Herausforderungen und (gar nicht so innovative) Methoden und Techniken zur Klimaanpassung in der Praxis

Gastautor Portrait

Peter Küsters

Co-Founder & Team Lead Sales Germany, greenpass

Peter Küsters ist Landschaftsgärtner, Mitgründer der Wiener Firma Greenpass (simulationsbasierte Analysen und Optimierung grün-blauer Infrastrukturen) und Inhaber der Neusser Firma Küsters Grün.Stadt.Klima (Fachplanungsbüro für Gebäudebegrünungen und Regenwassermanagement).

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12. Juni 2023

Bislang steht die Klimaanpassung oft im Schatten des Klimaschutzes. Warum die Klimaanpassung dringend erforderlich ist, was die Probleme in der Umsetzung sind, wie diese effizient und wirtschaftlich gelöst werden können, wird im nachfolgenden Artikel von Peter Küsters, Mitgründer der Wiener Firma Greenpass (simulationsbasierte Analysen und Optimierung grün-blauer Infrastrukturen) und Inhaber der Neusser Firma Küsters Grün.Stadt.Klima (Fachplanungsbüro für Gebäudebegrünungen und Regenwassermanagement) erläutert.

Herausforderungen durch den Klimawandel und kosteneffiziente Anpassung

Unseren Städten droht ein Hitzekollaps, da sie sich immer stärker mit Wärme aufladen, was zu besonders gesundheitsschädlichen tropischen Nächten führt.

Peter Küsters

Die Zunahme der persistenten Wetterlagen zeigt sich in häufigeren Starkniederschlägen mit Überflutungsrisiken und längeren Hitze- und Trockenperioden. Überflutungen liefern dramatische Bilder, wohingegen die immer länger werdenden Hitzeperioden und deren Schäden und Kosten weit weniger offensichtlich, aber zukünftig um ein Vielfaches höher liegen werden. Unseren Städten droht ein Hitzekollaps, da sie sich immer stärker mit Wärme aufladen, was zu besonders gesundheitsschädlichen tropischen Nächten führt.

Bauen im Grünen, am kühleren Stadtrand oder auf dem Land ist keine tragfähige Lösung, da auch dort die Bebauung aus Kostengründen sehr dicht sein muss, was eben zu starker Überwärmung der Wohn- und Gewerbequartiere führt. Zudem wird die dort entstehende Wärme in die Städte hineingetragen, was diese dann noch mehr belastet. Der exponentiell steigende Ressourcen- und Energieverbrauch des zersiedelten Bauens ist ebenfalls nicht nachhaltig.

Wir müssen für unsere Städte also sicherstellen, dass das Leben in der Stadt für die Menschen, die dort bereits leben und arbeiten und jene die hinzukommen, lebenswert und zukunftsfähig bleibt.

Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?

Beispiel eines Planungsmodells

Grafik: Peter Küsters

Ein Lösungsansatz ist die „dreifache Innenentwicklung“ unserer urbanen Lebensräume. Neben multifunktionaler und flächeneffizienter Siedlungs- und Verkehrsplanung werden auch wirksame grüne und blaue Infrastrukturen, das Schwammstadt-Prinzip, sowie naturbasierte Lösungen integriert.

Das „Grün“ irgendwie wirkt und gegen Überhitzung hilft, ist fast schon Mainstream. So werden Dachbegrünungen, manchmal Fassadenbegrünungen, meistens eine bestimmte Anzahl von Bäumen, zunehmend Regenwasser-Einleitbeschränkungen und Überflutungsnachweise im B-Plan festgelegt. Aber ohne jedoch zu wissen, ob und wie diese gegen die durch die Baumaßnahme entstehende oder vorhandene thermische Belastung wirken, sowie ohne zu wissen, was und wo die Herausforderung in dem jeweiligen Quartier und Baufeld liegt.

Im Zweifel hat man sogar dem Mikroklima einen Bärendienst erwiesen, mindestens Geld zum Fenster hinausgeworfen. Die verschiedenen grünen und blauen Infrastrukturen mit ihren verschiedenen spezifischen Wirkungen und Kosten müssen passend zu den Gebäuden und anderen lokalen Gegebenheiten dosiert und punktgenau eingesetzt werden.

Kaum mal, dass diese Forderungen in wirklich interdisziplinären oder gar innovativen Planungsprozessen münden.

Oft, weil der Hauptantrieb der Kommune die Entlastung des Stadtsäckels ist, da eine Erweiterung des Kanalquerschnittes nicht nur teuer ist, sondern das Überflutungsrisiko nur ein wenig weiter stromabwärts, ins nächste Quartier verlagert. Zwar wissen die Städte um das sich verschärfende Problem der Hitze, kennen aber die innovativen Lösungsansätze nicht und wissen daher nicht, wie man diese z.B. in Form von festlegbaren und prüfbaren Indikatoren definieren und prüfbar verankern kann.

Effizienz von Begrünungen

Grafik: Peter Küsters

Dies führt noch zu oft zu teuren konventionellen, eindimensional wirkenden Regenwasserbauwerken wie z.B. Rückstaubecken und Staukanälen mit gedrosseltem Abfluss oder bei neuen Wohnquartieren mit einer großflächigen Regenwasserzwischenspeicherung in Rückhaltebecken mit gedrosseltem Überlauf in einen Teich und daran anschließender Versickerung in einer parkähnlichen Freifläche außerhalb der Wohnbebauung. Flächeneffizienz und vor allem Hitzeminderung und Lebensqualität im Quartier sieht anders aus.

Anstelle dieser teuren, ein- höchstens zweidimensionalen Einrichtungen wäre es sinnvoller, sie als grüne und blaue Infrastruktur direkt in die Bebauungsfläche, an und auf den Gebäuden zu integrieren. Retentionsdachbegrünungen, mit einer Kombination aus dauerhaften und temporär gedrosselten Abläufen, die bereits frühzeitig, spätestens in der Planungsleistungsphase 3 von Hochbauplanern, TGA-Planern und qualifizierten oder spezialisierten Freiraumplanern mitgedacht werden müssen, halten nicht nur als erster Baustein der Regenwasserkaskade bereits einen wesentlichen Teil des Regenwassers im Quartier zurück, sondern helfen nah am Menschen in den zunehmend langen Hitzeperioden das bebaute Gebiet zu kühlen. Regen fällt jedoch nicht nur auf Dächer, sondern auch auf die befestigten Flächen. Diese können, je nach Nutzung, in der einen oder anderen Form wasserdurchlässig und damit kühlend gebaut werden. Das Wasser von intensiv genutzten Straßen und Wegen kann in bepflanzte Mulden und Rigolen eingeleitet werden. Der Effekt ist hier der gleiche: Das Wasser wird zu einem großen Teil verdunstet, ein kleinerer Teil versickert ins Grundwasser. Auch hierfür ist ein frühzeitiger integrierter, interdisziplinärer Planungsansatz notwendig.

Nicht immer kann man ausreichend Versickerungsflächen zwischen den Gebäuden anlegen. Man könnte die Straßen und Wege nach dem „Stockholmer Modell“ bauen. Die Feinteile der üblichen Schottertragschichten werden weggelassen und teilweise durch spezielle Substrate ersetzt. Die Bäume und andere Pflanzen können so mit ihren Wurzeln in die entstandenen Hohlräume unter die Straßen wachsen, finden dort Wasser und Nährstoffe, ohne die Straßen zu beschädigen. Und können vor allem ausreichend alt und groß werden, um dann noch viel besser zu wirken, und dauerhafter CO2 zu binden.

Da wo Bäume dann tatsächlich keinen Platz finden, kann man Fassadenbegrünungen einsetzen. Fassadenbegrünungen, parallel zum Sommerwind eingesetzt, haben ähnlich gute Kühlwirkungen wie Bäume. Sie spenden zwar weniger unmittelbaren Schatten für Menschen, schattieren aber das Gebäude, was sich dadurch weniger aufheizt.

So findet die Kühlung dort statt, wo sie am wichtigsten ist: Dort, wo sich die Menschen aufhalten, leben, arbeiten und vor allem den für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit notwendigen Schlaf finden. Und nicht in ausgelagerten Versickerungsflächen oder gar in über den „grünen Ablasshandel“ der Ausgleichszahlungen finanzierten Grünflächen am Rande der Stadt.

Dafür brauchen wir einen frühen integrativen, interdisziplinären und innovativen Planungsansatz. Die neu entstehende Planungsdisziplin für simulationsbasierte Mikroklimaanalysen und -Optimierungen, für Gebäudebegrünung und Regenwassermanagement müssen von Anfang an mit dem Grün- und Freiraumplaner in den Planungsprozess einbezogen werden.

Innovativer Ansatz: baufeldspezifische Herausforderungen erkennen und spezifische Wirkungen grüner und blauer Infrastrukturen in Zahlen und Fakten durch simulationsbasierte Analysen und Optimierungen nutzen.

Jede Stadt, jedes Quartier, jedes einzelne Baufeld hat ihre ganz eigenen, spezifischen Herausforderungen. Mal ist es mehr die Hitze, mal die Verschlechterung der Windverhältnisse im Sommer durch die geplante Anordnung der Gebäude. Mal besteht eher neue Überflutungsgefahr durch die zusätzliche Bebauung und/oder Verdichtung. Manchmal gibt es aufgrund der Baudichte oder der mangelnden Durchlässigkeit des Bodens oder weil die Baufläche mit einer Tiefgarage bis an den Rand bebaut wird, keine Möglichkeit das Regenwasser in ausreichender Menge zu versickern. Fast immer ist es eine Kombination aus mehreren Herausforderungen. Zudem muss sichergestellt werden, dass es durch die Bebauung nicht zu Verschlechterungen zum Status Quo kommt. Egal, ob auf der grünen Wiese ein neues Wohn- oder Gewerbegebiet entsteht, ob eine neue Bebauung eine alte Bebauung in der Stadt ersetzt, ob es um Nachverdichtung, Umnutzung oder Sanierung geht.

Grün ist nicht gleich grün

Vergleich zwischen Retention und Verdunstung

Grafik: Peter Küsters

Stark vereinfacht: Bäume haben im Vergleich zu den Kosten potenziell die größte Kühlwirkung, können aber auch negativ wirken. Je nach Art und Größe können Bäume, ebenso wie ein Gebäude, an der falschen Stelle stehen oder nur falsch ausgerichtet sein, wenn hierdurch der notwendige Wind im Sommer gehemmt wird. Meistens jedoch fehlt der Platz für Bäume. Nicht so bei Dachbegrünungen. Hier ist die Fläche ohnehin schon vorhanden, die Mehrkosten für Statik und Abdichtung sind beim Neubau meist zu vernachlässigen, können sogar monetär aktiviert werden, wenn sie für Menschen durch intensive Dachbegrünungen, Dachgärten, Tiefgaragenbegrünungen nutzbar wird. Dachbegrünungen, insbesondere Retentionsdachbegrünungen mit spezifischem gedrosseltem Regenwasserablauf, haben mit ihrer Schwammwirkung einen großen Regenrückhalte- und noch länger anhaltenden Kühleffekt. Die Kühlwirkung wirkt im Gegensatz zu einem Baum jedoch weniger unmittelbar vor Ort, da sich die in mehreren Metern Höhe abgekühlte Luft vermischt und weiträumiger verteilt. Fassadenbegrünungen, hierfür sind auch fast immer ausreichend Flächen vorhanden, kosten i.d.R. pro Quadratmeter mehr, haben eine größere Blattoberfläche als einfache extensive Dachbegrünungen und kühlen nah am Menschen. Ihre Regenwasserspeicherung ist jedoch sehr begrenzt.

Grün-blaue Infrastrukturen wirken spezifisch wie gute Medizin. Aber dazu muss der Patient Baufeld zunächst auf den Untersuchungstisch, um dann festzulegen, welche Grün-Blaue Medizin verschrieben wird.

Der innovative Ansatz: Festlegung quantitativer Indikatoren

Anstatt pauschal eine Anzahl von Bäumen, Grünflächenanteile oder Gebäudebegrünungen festzulegen, von denen man sich erhofft, dass sie schon irgendwie wirken, sollten quantitative Indikatoren festgelegt werden.

Peter Küsters

Anstatt pauschal eine Anzahl von Bäumen, Grünflächenanteile oder Gebäudebegrünungen festzulegen, von denen man sich erhofft, dass sie schon irgendwie wirken, sollten quantitative Indikatoren festgelegt werden. Diese Indikatoren beschreiben in Zahlen die übergeordneten Ziele der Klimaanpassung. Wie diese dann erreicht werden, bleibt Bauherrn und Planern überlassen. Das erlaubt nicht nur einen größeren Gestaltungsspielraum, sondern sichert auch die bestmögliche Effizienz und niedrige Kosten.

Hier setzen wir mit Greenpass an. Durch simulationsbasierte Analysen und Optimierungen, indem der Status Quo mit der Planung verglichen wird, wird deutlich, wie gut die Planung ist, ob und wo es Verbesserungen oder Verschlechterungen im Vergleich zum Status Quo gibt.

Hierzu wird die das beplante Gebiet und die Umgebung in einem digitalen Zwilling zunächst dreidimensional nachgebaut. Die Eigenschaften aller Oberflächen, der Gebäude, Wege, Straßen und Vegetationsflächen werden mit zunehmender Planungs- und Detailtiefe abgebildet und über Simulationen analysiert. Hieraus ergeben sich bis über 30 verschiedene Indikatoren, die zumeist quadratmetergenau aussagen, wo es z.B. wie warm im Sommer tags und nachts werden wird, wo und wie die tatsächlichen und gefühlten Temperaturen tags und nachts sein werden, wo es Überflutungsrisiken gibt, wo der Wind zu stark oder zu schwach wehen wird. Die wichtigsten Indikatoren sind:

  • Thermischer Komfort: wie und wo welche Temperaturen gefühlt werden
  • Thermische Speicherfähigkeit: wo welche Oberflächen wieviel Strahlungswärme entstehen lassen, speichern und abstrahlen
  • Abluftstrom: ob und inwieweit sich die Temperaturen im Baufeld positiv oder negativ verändern, ob es zu einer Be- oder Entlastung der Umgebung kommt
  • Regenwassermanagement: wieviel Regenwasser läuft wann, wo, bei welchem Ereignis ab, wieviel wird wie lange zurückgehalten, versickert, gespeichert und was kann man davon bei Bedarf in Trockenperioden zur Bewässerung nutzen
  • CO2-Speicherung: wieviel temporäre CO2-Speicherung findet durch die Pflanzen statt

Diese Indikatoren werden inzwischen auch von der Stadt Krefeld genutzt, indem bei neuen Bebauungen in der Stadt nachgewiesen werden muss, inwieweit die Planung eine Verbesserung oder Verschlechterung zum Status Quo bedeutet. Das Ergebnis dieser Analyse ist bei der Bauvorlage miteinzureichen.

Vorteil für die Stadt: Einfachere Sicherstellung der Klimaanpassung, ohne hier die konventionellen Vorgaben zur Begrünung oder Regenwassermanagement machen zu müssen.

Vorteil für den Bauherrn: größerer Gestaltungsspielraum, Kosteneffizienz und Nachweis einer, zukunftssicheren, klimaresilienten Bebauung.

Die Auswertungen zeigen auf, wo es noch Verbesserungspotenzial gibt. Diese werden in verständlichen Berichten mit den passenden Optimierungsempfehlungen zusammengefasst und in Workshops mit den Planungsbeteiligten besprochen.

Weitere realisierbare monetäre Vorteile für den Bauherrn sind eine mögliche, nicht zwingende Zertifizierung, Auswertung und Nachweis der Klima Resilienz im Rahmen der EU-Taxonomie und ESG-Kriterien.

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