsorganisation (FAO).

Wissen Sie, was ein „Blob“ ist? So nennen Wissenschaftler in den Ozeanen auftretende Hitzewellen. Der größte Blob wurde über drei Jahre von 2019 bis 2021 im nordöstlichen Pazifik beobachtet. In dem fast drei Millionen Quadratkilometer umfassenden Gebiet lag die Wassertemperatur sechs Grad über dem langjährigen Durchschnitt. Diese Hitzewelle kostete zehntausende Wale, Seevögel und Robben das Leben.

Ein Forschungsteam der Universität Hamburg hat das Phänomen untersucht und sich auf die Suche der Ursache für die sich häufenden Warmwasserblasen gemacht. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% ist es die von uns Menschen verursachte Klimakrise.

Das sind nur drei von vielen Gefahren, die das Leben im Meer bedrohen. Die Vermüllung der Ozeane allen Stoffen voran durch Plastik, die Übernutzung durch die Schifffahrt und die Zunahme durch den Meeresbergbau, die Schadstoffeinleitungen durch die Landwirtschaft, der Verlust durch Abholzung der Mangrovenwälder sind weitere Gründe zu allergrößter Sorge.An Themen mangelte es nicht bei der Weltmeereskonferenz In Lissabon, die Anfang Juli zu Ende ging. UN-Generalsekretär Guterres entschuldigte sich zu Beginn „stellvertretend im Namen meiner Generation“. Geholfen hat es nicht. Die Konferenz ging nach drei Tagen mit vielen schönen Worten am Ende aber ohne konkrete Beschlüsse auseinander.

 

 

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