Klimaschutz und Wirtschaft zu versöhnen in einem Papier – dieser Umgang der Deutschen wird international wegweisend sein.
Nach den Empfehlungen ist vor der Umsetzung. Das gilt derzeit für den Kompromiss der Kohlekommission. Wir sprachen mit Kommissionsmitglied Gunda Röstel über das Ergebnis, die Stimmung in den Kohleregionen und die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft.
Stiftung Energie und Klimaschutz: Unmittelbar nach Veröffentlichung wurde der Kompromiss der Kohlekommission von vielen Seiten als Erfolg beurteilt. Seither mehren sich aber auch kritische Stimmen. Der Fokus richtet sich auf zu hohe Kosten, negative Folgen für die Versorgungssicherheit und steigende Strompreise. Umweltverbände wiederum bemängeln, dass die Maßnahmen nicht weit genug reichen. Wie bewerten Sie das Ergebnis und ist die Kritik ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Gunda Röstel: Das Wesen von Kompromissen ist, dass damit nie alle zu 100 Prozent zufrieden sind. Und bitte – niemand konnte ernsthaft erwarten, dass ein klima- und damit gesellschaftspolitisches Ziel sozial und wirtschaftlich zum Nulltarif erreichbar ist. Die Herausforderung, vor der wir standen, ist doch auch eine internationale: Wir brauchten einen Beschluss, der den jahrelangen politischen Streit in Deutschland befriedet und der aber auch international ein Zeichen setzt. Klimaschutz und Wirtschaft zu versöhnen in einem Papier – dieser Umgang der Deutschen wird international wegweisend sein und ich hoffe als Vorbild dienen. Zur Versorgungssicherheit finden sich sehr konkrete Vorschläge, etwa in den Möglichkeiten, wie wir flexible Reserven über Reservekapazität, Netzkapazität oder die Stilllegungsreserven steuern können. Die adressierten, fixen Monitorings bieten hierfür eine sehr wichtige Grundlage. Damit ist gesichert, dass in Deutschland auch zukünftig das Licht nicht ausgehen wird.
Kritik ist immer ein gutes Zeichen. Schlecht wäre es aber, wenn sich die Kritik nur mit Einzelheiten auseinandersetzt und nicht mit dem gesamtem Paket. Vor Einsetzung der Kommission hat es ja nicht an kritischen Debatten über die Details der Energiewende gemangelt. Was jetzt vorliegt ist die Zusammenführung aller Interessen, Bedenken und Zielvorstellungen, dem sehr, sehr unterschiedliche Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft zugestimmt haben. Wer jetzt anfängt, sich aus diesem Papier die Rosinen zu picken, der hat den Prozess nicht verstanden.
Stiftung: Schauen wir nach vorne: Wird sich die – zum Teil ja sehr erhitzte – Stimmung in den Regionen mit dem erzielten Kompromiss beruhigen lassen? Und was braucht es außer den finanziellen Zusagen der Bundesregierung in den unmittelbar vom Tagebau betroffenen Regionen jetzt vor allem?
Röstel: Wir brauchen einen sichtbaren und zügigen Beginn des strukturellen Umbaus. Es muss bald erfahrbar werden, wo zukunftsfähige Arbeitsplätze und Wertschöpfung entstehen. Dies bedeutet insbesondere in der Lausitz, aber auch in Mitteldeutschland und im rheinischen Revier, die Schaffung moderner infrastruktureller Voraussetzungen durch eine gute verkehrstechnische Anbindung. Und selbstverständlich auch die Bereitstellung leistungsfähiger, digitaler Infrastrukturen. Daneben gilt es, die Forschungs- und Innovationslandschaft etwa bei Energie und Mobilität zu stärken, um direkt an der Transformation beider Sektoren wirtschaftlich mit neuen Technologien wie Power- to- X oder autonomes Fahren partizipieren zu können. Und nicht zuletzt erwarten die Reviere zu Recht, dass neue staatliche Institutionen mittelfristig bevorzugt an diesen Standorten angesiedelt werden. Allein diese drei wichtigen Aktivitätsbereiche helfen, den Kohleausstieg abzufedern und zukunftsfest zu gestalten und sie liegen ausschließlich in der Gestaltungskraft verantwortlicher Politik auf Bundes- und Länderebene.
Zum Schluss braucht es uns alle als Verbraucher, die wir selber die Ärmel hochkrempeln und mit anpacken.
Stiftung: Der 2016 getroffene KfK-Beschluss hat die Situation bei der Kernenergie weitgehend befriedet. Sehen Sie hier Parallelen und glauben Sie, dass bei der Kohle langfristig ein ähnlicher gesellschaftlicher Konsens gelingt?
Röstel: In der Kommission ist dieser Konsens zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, zwischen Umweltverbänden und der Energiewirtschaft bereits gelungen. Wenn es nun auch noch gelingt, dass Bundestag und Bundesrat die Umsetzung in gesetzliche Rahmen zeitnah in diesem Jahr passfähig untersetzen und verabschieden, bin ich optimistisch. Vielen Menschen und Unternehmen vor Ort in den Braunkohlerevieren ist, wie ich aus eigenen Gesprächen erfahren habe, völlig klar, dass die Kohleförderung als wichtiges Kapitel der deutschen Industriegeschichte aus guten Gründen enden muss. Und wenn diese Regionen nun einen bundesweiten solidarischen Ausgleich erhalten, ist dies nicht nur berechtigt, sondern zeigt auch, dass wir in Deutschland in der Lage sind, mit wirtschaftlichen und sozialen Disruptionen umzugehen, indem wir gemeinsam handeln, das Gemeinwohl an die erste Stelle setzen und – trotz unterschiedlicher Standpunkte – den Respekt voreinander wahren.
Stiftung: Die Diskussion nach Veröffentlichung des Berichts hat sich auf zwei Zahlen verengt: Das Ausstiegsdatum 2038 und die Summe von 40 Mrd. €, die für die Struktur- und Wirtschaftsentwicklung zur Verfügung gestellt werden sollen. Warum finden die Optionen zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft, die ja einen wesentlichen Teil der Empfehlung ausmachen, bisher so wenig öffentliche Beachtung?
Röstel: In der öffentlichen Diskussion neigen wir dazu, uns an einfachen Symbolen festzuhalten. Ja, der Strukturwandel wird Geld kosten, aber betrachten wir dies doch als eine Investition, die mittel- und langfristig neue Wertschöpfung, neue Arbeitsplätze und damit auch neue Steuereinnahmen kreieren wird. Wenn wir jetzt klug und zügig investieren, können wir den Kohleausstieg zum wirtschaftlichen Wendepunkt in den Revieren führen. Klar hat man mit Blick aus Karlsruhe oder Stuttgart die Region zwischen Dresden und Cottbus heute nicht auf dem Schirm. Das muss und kann sich ändern, wenn beispielsweise die ersten neuen Pharmaka auf der Basis biogener Grundstoffe aus Weltzow, die ersten sensorgetriebenen skelettunterstützenden Bewegungsapparate aus Senftenberg oder die ersten Carbonfaser-Leichtbaulokomotiven aus Bautzen oder Görlitz kommen. Und beim Thema Ausstiegsdatum bin ich persönlich entspannt. Niemand kann heute vorhersagen, ob wir alle zeitlichen Schritte wie Netzausbau, das Hochfahren der Erneuerbaren, die Schaffung von hinreichend Speichermöglichkeiten punktgenau so schaffen und niemand kann mit Blick auf den CO2-Zertifikatehandel sagen, ob es nicht deutlich schneller geht. Genau deshalb haben wir auch eine Art Revisionsklausel 2032 in den Kommissionsvorschlag formuliert, damit man dann im Lichte des Erreichten weitere Weichen stellen kann.
Stiftung: Die Empfehlungen brechen etliche politische Blockaden der Vergangenheit auf: Kohleausstieg, beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren, Strukturentwicklung in der Lausitz, Eintritt in den Wettbewerb um das Energiesystem der Zukunft – das alles erscheint jetzt möglich. Was braucht es – außer der gesetzlichen Umsetzung der Empfehlungen – noch, damit die Vorschläge Realität werden?
Röstel: Mut und Klarheit und die Freude an der Gestaltung und dies auch noch auf allen Seiten. Dieser Wandel in Richtung des Klimaschutzes ist kein Solotanz der Politik. Kluge Unternehmen, die die Infrastrukturen für die Mobilität von Morgen schaffen oder an der Transformation unserer heutigen Gasversorgung in Richtung grüne Gase arbeiten, sind genauso gefragt wie Wissenschaftler, die mit künstlicher Intelligenz, mit ressourcenschonenden Grundstoffen und einer schnelleren Transformation von der Wissenschaft in die Praxis diesen Wandel gestalten. Zum Schluss braucht es uns alle als Verbraucher, die wir nicht jeden Stolperstein gleich als Felsbrocken beschreiben und selber die Ärmel hochkrempeln und mit anpacken. Weil ich im Grundsatz eine unverbesserliche Optimistin bin, glaube ich daran, dass wir den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen werden. Wir leben in einem liebenswerten Land mit vielen klugen Leuten. Mir machen die jungen Menschen Hoffnung. Jene, die an der Energieversorgung der Zukunft in den Universitäten und Unternehmen schon arbeiten. Und mir machen die Schülerinnen und Schüler Hoffnung, die – mittlerweile in einer globalen Bewegung – für den Klimaschutz auf die Straße gehen.
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