War watt? Schutz der Infrastruktur in der Klimakrise: Unsere Instinkte versagen

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Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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26. April 2023
SSKH-Pictures/Shutterstock.com

Die Flut im Ahrtal war (bislang!) das größte Schadensereignis in Deutschland. 135 Tote sind zu beklagen, 766 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. 3.000 Gebäude wurden beschädigt, 500 komplett zerstört. Bund und Länder stellten 30 Milliarden für den Wiederaufbau zur Verfügung, die Versicherer zahlten  8,5 Milliarden für die Regulierung von 213.000 Schadensfällen. Die Schäden an der Infrastruktur wurden auf 6,8 Milliarden geschätzt. Trotz dieses Menetekels einer sich verschärfenden Klimakrise zeigt sich jetzt schon beim Wiederaufbau im Ahrtal: Unsere Instinkte zur Gefahrenabwehr versagen beim Klimawandel.

Gesamtschäden der Flut in Ahrtal, aufgeteilt auf die Handlungsfelder der "Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel" (DAS)

Hochwasser-Demenz

Die hundertjährigen Hochwasser von 1804 und 1910, die ähnlich katastrophal wie die Flut 2021 verliefen, hatte man „vergessen“.

Hubertus Grass

Bei der Bauplanung im Ahrtal hat die Hochwassergefahr über Jahrzehnte nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Baugenehmigungen wurde auf der Basis von Hochwasserkarten erteilt, die die Daten der letzten 70 Jahren enthalten. Die hundertjährigen Hochwasser von 1804 und 1910, die ähnlich katastrophal wie die Flut 2021 verliefen, hatte man „vergessen“. Die Autorinnen Götze und Joerres zitieren in ihrem Buch „Klima außer Kontrolle“ einen Geographen: „Hochwasser-Demenz nennen wir das. Und schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Bürgerinnen, Politiker und Behörden die Absicht, Konsequenzen aus der Erfahrung zu ziehen. Daraus wurde nichts. Die Pläne für einen verbesserten Hochwasserschutz blieben in den Schubladen.

Intelligente Menschen machen neue Fehler. Die dummen wiederholen die alten. 100 Jahre später zeichnet sich ab, dass beim Wiederaufbau die grundlegenden Erkenntnisse erneut in den Wind geschlagen werden. Lediglich 34 der zerstörten Häuser sollen nicht wieder errichtet werden. Die viel zu nah am Fluss entstandene Siedlungsstruktur im engen Ahrtal wird nicht angetastet. So liegt die Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler in Teilen nicht an, sondern in der Ahr. An Hand alter Karten hat der Hydrologe Thomas Roggenkamp den historischen Lauf des Flusses Ahr nachgezeichnet. Einst floss die Ahr sehr viel breiter, sehr viel verzweigter und mäandert durch das Tal.

Wenn hundertjährige Hochwasser häufiger werden

Durch den Klimawandel hat sich die Wahrscheinlichkeit für extreme Überflutungen wie an der Ahr um einen Faktor zwischen 1,2 und 9 erhöht. Frank Kreienkamp, der das Regionale Klimabüro Potsdam des Deutschen Wetterdienst es (DWD) leitet, ist einer von 39 Ko-Autoren der Studie einer internationaler Forschungsinitiative. Er weist darauf hin, dass der Klimawandel nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Intensität solcher Katastrophen mit dem Anstieg der Temperatur verstärken werde.

An der Elbe hatte man in den Jahren 2002, 2006 und 2013 bereits erlebt, dass hundertjährige Hochwasser häufiger werden. Trotz dieser Erfahrung und den Prognosen der Klimawissenschaft wird es an der Ahr nur kosmetische aber keine grundlegenden Änderungen beim Hochwasserschutz geben. Auch ein eindringlicher Mahnruf einer Gruppe von Forschern aus der Helmholtz-Gesellschaft, angesichts der Katastrophe an der Ahr nun „die Klimasicherheit von Gemeinden und Städten auf ein neues Fundament zu stellen“, verhallte ungehört.
Über die Gründe kann man nur spekulieren. Die Geschichte unseres Umgangs mit der Klimakrise liefert jedoch eine Reihe von Hinweisen.

Bei der Klimakrise versagen unsere Instinkte

Ein Grund sei, so die Psychologie, dass die Gefahr zu langsam und zu komplex sei, um unsere natürlichen Instinkte der Abwehr zu aktivieren.

Hubertus Grass

Was die Klimakrise auslöst, welche Folgen sie haben wird und dass diese Folgen irreparabel sein werden, ist seit fast 50 Jahren bekannt. Dennoch handeln wir nicht oder nur äußerst unzureichend. Ein Grund sei, so die Psychologie, dass die Gefahr zu langsam und zu komplex sei, um unsere natürlichen Instinkte der Abwehr zu aktivieren. Den Alltag der Menschen besteht aus vielfältigen Herausforderungen, die uns beschäftigen und sorgen. Im Wettbewerb dieser Sorgen hat die Klimakrise schlechte Karten. Sie ist nicht so oft spürbar wie der Ärger im Büro oder Stress in der Familie. Von daher gerät sie aus dem Fokus.

Bringt sich die Krise – wie in einem Hitzesommer – aber täglich so stark in Erinnerung, dass die Strategie der Nichtwahrnehmung versagt, weiß sich unsere Psyche anderweitig zu helfen. Wir stellen zum Beispiel fest: Diese Krise ist zu groß für uns. Sie überfordert uns in Kompetenz und Einfluss. Und sie fällt nicht in unseren Zuständigkeitsbereich. Handeln müssen andere. Oder die Psyche sucht die erprobte Zuflucht in den ersten Artikeln des rheinischen Grundgesetzes: 1. „Es ist, wie es ist. 2. Es kommt, wie es kommt. 3. Es ist bisher noch immer gut gegangen.“ Ziel der unterschiedlichen Strategien ist stets, unser subjektives Wohlbefinden zumindest kurzfristig aufrechterhalten. Unsere Psyche hat kein Interesse am Weltgeschehen.

Auch rational gibt´s gute Argumente, untätig zu bleiben

Dass unsere Instinkte zur Gefahrenabwehr noch aus einer Zeit stammen, als die Menschen Mammuts jagten, kann nicht erklären, warum beim Wiederaufbau an der Ahr die Gefahrenlage sträflich vernachlässigt wird. Denn die Entscheidung, an der Siedlungsstruktur festzuhalten, folgte einem politischen und planerischen Abwägungsprozess nach ganz rationalen Kriterien.

Man versetze sich in die Situation der Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung: Die Lage nach der Katastrophe ist hoch emotional, die Bürgerinnen und Bürger sind erschöpft, viele traumatisiert. Alle, die mit dem Unglück zu tun haben, sind überarbeitet und angespannt. Nun erhöbe sich die Stimme der Vernunft und würde empfehlen, auf die Wissenschaft zu hören, die alten Fehler zu vermeiden, nicht direkt am oder Flussbett, sondern resilient an anderer Stelle neu zu bauen. Hätte diese Stimme eine Chance auf Gehör gehabt?

Den Wiederaufbau von hunderten von Häusern mit dem Hinweis auf die kommenden Gefahren der Klimakrise zu verweigern, hätte mit großer Sicherheit zu langjährigen juristischen Auseinandersetzungen geführt. Und der Ausgang der Prozesse wäre keinesfalls sicher abzuschätzen. Wenn der Staat in bestehende Rechte wie das Bau- und Eigentumsrecht eingreifen will, braucht er sehr starke und konkrete Begründungen. Ob der wissenschaftliche Nachweis, dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Flut mit der Klimakrise höher werde, vor Gericht ausreicht, um die Genehmigung zum Wiederaufbau an gleicher Stelle zu versagen oder eine Enteignung zu rechtfertigen?

Die Klimakrise überfordert uns

Anstatt den Boden immer mehr zu versiegeln, wäre es an der Zeit, den Prozess umzukehren. Wäre es nicht an der Zeit, sich auf die Sicherung der vorhandenen Infrastruktur zu konzentrieren?

Hubertus Grass

Ein vorbeugender Hochwasserschutz findet an der Ahr und anderswo immer dort seine Grenzen, wo materielle Interessen der Anwohner betroffen sind und massiver Widerstand zu erwarten ist. „Gebt den Flüssen mehr Raum“, forderte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1977 angesichts der Oderflut. An der Oder wie an der Elbe wurde nach den Fluten bestenfalls kosmetische Korrekturen vorgenommen. Es fehlt an Überflutungsflächen um den Schaden kommender Hochwasser zu begrenzen.

Aber das Land, das der Mensch der Natur einmal abgerungen hat, das kultiviert, asphaltiert oder bebaut wurde, bekommt die Natur nur sehr seltenen Fällen zurück. Im Interessenkonflikt Mensch vs. Natur steht die Entscheidung meist fest. Ob für die Autobahn, das Gewerbegebiet, die Umgehungsstraße, den Wohnungsbau und die Industrieansiedlung: Die Natur muss zahlen, zurück bekommt sie nichts. Jeden Tag (!) verbrauchen wir in Deutschland die Fläche von circa 78 Fußballfeldern.

Jede einzelne Maßnahme der Inanspruchnahme des Naturraumes mag vor Ort sinnvoll erscheinen. Jeder Eingriff folgt rationalen Entscheidungen und festgelegten Regeln. In der Summe und mit Abstand betrachtet, sollte uns aber ein Licht aufgehen: Hier läuft grundsätzlich etwas schief. Anstatt den Boden immer mehr zu versiegeln, wäre es an der Zeit, den Prozess umzukehren. Wäre es nicht an der Zeit, sich auf die Sicherung der vorhandenen Infrastruktur zu konzentrieren?

Noch beruhen unsere Entscheidungen auf der Hoffnung, es möge nicht so schlimm kommen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Rational ist das nicht.

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  1. Jennifer Caitlin Sommer

    vor 8 Monaten

    DANKE für diesen so wichtigen und informativen Artikel!
    Wir können die Rechnung nicht ohne die menschliche Psyche machen, müssen Erkenntnisse über Abwehr, Vermeidungsverhalten und Verdrängung allgemein zugänglich machen und in globale politische Entscheidungen miteinbeziehen..
    sonst wird das nichts mehr ..- mit uns mit und auf diesem Planeten.
    JennCaitlin Sommer, Ärztin u Psychotherapeutin

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