War watt? Der Mut der Interessenvertreter

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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27. Februar 2019

In einer pluralistischen Demokratie ist es Aufgabe der Parteien und Parlamente, den Wettbewerb legitimer und zum Teil einander widerstrebende Partikularinteressen zu befrieden. Beim Klimaschutz und der daraus folgenden Energiewende hat das, für alle sichtbar, im letzten Jahrzehnt nicht funktioniert. Also hat die Politik in Gestalt der Großen Koalition um Hilfe gerufen: „Liebe Interessenvertreter, wir schaffen es nicht. Bitte seid so freundlich, kommt in die Kommission. Rauft Euch zusammen und schlagt uns bitte einen Pfad durch den Dschungel der Meinungen.“

Interessenvertreter hatten das Gemeinwohl im Blick

Kultivieren wir den politischen Stillstand? Oder machen wir aus der Energiewende endlich ein Thema, das den Klimaschutz mit Innovation und Wettbewerb verbindet?

Hubertus Grass, Kolumnist

Und alle folgten diesem Ruf. Die Umweltverbände ebenso wie der Bund der Deutschen Industrie. Die Braunkohleländer NRW, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen nahmen am gleichen Tisch platz wie die Verbände der Erneuerbaren Energien, die Klimaforscher aus Potsdam neben den Bürgermeistern aus den Regionen und den Vertretern der Gewerkschaften. Und sie haben sich im Sommer 2018 in die Arbeit gestürzt. Alle Herausforderungen, und das sind nicht wenige, kamen auf den Tisch: Von der Versorgungssicherheit über die Netzstabilität über die Entwicklungschancen der Regionen in der Lausitz über den Ausbau der Erneuerbaren und der Klimaschutz.

Dass sich die beteiligten, so unterschiedlichen Interessenvertreter auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten, kann gar nicht hoch genug gewürdigt werden. Denn es bedeutet: Sie haben ganz bewusst Abstriche an den eigenen Zielen vorgenommen. In diesem Moment war ihnen das Gemeinwohl wichtiger als die Einigkeit in der eigenen Organisation. Ob der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft oder der Deutsche Naturschutzring: Sie haben sich der politischen Verantwortung gestellt. Die Verhandlungen und das Ergebnis haben bei allen Verhandlungspartnern Schmerzen verursacht.

Mehr als um die Kohle geht es um Innovation und Wettbewerb

Titelbild des Abschlussberichts der Kohlekommission
Die Kompromiss-Lösung der Kohlekommission wird im Abschlussbericht auf 270 Seiten erläutert.

Mit dem Bericht der Kommission wird weder ein einziger Arbeitsplatz geschaffen, noch lässt sich so das Pariser Klimaschutzziel erreichen. Aber: Die Kohlekommission hat die Optionen dafür geschaffen. Es ist, so sieht es unsere Verfassung vor, an der Mehrheit im Bundestag zu entscheiden, wie es weiter geht.

Kultivieren wir den politischen Stillstand? Oder machen wir aus der Energiewende endlich ein Thema, das den Klimaschutz mit Innovation und Wettbewerb verbindet? Vor dem Klimawandel zu kapitulieren oder sich dieser Herausforderung mit den Potentialen von Wissenschaft, Forschung und Industrie zu stellen: Diese Optionen standen schon immer zur Wahl.

Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ hat sich planerisch der Herausforderung angenommen. Sie hat den nervenaufreibenden politischen Prozess des Interessensausgleichs, der beim Klimaschutz in den Regierungsparteien und in den Gesetzgebungsorganen nicht funktioniert hat, stellvertretend durchlaufen. Sie hat einen sehr konkreten Pfad beschrieben, wie es gehen könnte.

Die Mitglieder der Kommission haben mit der Vorlage des Abschussberichtes politischen Mut bewiesen.

Hubertus Grass, Kolumnist

Dieser im Abschlussbericht dargelegte Konsenspfad, mit Zustimmung von 27 der 28 anwesenden Mitglieder verabschiedet, beinhaltet eine Reihe von Eckpunkten – von den zeitnah zu schließenden Erzeugungskapazitäten bis hin zum letztmöglichen Datum der Abschaltung des letzten Kohlekraftwerks. Auf 270 Seiten hat die Kommission diesen Pfad für die kommenden 20 Jahre so weit ausgeleuchtet, wie es aus heutiger Sicht möglich ist.

Die Mitglieder der Kommission haben mit der Vorlage des Abschussberichtes politischen Mut bewiesen. Sie haben sich, ihren Unternehmen und ihren Verbänden etwas zugemutet. Sie haben es getan zum Nutzen eines höheren Gutes, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Schon sind einzelne Politiker dabei, das Ergebnis der Kommission zu zerpflücken. Die Debatte in der Regierung um das Klimaschutzgesetz eröffnet einen Einblick in die destruktive Kraft, die hier (wieder) zu tage treten könnte. Meine Damen und Herren, möchte man in die Richtung der Streitparteien rufen, bedenken Sie bitte:

  • Die Bevölkerung hat genug vom politischen Klein-Klein und dem daraus resultierenden Stillstand.
  • Fridays for Future: Die jungen Menschen verlangen nach einer Antwort auf die dringendste Herausforderung der Zukunft.
  • Es steht mehr auf dem Spiel als dieses oder jenes Kohlekraftwerk – es geht um die Innovations- und die Handlungsfähigkeit des Standortes Deutschland.

Der Mut der Interessenvertreter, der in der Kohlekommission gezeigt wurde, wird auch in Zukunft noch gebraucht. Wie soll es dann in den Sektoren Verkehr und Wärme/Bauen weiter gehen, wenn der Auftraggeber die Ergebnisse im Sektor Strom nicht würdigt? Man mag es in der hitzigen Debatte des Wahlkampfjahres 2019 gar nicht erwähnen: Der Kohleausstieg ist nach dem Ausstieg aus der Kernkraft nur ein Zwischenschritt in der Energiewende. Der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Erdöl und Erdgas steht uns noch bevor. Keine Aufgabe für Kleinmütige.

Zum weiterlesen

Der vollständige Bericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“: https://www.kommission-wsb.de/WSB/Redaktion/DE/Downloads/abschlussbericht-kommission-wachstum-strukturwandel-und-beschaeftigung.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Warum haben die Umweltverbände zugestimmt? Eine gemeinsame Presseerklärung von Greenpeace, BUND, DNR und NaBu: https://www.greenpeace.de/presse/presseerklaerungen/ergebnis-der-kohlekommission-einstieg-den-ausstieg

Was konnte die „Kohlekommission“ überhaupt leisten? Und was nicht? Diesen Fragen bin ich in einem War Watt nachgegangen, als die Kommission im Juli 2018 ihre Arbeit aufgenommen hat. https://www.energie-klimaschutz.de/bedeutung-der-kohlekommission/

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