Dem Wachstumsversprechen durch Kohle widerstehen: Wie Schwellenländer klimafreundlich wachsen können

Gastautor Portrait

Dr. Jan Steckel und Dr. Michael Jakob

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC)

Dr. Jan Steckel leitet die Arbeitsgruppe „Klimaschutz und Entwicklung“ am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Der Ökonom forscht hauptsächlich zur Rolle von Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Vermeidung („mitigation“) des Klimawandels. Er war Leitautor zum Thema internationaler Kohleausstieg im UNEP GAP Report 2017 und wirkte als Autor an verschiedenen IPCC Berichten mit. Dr. Michael Jakob ist Senior Researcher am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Er hat Physik, Volkswirtschaft und Internationale Beziehungen studiert und in Umweltökonomie promoviert. Seine Forschung konzentriert sich auf Klimaschutz in Schwellen- und Entwicklungsländern. Schwerpunkte dabei sind die Verteilungs¬wirkung von Klimaschutzmaßnahmen und ihre Auswirkung auf soziale Gerechtigkeit sowie die Analyse der politischen Ökonomie von Energie- und Klimapolitik. Bevor er zum MCC kam, verbrachte Dr. Michael Jakob mehr als fünf Jahre als Doktorand und Postdoc am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung.

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04. Mai 2020

Die deutsche und europäische Debatte zum Ende der Kohleverstromung sollte uns nicht darüber hinweg täuschen: In anderen Teilen der Welt wird stark in diese besonders klimaschädliche Form der Stromerzeugung investiert. Ohne einen weltweiten Ausstieg bis zur Mitte des Jahrhunderts wird der internationale Klimaschutz scheitern. Doch aktuell sind zusätzlich zu den bestehenden Kohlekraftwerken mit 2045 Gigawatt Gesamtleistung (davon 42 Gigawatt in Deutschland) weitere Kraftwerke mit insgesamt 500 Gigawatt im Bau oder geplant. Vor allem schnell wachsende Schwellenländer in Asien aber auch zunehmend in Afrika setzen auf Kohle.

Hohe Kapitalkosten begünstigen Kohle

Trotz hoher technischen Potentiale für Strom aus Wind oder Sonne treiben hohe Kapitalkosten in Entwicklungs- und Schwellenländern die Stromgestehungskosten von umweltfreundlichen Alternativen in die Höhe. Pro installiertem Megawatt elektrischer Leistung benötigen sie vergleichsweise viel Kapital, was sie gegenüber Kohlestrom weniger wettbewerbsfähig macht.  Auch der ebenfalls kapitalintensive Netzausbau, wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende, kommt aus diesem Grund nur schwer in Gang. Hinzu kommt ein eher psychologisches Argument: Die schmutzige, aber eben etablierte Kohle erscheint in diesen Ländern häufig als erste Wahl, um den schnell wachsenden Energiebedarf kostengünstig und zuverlässig zu decken.

Die Rolle Chinas

China hat aber mehr als eine reine Vorbildfunktion, es ist zugleich der maßgebliche Treiber des globalen Kohleausbaus.

Dr. Jan Steckel und Dr. Michael Jakob

Eine große Rolle spielt auch die Vorbildfunktion Chinas. Der ökonomische Aufstieg dieses riesigen Landes, das noch 1990 pro Kopf höhere Armutsraten hatte als Subsahara-Afrika, wurde zum großen Teil auf Kohle aufgebaut. Es gibt durchaus Grund zur Annahme, dass Kohlekraftwerke regionales Wachstum beschleunigen – zum Beispiel weil die zum Transport der Kohle errichteten Schienenwege oder Kanäle auch den Transport anderer Güter verbilligen und weil sich rund um die Kohlekraftwerke  Industrie ansiedelt. Dafür, dass in Schwellenländern die technischen und administrativen Voraussetzungen für eine nachhaltige Energiepolitik gegeben sind, fehlt es hingegen in der Wahrnehmung der politischen Eliten an positiven Beispielen.

China hat aber mehr als eine reine Vorbildfunktion, es ist zugleich der maßgebliche Treiber des globalen Kohleausbaus. Zum einen verfolgt das Land selbst mit Abstand die meisten Projekte. Kohlekraftwerke mit 100 Gigawatt Gesamtleistung sind zur Zeit im Bau, noch einmal das gleiche Volumen ist geplant. Trotz bestehender Überkapazitäten haben die chinesischen Provinzen dazu einen Anreiz – weil sie dadurch gegenüber der Zentralregierung eine höhere Wirtschaftsleistung vorweisen können. Die offiziell geplante Öffnung des Strommarkts hin zu erneuerbaren Energien wird zudem durch den Einfluss einer gut vernetzten wirtschaftlichen Elite behindert, die ein Interesse an Kohlestrom aus staatseigenen Betrieben hat; auch die Arbeitsplätze in Kohleminen sind ein Motiv.

Zusätzlich finanziert und fördert China in großem Umfang den Ausbau der Kohleverstromung in anderen Ländern. Ein wichtiger Grund dafür sind die Überkapazitäten heimischer Kraftwerksproduzenten, die man auf diese Weise abfedern will. Überschlägige Berechnungen zeigen, dass chinesische Staatsunternehmen derzeit Kohlemeiler mit mindestens 15 Gigawatt Gesamtleistung im Ausland direkt bauen und in der Finanzierung von weiteren Kraftwerken mit mindestens 31 Gigawatt indirekt involviert sind. Übrigens: Auch EU-Länder beteiligen sich immer noch an Kohlefinanzierungen, vor allem in Asien.

Kohleemissionen dürfen nicht umsonst sein

Wie kann man Schwellen- und Entwicklungsländer in die Lage versetzen, dem auf Kohle aufgebauten Wachstumsversprechen zu widerstehen?

Dr. Jan Steckel und Dr. Michael Jakob

Die entscheidende Frage lautet nun: Wie kann man Schwellen- und Entwicklungsländer in die Lage versetzen, dem auf Kohle aufgebauten Wachstumsversprechen zu widerstehen? Das ist umso dringlicher, als nach dem Eindämmen der Corona-Pandemie weltweit Konjunkturprogramme zum Wiederankurbeln der Wirtschaft aufgelegt werden. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Projekten sind rund um den Globus noch weitere Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 300 Gigawatt „zurückgestellt“. Die Versuchung könnte groß sein, solche Pläne nun aus der Schublade zu holen.

Hätten die CO2-Emissionen einen Preis, welcher die Umwelt- und Gesundheitskosten der Kohlenutzung widerspiegelt, wäre die Investition in neue Kohlekraftwerke kaum mehr attraktiv. Bisher wurden solche CO2-Preise hauptsächlich in OECD-Ländern in Form von Steuern oder Emissionshandelssystemen eingeführt. Auch China hat schon Pilotprojekte in einigen Provinzen durchgeführt und bereits vor längerer Zeit für das Jahr 2020 die Einführung eines nationalen CO2-Preises angekündigt. Doch wann und ob nun wirklich ein CO2-Preis kommt, der auch bestehende Kraftwerke unattraktiver machen würde, ist momentan immer noch offen.

Politische Widerstände überwinden

Die politischen Widerstände gegen eine CO2-Bepreisung sind gerade in ärmeren Ländern häufig sehr stark. Dabei könnten Entwicklungs- und Schwellenländer von einer angemessenen Bepreisung von Kohlenstoff durchaus profitieren. Es ist eine gute Möglichkeit, auch bei ausgeprägter Schattenwirtschaft Staatseinnahmen zu generieren – schließlich sind CO2-Preise administrativ recht einfach umsetzbar und schwer zu umgehen. Die Einnahmen könnten genutzt werden, um die Energieversorgung klimafreundlich auszubauen oder auch andere Entwicklungsziele zu erreichen. Zudem würde ein CO2-Preis in den meisten Ländern progressiv wirken, also langfristig helfen, das Wohlstandsgefälle in der Bevölkerung zu verringern.

Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft

Die internationale Gemeinschaft kann Länder bei der Einführung eines CO2-Preises unterstützen. So könnten Institutionen wie der Green Climate Fund statt einzelner Projekte verstärkt die Einführung einer derartigen Politik-Instruments fördern. Hilfreich als Flankierung sind auch internationale Finanzinstrumente, die Risiken bei der Investition in erneuerbare Energien verringern, wie zum Beispiel Kreditausfallversicherungen. Die Schwellenländer werden die Energiewende nicht allein aus eigener Kraft hinbekommen. Die „geteilte Verantwortung“ für den globalen Klimaschutz, wie sie in der Klimarahmenkonvention von 1992 und im Paris-Abkommen von 2015 vereinbart wurde, muss dringend in konkrete und effektive Maßnahmen übersetzt werden.

Über die Autoren

Dr. Jan Steckel

Leiter der Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC)

Dr. Jan Steckel leitet die Arbeitsgruppe „Klimaschutz und Entwicklung“ am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Der Ökonom forscht hauptsächlich zur Rolle von Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Vermeidung („mitigation“) des Klimawandels. Er war Leitautor zum Thema internationaler Kohleausstieg im UNEP GAP Report 2017 und wirkte als Autor an verschiedenen IPCC Berichten mit.

Dr. Michael Jakob

Senior Researcher, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC)

Dr. Michael Jakob ist Senior Researcher am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Er hat Physik, Volkswirtschaft und Internationale Beziehungen studiert und in Umweltökonomie promoviert. Seine Forschung konzentriert sich auf Klimaschutz in Schwellen- und Entwicklungsländern. Schwerpunkte dabei sind die Verteilungs­wirkung von Klimaschutzmaßnahmen und ihre Auswirkung auf soziale Gerechtigkeit sowie die Analyse der politischen Ökonomie von Energie- und Klimapolitik. Bevor er zum MCC kam, verbrachte Dr. Michael Jakob mehr als fünf Jahre als Doktorand und Postdoc am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung.

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