„Post Corona? Post Klimawandel?“
Diese Frage diskutieren unsere Podiumsgäste beim Debattenabend am 21. Juli im Livestream. Einer der Gäste ist Dr. habil Jörg Jasper, den wir hier im Interview zu seinen Einschätzungen befragt haben. Mehr zum Debattenabend inklusive Link zum Livestream gibt es hier.
Dr. habil. Jörg Jasper
Konzernexperte Energiewirtschaft und Energiepolitik, EnBW Energie Baden-Württemberg AG
Redaktion: Wie schätzen Sie und weitere Wirtschaftsexperten die aktuellen Entwicklungen am Energiemarkt „Post-Corona“ ein?
Jörg Jasper: Die weiteren Entwicklungen im Energiemarkt hängen z.T. vom weiteren Verlauf der Corona-Krise ab, werden aber auch durch fundamentalere Zusammenhänge geprägt, die schon vor Corona existierten und allenfalls durch die Krise weiter akzentuiert wurden. Der weitere Verlauf der Krise mit ihren Auswirkungen auf die Volkswirtschaft ist naturgemäß weiterhin unsicher. Die meisten Ökonomen gehen derzeit davon aus, dass sich die Konjunktur in Form eines stark asymmetrischen „V“ entwickeln wird, d.h. die Erholung wird wesentlich langsamer gehen als der Einbruch. Der Einbruch in diesem Jahr dürfte aber von zusätzlichem Wachstum in den kommenden Jahren wieder ausgeglichen werden, so dass wir auf der langfristigen Wachstumstrajektorie bleiben werden. Das würde bedeuten, dass sich auch die Lage auf den Energiemärkten wieder etwas normalisiert.
Einen Teil dieser Normalisierung beobachten wir derzeit schon auf den Terminmärkten für Strom, die wieder auf ihr Vorkrisenniveau zurückkehren. Die Marktteilnehmer sind schon sehr früh von einer langfristigen Normalisierung im Strommarkt ausgegangen. Dies hat sich daran gezeigt, dass sich die Preise für langfristige Terminprodukte (klassisches Jahresprodukt) sehr schnell wieder stabilisiert haben, nachdem sie zeitweise um etwa ein Viertel eingebrochen waren. Die Preise für kurzfristige Terminprodukte (z.B. Monatsprodukte) waren vorübergehend um etwa die Hälfte eingebrochen, inzwischen aber auch wieder auf einem deutlichen Erholungspfad. Interessant war die Entwicklung auf dem CO2-Markt, denn dieser hat sich rasch gefangen und ist auf sein Vorkrisenniveau zurückgekehrt. Die Marktteilnehmer glauben offenbar daran, dass die stabilisierenden Marktregeln („Marktstabilitätsreserve“) greifen wird und dass die anstehende Reform des Emissionshandels kommen und auch erfolgreich sein wird. Das ist, denke ich, eine sehr rationale Erwartung. Etwas anders verhält es sich beim Gaspreis, der wegen des Überangebotes schon länger unter Druck ist, was durch den milden Winter noch akzentuiert wird. Corona ist für diese Entwicklung also letztlich nicht der primär bestimmende Faktor. Da das Überangebot bestehen blieben wird, wird auch der Gaspreis niedrig blieben.
Wenn – abschließend gesagt – die Stromnachfrageentwicklung ein (aber auch nur ein Indikator) dafür ist, wie gut sich eine Volkswirtschaft in einer Rezession schlägt, dann hat sich Deutschland ganz gut geschlagen. Hier ging die Stromnachfrage maximal um ca. 10 Prozent zurück; in Frankreich und Italien war der Rückgang doppelt so groß. Die Kompetenz, mit der hierzulande doch insgesamt die Krise gehandhabt wurde, lässt hoffen, dass wir auch eine „zweite Welle“ einigermaßen werden verarbeiten können – verharmlosen darf man diese allerdings keineswegs.
Redaktion: Welche Prognosen wagen Sie in Bezug auf die Wirkung der Corona-Pandemie für die Erreichung der europäischen und insbesondere deutschen Klimaziele 2030?
Jörg Jasper: Wir erwarten derzeit keine nennenswerte Corona-bedingte Abschwächung im klimapolitischen Ambitionsniveau. Zwar gab es Diskussionen, diese Ambitionen zurückzufahren, aber die Konjunkturprogramme der EU und des Bundes zeigen klar auf, dass man die Situation nutzen möchte, um den Strukturwandel hin zu einer klimafreundlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur sogar noch zu beschleunigen. So sollen 25% der Ausgaben aus dem europäischen Konjunkturpaket in Klima- und Energieprojekte fließen, die den europäischen „Green Deal“ befördern; das deutsche Paket legt eine starke Betonung auf Themen wie Elektromobilität und klimafreundlichen Wasserstoff. Das alles ist aus unserer Sicht vernünftig, denn Corona wird (hoffentlich) in wenigen Jahren ausgestanden sein; der Klimawandel dagegen bleibt ein Dauerproblem.
Die COVID19-Pandemie hat Tendenzen verstärkt und beschleunigt, die wir am Strommarkt schon zuvor beobachtet hatten.
Redaktion: Gibt es aufgrund der COVID19-Pandemie überraschende Entwicklungen am Strommarkt, die auch mittel- und langfristig wahrnehmbar sind?
Jörg Jasper: Ich denke, dass sich die Überraschungen insgesamt in Grenzen gehalten haben. Die COVID19-Pandemie hat Tendenzen verstärkt und beschleunigt, die wir am Strommarkt schin zuvor beobachtet hatten.
Redaktion: Welche positiven mittel- und langfristigen Auswirkungen hat Ihres Erachtens das aktuelle Konjunkturpaket der Bundesregierung auf Energiewende und Klimaschutz?
Jörg Jasper: Die jetzt nicht allein in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern und der EU beschlossenen Konjunkturpakete haben die Gemeinsamkeit, dass sie neben den erforderlichen schnell wirkenden Maßnahmen den klimaorientierten Strukturwandel beschleunigen werden. Die Staaten haben erkannt, dass sie die Krise und die damit verbundenen Staatsausgabenprogramme zum Anlass nehmen können, um den ohnehin erforderlichen Strukturwandel hin zu klimafreundlichen Volkswirtschaften zu beschleunigen und zu intensivieren. Um diese beabsichtigte positive Wirkung zu maximieren, müssen die richtigen Maßnahmen ausgewählt und effektiv umgesetzt werden, d.h. es kommt jetzt darauf an, ein Konzept zur richtigen Maßnahmenauswahl und -spezifizierung zu entwickeln. Dies ist bisher – anders lies dies die knappe Zeit auch nicht zu – nur in Ansätzen vorhanden. Wir als EnBW arbeiten bspw. gerade daran, wie der Übergang in eine Wasserstoff-Welt genau ausgestaltet werden sollte, damit die Pariser und Brüsseler Klimaziele effizient eingehalten werden können.
Die jetzt beschlossenen Programme sind übrigens auch deshalb besonders glaubwürdig, weil sie gerade nicht allein darauf abzielen, das Klima zu schützen. Sie sich daneben auch industriepolitische Projekte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrien. Wenn Politik und Industrie an einem Strang ziehen, sind die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Erfolg natürlich besonders gut.
Redaktion: Wie bewerten Sie die geplanten CO2-Abgaben?
Jörg Jasper: Wenn man CO2 einsparen möchte, ist es das effizienteste Mittel, CO2 zu bepreisen – das ist meine tiefe Überzeugung als Ökonom. Wir als EnBW haben uns immer für einen starken Emissionshandel und insbesondere einen Mindestpreis im Emissionshandel eingesetzt, um die Marktintegration der Erneuerbaren zu erleichtern und deren marktbasierten Ausbau zu beschleunigen. CO2-Preise auch in anderen Sektoren wie Gebäude oder Verkehr sind vernünftig. Ich denke nur, dass die Art und Weise, wie man diese jetzt einführt (de facto für die nächsten Jahre eine Steuer, die man aber nicht so nennen möchte und deswegen als Zertifikatehandel mit Festpreis ausgibt) unnötig kompliziert ist.
Obwohl die Einführung einer umfassenden Bepreisung von CO2 richtig ist, denke ich, dass das von den CO2-Preisen in den kommenden Jahren ausgehende Steuerungssignal alleine noch nicht ausreichen wird, um die notwendigen strukturellen Änderungen (Stichwort: Übergang in eine Wasserstoffwirtschaft) herbeizuführen. Daher müssen sie noch für einige Jahre um Zusatzinstrumente ergänzt werden, um eine Nachfrage nach klimafreundlichen Lösungen (z.B. „grüner“ Wasserstoff) anzukurbeln und gleichzeitig insbes. die Industrie von zusätzlichen Kosten zu entlasten.
Redaktion: Bekommt der Ausbau der Erneuerbaren durch das Konjunkturprogramm neuen Rückenwind? Und welche latenten Risiken für einen neuerlichen Ausbaustopp sind noch vorhanden?
Jörg Jasper: Der unbefriedigende Ausbau der Erneuerbaren, insbes. von Onshore Wind, ist ein komplexes Dauerproblem, das sich auch durch ein Konjunkturpaket nicht ohne weiteres lösen lässt. Geld für die Erneuerbaren wäre ausreichend vorhanden; es sind vor allem die umfangreichen, zeitraubenden und letztlich rechtlich wie betriebswirtschaftlich riskanten Planungs- und Genehmigungsverfahren, die den Ausbau hemmen. Das Problem ist allen Beteiligten gut bekannt und wir erkennen viel guten Willen, es zu lösen, aber hier sind noch „dicke Bretter zu bohren“.
Diskutieren Sie mit