Der Landflucht entgegenwirken – Erneuerbare Energien und ihre Rolle in der Stärkung des ländlichen Raums

Gastautor Portrait

Wolfram Axthelm

Geschäftsführer für den Bereich Kommunikation, Politik, Europa und Strategie beim Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE)

Wolfram Axthelm ist Geschäftsführer für den Bereich Kommunikation, Politik, Europa und Strategie beim Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE), mit über 20.000 Mitgliedern einer der weltweit größten Verbänden der Erneuerbaren Energien. Seit 2019 ist er ebenfalls als einer von zwei Geschäftsführern im Dachverband der Erneuerbaren in Deutschland, dem Bundesverband Erneuerbare Energie, aktiv. Bis 2013 verantwortete der studierte Agraringenieur und Diplom-Betriebswirt als Sprecher die Öffentlichkeitsarbeit der CDU Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern.

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30. September 2019

Ist es wachsende Frustration, welche sich in einigen Teilen Deutschlands schon heute im Erstarken radikaler Parteien manifestiert?

Wolfram Axthelm

Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt auf dem Land. Die voranschreitende Urbanisierung stellt die Dörfer und Kleinstädte in diesen Regionen allerdings vor besondere strukturpolitische Herausforderungen, denen sich Politik und Gesellschaft ernsthaft stellen müssen.

Die starke Abwanderung von Jugendlichen und Arbeitnehmern führen dazu, dass staatliche und soziale Strukturen – von Ämtern, Polizei und medizinischer Versorgung über Bildungs- und Kultureinrichtungen, die öffentlich getragene Mobilität bis zu Einkaufsmöglichkeiten, aber auch die Handlungsfähigkeit von Vereinen und Verbänden – unter Druck geraten.

Neben fehlenden Bildungs- und Anstellungsmöglichkeiten beschleunigen Aspekte wie ein als unzureichend empfundener Mobilfunkempfang und Internetzugang diese Entwicklung. Dies wirft Fragen nach dem sozialen Zusammenhalt und der demokratischen Entwicklung auf. Ist es wachsende Frustration, welche sich in einigen Teilen Deutschlands schon heute im Erstarken radikaler Parteien manifestiert? Wenn ja, wie kann dieser Entwicklung entgegengewirkt werden?

Wie können wir ländliche Regionen stärken?

Die Bundespolitik hat die Herausforderung erkannt. Auf dem „Zukunftsforum Ländliche Entwicklung“ stellten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner erste Maßnahmen vor. Ihr Credo: „Das Land hat Zukunft“. Die Menschen in der Uckermark oder der Lausitz, im Bayerischen Wald oder der Pfalz machten sich Sorgen um Arbeitsplätze, um Schulschließungen und wegfallenden Busverbindungen, gesteht Steinmeier ein. Und weiter führt er aus: „Nur dort, wo Menschen eine Arbeit finden, wo sie für ihre Familie sorgen können, nur dort hat das Leben auf dem Land gegen den demographischen Wandel eine Chance. Wo es Arbeit gibt, lebt eine Region.“ Man müsse die Lebensverhältnisse „angleichen“, heißt es immer wieder auf politischen Podien. Doch welche Unternehmen investieren in den ländlichen Raum, wo die Zahl an jungen, gut ausgebildeten Facharbeitern in attraktiven Städten wie München, Berlin oder Hamburg doch viel höher ist?

Erneuerbare Energien schaffen verlässlich Wertschöpfung

Über die konsequente Einbindung der Bürger vor Ort in die Projekte profitieren viele Menschen direkt.

Wolfram Axthelm

Eine der wenigen Branchen, die über lange Zeiträume bewiesen hat, dass sie den ländlichen Raum stärken kann, ist die Branche der Erneuerbaren Energien. Ganz im Norden Deutschlands hat es vor allem die Windenergie vorgemacht. Schleswig-Holsteins Küstenstreifen waren über lange Zeit hinweg strukturell eine der schwächsten Regionen Deutschlands. Die Kommunen hingen weitgehend am Tropf der Zuweisungen aus strapazierten Landeshaushalten. Die wenigen Betriebe brachten kaum nennenswerte Gewerbesteuereinnahmen. Geld für Investitionen in die Infrastruktur fehlte.

Dann kam die Windenergie. Enthusiasten und Vordenker motivierten die Menschen gemeinsam anzupacken. Große Bürgerwindparkgesellschaften stemmten Millioneninvestitionen. Über die konsequente Einbindung der Bürger vor Ort in die Projekte profitieren viele Menschen direkt. Gesicherte Gewerbesteuereinnahmen befreiten die Kommunen und Landkreisen nach und nach aus der Abhängigkeit von Finanzzuweisungen des Landes. Die Ergebnisse sind für alle sichtbar. Marode Straßen sind saniert und heruntergekommene Gemeindehallen modernisiert. Windparkgesellschaften investieren in die Breitbandanbindung, engagieren sich für soziale Infrastruktur und unterstützen das Vereinsleben. Unternehmen aus den Bereichen Service und Wartung siedeln sich an und schaffen Ausbildungs- und Arbeitsplätze.

Große Nachfrage aus der Industrie nach CO2-freiem Strom

Die Windenergie in Schleswig-Holstein ist heute einer der Wirtschaftsfaktoren. Die Branche plant bereits die nächsten Schritte. Windmüller wollen den CO2-freien Strom vor Ort „veredeln“. Industrie und Gewerbe wollen die CO2-Freiheit ihrer Produktion und Fertigung nachweisen. Diese Nachfrage wird durch die Einführung des Emissionshandels in den Bereichen Verkehr und Wärme verstärkt. Anstatt CO2-freien Strom nur ins Netz zu geben, sind die Schlagworte nun Direktbezug, Elektrolyse und Wasserstoff. Damit verbreitert sich das gewachsene Wertschöpfungsnetzwerk weiter und wird in den ehemals strukturschwachen Regionen neuen Wohlstand schaffen.

Chancenkommunikation statt dauernde Problembeschreibung

Es braucht nicht neue Hürden für die Unternehmen und Menschen vor Ort, sondern aktive Begleitung durch Bund, Länder und Regionalplanung!

Wolfram Axthelm

Diese Chance gilt es jetzt zu ergreifen. Dafür braucht es allerdings auch einen mutigen gesetzlichen Rahmen. Der Gesetzgeber ist dabei mehr denn je gefordert.

Es braucht eine echte Chancendebatte, statt laufende Problembeschreibungen, um den Strukturwandel positiv zu begleiten. Erleichterungen durch Straffung und Konzentration von Verwaltungsverfahren sind notwendig. Neue Irritationen wie die Debatte um bundeseinheitliche Mindestabstände sind zu vermeiden. Nach dem Windgipfel am 5. September wartet die Branche auf ein Signal des Aufbruchs aus dem Bund. Die Entscheidungen im Klimakabinett gilt es zu präzisieren und in Bezug auf die Flächenkulisse für die Windenergie handhabbar zu machen.

Es braucht nicht neue Hürden für die Unternehmen und Menschen vor Ort, sondern aktive Begleitung durch Bund, Länder und Regionalplanung!

Wertschöpfung aus Windenergie – ein Modell für die Lausitz?

Erfolgsgeschichten lassen sich nicht immer 1:1 kopieren, aber man kann von ihnen lernen. Das gilt derzeit besonders für die Lausitz. Die traditionelle Kohleregion braucht Alternativen, die neue Beschäftigung schaffen und die Kommunen finanziell tragen. Neben finanziellen Hilfen des Bundes ist ein Impuls aus der Region selbst wichtig, um den Umstieg auf Erneuerbare Energien als einen Aufbruch zu gestalten. Wie die neue Energieregion Lausitz nach der Kohle aussehen könnte, zeigen die die Reallabore der Energiewende. Mit dem „Reallabor Lausitz“ und dem „Referenzkraftwerk Lausitz“ werden gleich zwei von bundesweit 20 Projekten in der Region zukünftig gefördert. Sie zeigen: Technologischer Fortschritt auf Grundlage Erneuerbarer Energien kann strukturellen Wandel in ländlichen Regionen begleiten und langfristige wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität ermöglichen.

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