War watt? Überparteiliche Vernunft für den Klimaschutz und den Ausbau der Erneuerbaren

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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21. April 2016
War watt? ist die energiepolitische Kolumne von Hubertus Grass. Hier geht es um die Energiewende. Wie bekommen wir die gut hin?

Wir erleben eine Premiere. Ein Gesetzentwurf aus einem Ministerium der Bundesregierung wird von einem Staatssekretär eines anderen Ressorts öffentlich und dazu noch in der Form eines Appells kritisiert. Ulrich Kelber, Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz und – im Ehrenamt – Botschafter der Global 100% RE Kampagne, griff jetzt zu diesem außergewöhnlichen Mittel. Offenbar ist ihm, einem engagierten Kämpfer für die Erneuerbaren Energien, die Politik seines Parteichefs so sehr ein Dorn im Auge, dass er im  Dienste der Vernunft bereit ist, alle regierungsüblichen Gepflogenheiten über den Haufen zu werfen und den Entwurf aus dem Hause Gabriel vereint mit Abgeordneten aus allen Oppositionsparteien zu kritisieren. Er handelt nach dem Vorbild Dalai Lama: „Lerne die Regeln, damit Du sie richtig brechen kannst.“ In dem gemeinsamen Appell des World Future Councils heißt es: „Mit der angekündigten EEG-Novelle wird Deutschland seinen Beitrag nicht liefern und seine Verantwortung nicht wahrnehmen können. Darüber hinaus wird dadurch auch der Wirtschaftsstandort Deutschland im globalen Wettbewerb geschwächt.“

Eine Koalitionsregierung aus drei Parteien wird nicht nur von einem Koalitionsvertrag, sondern auch von vielen ungeschriebenen Regeln zusammen gehalten. Eine dieser Regeln lautet, dass alle Konflikte intern zu regeln sind. Dafür sind die Parteien, die Arbeitsgruppen und Landesgruppen der Fraktionen und die – in Koalitionsregierungen viel beschäftigten Fraktionsführungen zuständig. Für die Konflikte, die partei- und fraktionsintern nicht abgeräumt werden konnten, gibt es dann noch den Koalitionsausschuss mit den Vorsitzenden der beteiligten Parteien.
In der SPD ist die Unzufriedenheit mit der Energiepolitik ihres Vorsitzenden offenbar derart gewachsen, dass die Kritiker von Sigmar Gabriel nun keinen anderen Ausweg sehen, als die Regeln zu brechen und sich gemeinsam mit Abgeordneten der Opposition gegen den eigenen Vorsitzenden stellen. Was Ulrich Kelber hier angezettelt hat, ist eine Revolte.  Eine Revolte für den Klimaschutz, eine nach dem Pariser Klimagipfel nötige Revolte, eine Revolte der Vernunft.

Vernunft in der Energie- und Klimapolitik darf nicht beim Koalitionsvertrag von 2013 stehen bleiben

Ulrich Kelber und seine Verbündeten „fordern eine Weiterentwicklung des EEG in einer Form, die die UKelberAusbauziele für Photovoltaik und die preisgünstige Windenergie an Land deutlich anhebt, die dezentrale Energiewende und aktiver Beteiligung der Bürger zur Priorität macht und mit den deutschen Klimaschutzzielen 2020-2050 abgeglichen wird.“ Das entspricht nicht den inhaltlichen Vorgaben des an dieser Stelle sehr feingliedrig ausgehandelten Koalitionsvertrages, den die Parteien 2013 beschlossen haben.  Formal, pacta sind nun mal servanda, setzen sich Kelber, seine SPD-Mitstreiter und der Abgeordnete Josef Göppel von der CSU ins Unrecht, inhaltlich kann man ihnen aber nur gratulieren, an dieser Stelle gemeinsame Sache mit Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen der Linken und den Grünen zu machen. Man kann nicht darüber hinweg sehen, dass sich die Welt seit 2013 weiter entwickelt hat und der Koalitionsvertrag in den Bereichen Energie und Klimaschutz Makulatur geworden ist:

Vernunft organisiert sich

Es ist gut, dass sich die Vernunft organisiert, parteipolitische Scheuklappen in dieser, die  Zukunft der Menschheit tangierenden Frage ablegt wird und eine neue Koalition jenseits der Eurosolar3bekannten politischen Arithmetik entsteht. Not tut eine Koalition, die sich um Parteizugehörigkeit in dieser Frage wenig schert, eine Koalition, der es um die Sache geht und die ein gesellschaftliches Bündnis schmieden will. Klimaschutz, der den Namen verdient, und der Ausbau der Erneuerbaren Energien verfügen in Deutschland über eine breite gesellschaftliche Mehrheit. Sie gilt es zu organisieren. Auch Eurosolar, die Europäische Vereinigung für Erneuerbare Energien, hat sichtbar die Nase voll von einer Energie- und Klimapolitik der faulen Kompromisse. Was die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in der Energie- und Klimapolitik wollen, skizziert die Zeitungsanzeige von Eurosolar wahrscheinlich mit größerer Treffsicherheit als der Koalitionsvertrag, den die der regierenden Parteien 2013 beschlossen haben.
Manchmal ist es augenscheinlich, dass die Verabredungen der Parteien der Vernunft widersprechen. Das war bei der regierenden Koalition so beim Betreuungsgeld und bei der Maut. Man hat es 2013 beschlossen und alle haben gehofft, dass diesem offensichtlichen Germanwatch-ErklärungUnsinn die Gerichte ein Ende bereiten. In der Energie- und Klimapolitik übernehmen jetzt die Vernünftigen das Heft des Handelns in die Hand. Mögen Sie erfolgreich sein. Außerdem ist es an der Zeit, die herrschende Anarchie zu beenden, in der der Bundeswirtschaftsminister im Verein mit einem Kumpel von den Gewerkschaften und ein paar Spezies in den Bundesländern ausbaldowert, wo es klimapolitisch lang geht.
Parallel organisiert sich auch die Zivilgesellschaft. Zahlreiche deutsche Umweltorganisationen haben heute einen Klimaschutzplan 2050 vorgelegt, der „…die notwendigen Transformationspfade und politischen Maßnahmen in den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie und Gewerbe/ Handel/Dienstleistungen (GHD), Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft/Landnutzung sowie übergreifende Strategien detailliert“ beschreibt. Dass nicht nur die Umweltorganisationen, sondern auch große Unternehmen wie die EnBW AG und andere nach Paris von der deutschen Politik stärkere Anstrengungen beim Klimaschutz fordern, macht Hoffnung. Beim Klimaschutz gibt es sie schon, die Koalition der Willigen.

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Watt watt? geht  jetzt in den Urlaub und macht bis zum 19. Mai Pause.

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  1. Windmüller

    vor 8 Jahren

    Nicht drekt zum Thema, aber trotzdem sehenswert: Am 01. Mai sendete die " Sendung mit der Maus" einen Beitrag über den Aufbau von EnBW Baltic 2 von Mukran/Rügen aus.

  2. Johanna Kick

    vor 8 Jahren

    Stimmt, die Sendung war wirklich sehr anschaulich gemacht. Aktuell kann man sie übrigens noch in der Mediathek anschauen: http://www.ardmediathek.de/tv/Die-Sendung-mit-der-Maus/Die-Sendung-mit-der-Maus-vom-01-05-2016/Das-Erste/Video?bcastId=1458&documentId=35037696

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