Klimaanpassung: auf die Umsetzung vor Ort kommt es an!

Gastautor Portrait

Prof. Dr. Uli Paetzel

Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband

Prof. Dr. Uli Paetzel ist seit 2016 Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband. 1971 in Gelsenkirchen geboren und in Herten aufgewachsen, studierte er Sozialwissenschaften und Französisch an der Ruhr-Universität Bochum und an der Université François Rabelais im französischen Tours. 2001 promovierte Dr. Paetzel an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Uni Bochum, wo er seit 1999 als Dozent für Soziologie ehrenamtlich tätig ist. Von 2004 bis 2016 war er hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Herten. Seit Ende 2018 ist er Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum. Seit Januar 2019 ist er Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA) mit Sitz in Hennef. Foto: Johannes Glinka

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24. April 2023
Fotonachweis: EGLV

Zum Erhalt der Lebensqualität in den Städten ist es dringend erforderlich, diese an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen.

Prof. Dr. Uli Paetzel

Der Strukturwandel ist im Ruhrgebiet Dauerthema. Klimaschutz und Klimafolgenanpassung kommen als neue Querschnittsthemen hinzu. Da für Pilotprojekte und Einzelmaßnahmen keine Zeit mehr ist, wird es nun darum gehen, eine breite Umsetzung in einer polyzentrischen Region zu organisieren.

Der Klimawandel ist deutlich spürbar. So ist beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die mittlere Jahrestemperatur im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1881-1910 um 1,5 Kelvin angestiegen. Die Zahl der Hitzetage über 30 Grad hat in den vergangenen hundert Jahren um vier Tage zugenommen, während die Menge der Tage, in denen Temperaturen von unter Null Grad herrschten, um zwölf gesunken sind. Gleichzeitig nehmen die Gefahren von Starkregenereignissen und Überschwemmungen zu, was nicht zuletzt durch die katastrophalen Unwetter Mitte 2021 wieder in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik verankert wurde.

Zum Erhalt der Lebensqualität in den Städten ist es dringend erforderlich, diese an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen. Dazu gehört der klassische Hochwasserschutz genauso wie der Ausbau des Grüns in der Stadt und die Schaffung von zusätzlichen Retentionsflächen, die Wasser aufnehmen können und die so weitere kühlende Verdunstung schaffen. Der Siedlungswasserwirtschaft stehen dazu viele Instrumente zur Verfügung, die durch eine große Zahl von Leitfäden, passenden technischen Regelwerken und Best-Practises abgesichert sind. Und auch die politische Ebene hat das Thema grundsätzlich erkannt und zahlreiche Konzepte erstellt und erste Klimaanpassungsgesetze erlassen. Wenngleich die theoretischen Grundlagen somit entwickelt wurden, mangelt es jedoch an praktischen Umsetzungen in den Städten und Kommunen.

Akteure vor Ort müssen sich vernetzen

Foto: Rupert Oberhäuser

Wie lässt sich diese Umsetzungslücke angehen? Neben der entsprechenden Ausstattung mit finanziellen Mitteln, ist die Vernetzung der beteiligten Akteure in den Kommunen wesentliche Stellschraube für den Erfolg. Da der Klimawandel gleichzeitig jedoch nicht an den Stadtgrenzen Halt macht, braucht es zusätzlich eine regionale Klammer, die Klimaanpassungsmaßnahmen koordiniert und unterstützt.

Dies gilt besonders in polyzentrischen Metropolregionen wie dem Ruhrgebiet, wo zahlreiche kommunale Entscheidungen gebündelt und aufeinander abgestimmt werden müssen. Die Metropolregion Ruhr ist zudem auf rund 7.000 km² die Heimat der Hälfte der rund 18 Millionen Einwohner von Nordrhein-Westfalen und damit die bevölkerungsreichste und am dichtesten besiedelte Metropolregion Deutschlands. In der Kernregion ist die Bevölkerungsdichte mit rund 2.200 Einwohnern pro km² mehr als viermal so hoch wie im Landesdurchschnitt (525 Einwohner pro km²). Die Herausforderungen der Anpassung an den Klimawandel treffen hier auf die des seit den 1970er Jahren laufenden Strukturwandels mit all seinen Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen. Das erhöht den Druck auf die Region und den Wunsch nach der Gründung eines robusten Arbeitsnetzwerks, das eine nachhaltige und wassersensible Stadtentwicklung im Revier vorantreibt.

Governance für Klimaanpassung: starke kommunal getragene Netzwerke

Im Jahr 2014 entstand die Initiative „Wasser in der Stadt von morgen“, initiiert von einer Gemeinschaft bestehend aus Emschergenossenschaft, Emscher-Kommunen und dem NRW-Umweltministerium. Die Initiative zielte darauf ab, mehrere Themenfelder wie Siedlungswasserwirtschaft, Stadtentwicklung, Städtebau, Freiraumplanung, Klimaanpassung und Straßenbau zu verbinden. Dazu werden verschiedene Bottom-up-getragene Experten-Netzwerke gegründet, um sich den identifizierten Herausforderungen anzunehmen und Lösungen zu finden. Die Ergebnisse dieser Netzwerke werden regelmäßig auf Foren präsentiert und gebündelt. Zur Unterstützung dieser Arbeit finden zudem Treffen zwischen Stadtkoordinatoren und zuständigen Dezernenten statt.

Unter der Führung der Ruhrkonferenz wurde das Netzwerk unter dem Motto „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ ausgebaut und mit weiteren Fördermitteln ausgestattet. Bis 2030 stehen dem Netzwerk rund 250 Mio. Euro bereit, um Klimaanpassung im Ruhrgebiet durchzuführen. Weiterhin wurde eine Service-Struktur aufgebaut, auf die für die Projektumsetzung vor Ort zurückgegriffen werden kann.

In Zeiten der Klimakrise ist die breite Projektumsetzung entscheidend

Aufgrund der bedrohlichen Klimasituation, die sich absehbar weiter zuspitzen wird, ist es unabdingbar, unverzüglich zu handeln und den Fokus neben den Klimaschutz auch auf Anpassungsmaßnahmen zu legen.

Prof. Dr. Uli Paetzel

Aufgrund der bedrohlichen Klimasituation, die sich absehbar weiter zuspitzen wird, ist es unabdingbar, unverzüglich zu handeln und den Fokus neben den Klimaschutz auch auf Anpassungsmaßnahmen zu legen. Dabei müssen wir von der Praxis überbordender Pilotprojekte Abstand nehmen, selbst wo Technologien längst bekannt und verfügbar sind, und endlich in die breite Umsetzung kommen.

Die Klimaanpassung muss in den nächsten Jahren gleichberechtigt neben der CO2-Reduktion als Thema etabliert werden und es ist von großer Bedeutung, angemessene und nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten zu entwickeln, die der enormen Aufgabe gerecht werden. Dazu zählt zum Beispiel die teilweise Verwendung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung für notwendige Klimaanpassungen im Bestand, da hier ein sachlogischer Zusammenhang zwischen den klimaschädlichen Emissionen und der Notwendigkeit zu Anpassungsprojekten besteht.

Wir als handelnde Personen stehen in den kommenden Jahren vor der Herausforderung, neben weiteren ehrgeizigen Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes, die Anpassung an die nicht mehr abwendbaren Folgen der Erwärmung nicht zu vergessen und diese auch breit zu diskutieren. Diese müssen als zweite, gleichberechtigte Säule der Klimapolitik aufgebaut und weiterentwickelt werden.

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