Neue Mobilität: Strampeln für das Klima oder was?

Gastautor Portrait

Sophia von Berg

Doktorandin und Gründerin

Sophia von Berg ist Doktorandin und Gründerin von Women in Mobility, dem Netzwerk für Frauen aus der Mobilitätsbranche. Während ihres Studiums der Volkswirtschaftslehre hat sie praktische Erfahrungen in unterschiedlichen Industrien und Branchen sammeln können. In der Mobilitätswelt ist Sophia fachlich angekommen und twittert neben ihrer Arbeit an der Dissertation Neuigkeiten zu den Entwicklungen im Mobilitätsmarkt. Zu ihren Schwerpunktthemen zählen die vernetzte Mobilität und Geschäftsmodelltheorien.

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07. Juni 2018
neue Mobilität, Quelle pixabay

„Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.“, war sich Gottlieb Daimler im Jahre 1901 sicher. Die fehlenden Chauffeure sollten jedoch nicht zu unserem größten Problem werden. Steigende CO2-, Lärm- und Licht-Emissionen sowie knapper werdende Räume heißen die Sorgenkinder von Politik und Stadtplanern. Auf dem Land ist das öffentliche Verkehrsnetz zumeist dürftig, Menschen ohne Auto haben das Nachsehen. Wo ist sie, die neue Mobilität?

Mach mal Zukunft!

Elektromobilität, Fahrradverleihsysteme, Carsharing, per App buchbare Shuttle-Busse, oder autonomes Fahren – davon hat fast jeder schon einmal gehört. Ist das die vielversprechende neue Mobilität? „Gibt es doch schon alles!“ würde der ein oder andere vielleicht sagen. Wie wäre es dann mit Hyperloop oder Multi-Level Verkehr inklusive Flugtaxis? Na, hört sich das schon eher nach Zukunft an? „Zukunft ist immer!“, würde ich antworten und der Mobilitäts- und Zukunftsforscher Stephan Rammler würde wahrscheinlich noch hinterher schieben: „Das ist neuer Wein in alten Schläuchen“. Damit meint er u.a. die Antriebstechnologien von Brennstoffzelle bis Elektromotor, die in eine alte, autofreundliche Infrastruktur und Mobilitätsdenke gepflanzt werden. Neue Technologien, Infrastrukturen und Dienstleistungen einfach nur bereitzustellen ist also doch kein Garant für die Lösung unserer Verkehrs- und Klimaprobleme. Der neue Wein schmeckt also etwas fahl. Nun ja, jetzt wollen wir nicht kleinlich werden, wir dürfen uns über die ganzen Neuheiten aus der Mobilitätswelt auch freuen. Es bewegt sich etwas, aber reicht das?

Alles neu und jetzt?

Wir stellen uns nun einen bunten Blumenstrauß an Mobilitätsangeboten für Stadt und Land vor: Öffentliche Verkehrsmittel haben Taktzeiten, die das Pendlerherz höher schlagen lassen, natürlich ist der stinkende Dieselbus längst von deutschen Straßen verbannt, die Landbevölkerung wird von (bald schon fahrerlosen) Mini-Bussen mit virtuellen Haltestellen effizient mobil gemacht, alles kann geshart werden und steht an Stationen oder an der nächsten Straßenecke zur Ausleihe bereit – vom E-Mikroauto, über den E-Scooter bis zum E-Skateboard. „Warum brauchen wir diese Vielfalt?“, könnte einer fragen. Dem würde ich antworten, dass nur die Vielfalt an Mobilitätsangeboten das private Auto ersetzen kann. In verschiedenen Situationen habe ich unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse, die beispielsweise auf dem Weg zur Arbeit durch eine zuverlässige U-Bahn und beim Einkaufen durch ein gemietetes Lastenrad erfüllt werden können. Vielfalt ist also schon einmal gut, da wo es Sinn macht. Und wenn die Verkehrsangebote ineinandergreifen, einfach zu nutzen und flexibel sind, haben wir doch die Wunderwaffe, oder?

Appell an die Moral?

„Ich habe ein Auto, damit bin ich flexibel und brauche den ganzen Quatsch nicht!“, sagt ein anderer. Dem überzeugten Autofahrer würde ich erwidern, dass er sich bereits vor 10 Jahren mit nur durchschnittlich 24 km/h durch den Berliner Stadtverkehr (U-Bahn Ø 31,5 km/h) quälte oder heute in München ganze 51 Stunden im Jahr im Stau steht. Ganz nebenbei, würde man diese Zeit anders investieren, könnte man in nicht einmal 4 Jahren eine Alltagskonversation auf Japanisch führen. Und dann habe ich noch gar nicht von dem ganzen drohenden Ungemach angefangen wie City-Maut und Dieselfahrverboten. Und da ist er wieder, der erhobene Zeigefinger, die Moralisierung des bösen Autos. Also am besten sollten wir alle nur noch auf dem Fahrrad strampeln für das Klima, oder was?

Aber selbst die immer öfter im Stadtbild zu sehenden Bikesharing-Systeme scheinen noch nicht jeden überzeugt zu haben. Der New Yorker Illustrator Marcellus Hall trifft den Zeitgeist mit seiner Zeichnung sehr gut – Indoor Spinning im Fitnesstempel ist total angesagt, der kostenlose Gesundheitsbonus beim Radfahren irgendwie nicht. Da frage ich mich gerade, warum auf einmal alle mit hippen Stofftaschen rumlaufen, gerne auch mit lustigem Schriftzug, Hauptsache individuell. Wo ist denn die alte Plastiktüte geblieben? Ja, da scheint sich was im Mindset der Einkaufstütenträger getan zu haben und das nicht erst seit der europäischen Plastiktüten-Richtlinie. Ist das jetzt so eine Art Lifestyle?

Mobilität = Lifestyle?

Ist das Geheimnis also die Individualisierung des Produkts? Ein auf mich und meine Bedürfnisse zugeschnittenes Mobilitätsangebot.

Sophia von Berg

Was wäre, wenn die neue Mobilität (Blumenstrauß s.o.) auf einmal zum Lifestyle gehört, der viele verbindet? Ich spreche hier nicht vom angestaubten Ökoimage oder dem oft gepredigtem Umweltbewusstsein. Ich spreche von der Lifestyle-Ekstase, in der ein Apple-Anhänger schwelgt, wenn er nach 3-tägigem Camping-Martyrium endlich das Ich-Telefon der neuesten Generation in den Händen hält. Zugegeben ist dieses Bild ein wenig überzeichnet, insbesondere, wenn ich an so manche stickigen Straßenbahn-Waggons mit Sitzbezügen im 90er Jahre-Look denke. Nehmen wir wieder das Stoffbeutel-Beispiel. Das Teil ist irgendwie schick geworden, man kann mit einem individuellen Aufdruck jede gewünschte Message („3 normale Brötchen und 2 verrückte bitte“) und damit auch ein Stückweit die eigene Persönlichkeit transportieren. Und praktisch ist der Beutel auch noch – aber das wussten wir vorher schon und haben trotzdem nie eine Einkaufstasche dabeigehabt.

Ist das Geheimnis also die Individualisierung des Produkts? Ein auf mich und meine Bedürfnisse zugeschnittenes Mobilitätsangebot. Gesteuert über einen digitalen Reisebegleiter, der mich persönlich anspricht und meine nahtlose Tür-zu-Tür Mobilität plant, bucht, umplant (Baum auf Schiene, Zug fällt aus) und bezahlt. Der mich live begleitet und wenn gewünscht, meine Aktivitäten auch mit meinen Freunden teilt. Vielleicht nehme ich anstatt eines Taxis einfach ein geshartes Shuttle, ein Freund hat sich gerade auf den nächsten on-demand Bus eingebucht, wäre doch nett ihn zu treffen! Das alles funktioniert natürlich nur, wenn die entsprechende Technologie und Infrastruktur das zulässt (bitte zum zweiten Absatz springen), aber einen Versuch wäre es doch wert. Individuelle Mobilität als Lifestyle!?

Gerne möchte ich mit Euch in Stuttgart bei den Urban Climate Talks am 14. Juni über dieses Konzept diskutieren. Was macht ein attraktives Mobilitätsangebot für Euch aus? Kann die tägliche Mobilität zum Lifestyleprodukt werden?

www.multi-mobility.de
s.vonberg@multi-mobility.com
www.womeninmobility.de

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