Wärmewende: machen statt zerreden

Gastautor Portrait

Dr. Martin Pehnt

Wissenschaftlicher Geschäftsführer und Vorstand, ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg

Dr. Martin Pehnt ist Energiewissenschaftler und wissenschaftlicher Geschäftsführer des ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg. Pehnt studierte Physik, Energietechnik und -management und forschte am National Renewable Energy Laboratory und am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. In zahlreichen Projekten für nationale und internationale Institutionen, Verbände und Unternehmen analysiert er energiepolitische Instrumente und Strategien für erneuerbare Energien und Energieeinsparung, untersucht Technikfolgen, Ökobilanzen und energiewirtschaftliche Auswirkungen und begleitet Pilotprojekte. Pehnt ist in zahlreichen Beiräten, Genossenschaften und Gremien für die Energiewende aktiv, unter anderem im Klimarat Hamburg und im Klimasachverständigenrat Baden-Württemberg. https://www.ifeu.de/team/detail/martin-pehnt/

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24. Januar 2024
Foto: graja/Shutterstock.com

Die Wärmewende wird Realität. Unternehmen mit klugen, leicht umsetzbaren Konzepten werden jetzt profitieren.

Die Diskussionen rund um die Wärmewende wirkten 2023 oft überreizt, hektisch und bisweilen chaotisch. Doch allen Unkenrufen zum Trotz hat sich in den vergangenen Monaten das Koordinatensystem der Wärmewende verschoben – und zwar zum Guten. Erstmals stand die wichtigste Frage der Energiewende auf der Agenda: was müssen wir tun, um die Wärmeversorgung in den nächsten zwanzig Jahren klimaneutral zu gestalten? Diese Debatte ist längst überfällig, denn Kaufentscheidungen für eine neue Heizung heute prägen die Klimabilanz noch des Jahres 2045.

Kern der Wärmepolitik ist der in den nächsten Jahren schrittweise steigende CO2-Preis. Das sorgt dafür, dass klimafreundliche Heizsysteme im Vergleich wirtschaftlicher werden. Doch auch jenseits des CO2-Preises wurden 2023 gleich drei wichtige neue Pflöcke eingerammt.

Warum 2023 das Jahr der Entscheidungen war

Die Bundesregierung hat den CO2-Preis noch immer nicht mit einem entlastenden Klimageld für alle Haushalte verbunden – und wird dieses in der aktuellen Legislaturperiode wohl auch nicht mehr einführen.

Dr. Martin Pehnt

Nach zwei Jahrzehnten, in denen stark auf den Ausbau von Erdgas als Energieträger der Wärmeversorgung gesetzt wurde, hat die Bundesregierung 2023 im Gebäudeenergiegesetz – das weit mehr ist als nur ein „Heizungsgesetz“ – das Jahr 2045 als Enddatum für das Heizen mit fossilen Energieträgern definiert. Heizungen, die neu eingebaut werden, müssen außerhalb von Neubaugebieten nach Vorliegen einer kommunalen Wärmeplanung mit 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden. Erdgasversorger und Heizölhändler müssen reagieren und sich langfristig neue Geschäftsfelder suchen. Noch stehen die Erträge aus dem Gasgeschäft bei den großen deutschen Stadtwerken für rund ein Viertel des Gesamtumsatzes.

Der zweite Pflock: Das 2023 verabschiedete Wärmeplanungsgesetz fordert von den Großstädten bis 2026 und von allen Kommunen bis 2028 ein gebietsscharfes Konzept für die Wärmeversorgung. Dies ist ein entscheidendes Element für stadt- und dorfweite Diskussionen: Wo werden gemeinschaftliche Wärmenetze entwickelt? Was passiert mit den Gasnetzen? Sind Wärmepumpen die beste Lösung oder gibt es Möglichkeiten beispielsweise für große Solaranlagen, die Nutzung von Abwärme, Gewässern oder Wärmespeichern? Dies sind einige der Fragen der Wärmeplanung, die Bürgerinnen und Bürger vor Ort jetzt gemeinsam konkret entscheiden können.

Drittens hat die Bundesregierung 2023 das Bundesprogramm effiziente Gebäude neu aufgestellt. Erstmalig enthält es auch eine wichtige soziale Komponente für einkommensschwache Haushalte, die eine Förderung von bis zu 70 Prozent bekommen. Ergänzend wird ein Kreditprogramm aufgelegt für alle, die sich die Investition in eine klimafreundliche Heizung nicht auf Anhieb leisten können.

2024 wird noch ein weiterer Pflock hinzukommen. Die Europäische Union verabschiedet dann die europäische Gebäuderichtlinie, die ab 2030 sogenannte „Zero Emission Buildings“ im Neubau verlangt und bei Bestandsgebäuden eine stufenweise Verbesserung der Energie- und Klimabilanz.

Kritikerinnen und Kritiker mahnen bei jedem dieser Pflöcke Verbesserungen an. Die Bundesregierung hat den CO2-Preis noch immer nicht mit einem entlastenden Klimageld für alle Haushalte verbunden – und wird dieses in der aktuellen Legislaturperiode wohl auch nicht mehr einführen. Die sozial differenzierte Förderung geht an Mieterhaushalten vorbei. Und das Gebäudegesetz wirkt erst in einigen Jahren und ist, nicht zuletzt durch das politische Hin und Her, kompliziert geworden. Dennoch ist ein Anfang der Wärmewende gemacht.

Der Markt reagiert: aber zwiespältig

Die Reaktionen im Wärmemarkt sind bislang zwiegespalten. Auf der einen Seite sind sie geprägt von Vorzieheffekten. Nach ersten Schätzungen wurden 2023 über 800.000 Gasheizungen verkauft, ein Plus von 37 % gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der verkauften Ölkessel hat sich sogar verdoppelt auf mehr als 100.000.

Die Betreiber dieser Heizungen werden spätestens mit dem Einstieg in den Emissionshandel 2027 den CO2-Preis spüren, der dann nochmals deutlich ansteigen könnte. Die Turbulenzen im Markt für grüne Gase – etwa Biogas – und die langen Planungszeiträume für den kostbaren und im Industriesektor stark nachgefragten grünen Wasserstoff zeigen, dass auch die klimafreundlichen Gasalternative in den nächsten zehn Jahren knapp sein werden. Um so wichtiger sind Wärmepumpen und Wärmenetze als Alternativen.

Im europäischen Vergleich ist Deutschland bei der Installation von Wärmepumpen noch stark im Hintertreffen. Mit 6,7 verkauften Geräten pro 1000 Haushalte liegt es auf dem drittletzten Platz. Norwegen hingegen führt die Liste mit dem fast zehnfachen Volumen an. Deutschland hat 2024 also das Potenzial, kräftig aufzuholen.

Zugleich sind sehr erfreuliche Markttrends zu erkennen. Über eine Millionen PV-Anlagen wurden 2023 installiert und produzieren Strom – auch für warmes Wasser und Heizungen. Der Absatz von Wärmepumpen stieg um rund 49 Prozent. Die Investitionen in neue Fabrikationsanlagen von Wärmepumpen haben sich europaweit versechsfacht. Wer jetzt neue Heizungstechnologien entwickelt und vermarktet, wird nach der gegenwärtigen „Rumpelphase“ bald wirtschaftlich erfolgreich sein.

Ein Jahr der Chancen für alle, die für die Wärmewende glühen

Aus der Phase des Planens müssen wir jetzt in eine Phase des Machens eintreten und über Lösungen reden, über Umsetzungen und Geschäftsmodelle, über innovative Versorgungskonzepte und neue Vermarktungsformen. Die Wärmewende muss nach einem Jahr hitziger Diskussionen, Verunsicherung und Nebelkerzen nun konstruktiv umgesetzt werden.

Wir benötigen technische Antworten in allen Gebäuden, alten und neuen, Reihenhäusern und Gründerzeitvillen, Einfamilienhäusern, Hotels und Industriehallen. Es gibt Gebäude, die schwieriger auf zukunftsweisende Heiztechnologien umzustellen sind. In Häusern mit Gasetagen- oder Nachtspeicherheizungen beispielsweise ist oft eine aufwändigere Zentralisierung der Heizung angeraten. Die gute Nachricht: Auch hierfür gibt es pragmatische technische Konzepte. Die Stadt Wien hat sie als Teil ihrer „Raus aus dem Gas“-Kampagne in einer Broschüre zusammengestellt: Wien stellt Bürgersteige für Erdwärmesonden kostenfrei bereit, Wärmeleitungen werden kostengünstig über die Fassade verlegt, und Etagenheizungen werden durch Wohnungsstationen ersetzt, deren Heizungsrohre durch den ehemaligen Kamin zu einer neuen Dach-Wärmezentrale führen. Auch neue wohnungsweise Wärmepumpenkonzepte werden installiert.

Zweitens brauchen wir mehr gemeinschaftliche Versorgung – und Unternehmen, die solche Konzepte auch kleineren Kommunen oder Stadtteilen anbieten. Wärmenetze ermöglichen es zumindest in Gebieten mit höherer Wärmeabfrage besonders elegant, Wärmequellen wie Gewässer, Abwärme oder Erdwärme zu nutzen und dabei flexibel auf die Entwicklungen im Energiemarkt zu reagieren. Vielerorts können auch kleine oder kleinste Wärmenetze oder kalte Nahwärmenetze sinnvoll sein, die einige Gebäude, Reihenhäuser oder Häuserblöcke gemeinsam versorgen. Kommunale Wärme-Firmen können Wärmenetze auf niedrigem Temperaturniveau betreiben und so auch in Gebieten mit geringerer Wärmenachfrage ihren Bürgerinnen und Bürgern die Mühen der Heizungsentscheidung abnehmen.

Drittens sind Konzepte gefragt, die es den Kundinnen und Kunden so einfach wie möglich machen, die Wärmewende kostenschonend umzusetzen. Mit standardisierten Technikelementen und Installationsabläufen, beispielsweise vorgefertigten Wärmepumpen-Modulen für Mehrfamilienhäuser, fällt die Entscheidung für eine klimafreundliche Heizung schneller. Immer mehr Unternehmen bieten die Miete von Wärmepumpen mit Rundum-Sorglos-Paketen an – vom Förderantrag über die Installation bis zum effizienten Betrieb und der Optimierung der Heizkörper-Temperaturen.

Die polarisierte Debatte der vergangenen Monate hat vielen die Lust verdorben, sich mit dem Thema Wärmeversorgung zu beschäftigen. Dabei bieten sich gerade jetzt Chancen. Statt nur über die Rahmenbedingungen zu sprechen, rückt endlich die konkrete Umsetzung der Wärmewende ins Zentrum. 2024 kann deshalb zum Jahr des Machens werden.

Weiterführende Links

Ab April 2024: Umsetzungshilfe für die Wärmewende. https://www.ifeu.de/projekt/zukunftsfaehige-waermeversorgungssysteme/

Niedertemperatur-Wärmenetze: Das Fallbeispiel Steinheim. https://www.ifeu.de/fileadmin/uploads/Publikationen/Energie/ifeu_rap_2023_Towards_low_flow_temperatures.pdf

Der Sanierungssprint: Sanieren in vier Wochen. https://deneff.org/portfolio-items/sanierungssprint/

Die Broschüre „Raus aus dem Gas“ der Stadt Wien: https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/energie/pdf/raus-aus-gas-projekte.pdf

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