Gemeinsam für mehr Natur in der Stadt – Einblicke in neue Kooperations- und Finanzierungsmodelle aus Stuttgart

Gastautor Portrait

Sophie Mok

Expertin für Stadtbegrünung, The Nature Conservancy

Sophie Mok ist Expertin für Stadtbegrünung bei The Nature Conservancy. Seit Mai 2022 unterstützt sie im Rahmen des Europe Urban Greening Programms die Stadt Stuttgart bei der Umsetzung neuer naturbasierter Lösungen. Dabei arbeitet sie aktiv in der Stabsstelle Klimaschutz der Stadt mit und betreut den Stuttgarter Klima-Innovationsfonds mit Fokus auf Projekten zur Klimafolgenanpassung. Sophie hat Bioökonomie (M.Sc.), Umweltwissenschaften und Hydrologie (B.Sc.) studiert und war zuvor als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin für nachhaltige Stadtentwicklung und naturbasierte Lösungen bei der Fraunhofer-Gesellschaft, Europas größtem Verband für angewandte Forschung, tätig.

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03. Juli 2023

Die Renaturierung von Städten und neue Ansätze zur Implementierung und Erhaltung von grün-blauer Infrastruktur sind wichtige Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Pflanzen können Niederschlagswasser auf natürlichem Wege vor Ort aufnehmen, reinigen, und die Versickerung begünstigen. Über Verschattung und Verdunstung sorgen sie wiederum für angenehmere Temperaturen und vermeiden die Bildung von städtischen Hitzeinseln. Des Weiteren schafft ein begrüntes Stadtumfeld attraktive Erholungs- und Begegnungsräume, bietet Lebensraum für Insekten und Tiere, und kann neue Funktionen, wie etwa den Anbau von Lebensmitteln, wieder in die Städte bringen. Doch es müssen noch viele technische, gesellschaftliche und verwaltungstechnische sowie wirtschaftliche Hindernisse überwunden werden, um sogenannte „naturbasierte Lösungen“ (NBS) in den aktuellen Planungsprozessen zu stärken und in die Breite zu bringen.

Der Klimawandel in Stuttgart

Laut Prognosen des Deutschen Wetterdienstes wird Stuttgart Deutschlands heißeste Großstadt. So müsse die Stadt bis 2050 an bis zu 70 Tagen im Jahr mit Temperaturen von 30 Grad und mehr rechnen. Das wären mehr als doppelt so viele Hitzetage wie im Hitzesommer 2018 und vier Mal so viele wie im Jahr 2050 auf die Hauptstadt Berlin zukämen. Die topografische Lage, der sogenannte „Talkessel“, sowie die dichte Bebauung begünstigen dabei die Bildung urbaner Hitzeinseln und erschweren den Luftaustausch. Ebenso ist zukünftig mit mehr Starkregenereignissen zu rechnen, wie heftige Regenfälle im Sommer 2021 bereits gezeigt haben. Mit dem Klimafahrplan 2035 hat die Stadt nun einen Maßnahmenplan beschrieben, um bis 2035 klimaneutral zu werden und gleichzeitig auch Voraussetzungen für eine gute Klimafolgenanpassung zu schaffen. Ein detailliertes Klimafolgenanpassungskonzept soll 2024 aktualisiert vorliegen.

Zusammenarbeit im Stuttgarter Klima-Innovationsfonds

Um sowohl den Klimaschutz als auch die Klimaanpassung zu beschleunigen, hat Stuttgart im Jahr 2021 den Stuttgarter Klima-Innovationsfonds eingerichtet. Dieser fördert neue Ideen aus der Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft und unterstützt diverse Akteure beim Transfer innovativer Klima-Lösungen in die Praxis sowie bei der Skalierung von Pilotprojekten. Mit einem Budget von 13 Millionen Euro ist er Europas größter kommunaler Innovationsfonds für das Klima. Der Stuttgarter Klima-Innovationsrat mit breiter fachlicher Expertise wurde einberufen, um die besten Projektvorschläge auszuwählen. Ein ergebnisbasiertes Zahlungssystem ermöglicht eine hohe Wirksamkeit des Fonds, ein zielorientiertes Projektmanagement sorgt für schlanke Verwaltungsprozesse.

Wie Kooperationen städtische Natur unterstützen können

Eine Vision, wie mehr Natur in der Stadt in Stuttgart aussehen könnte zeichnet der Reinventing Society e.V., Zentrum für Zukunftsutopien.

Bild: Reinventing Society e.V.

Durch die Kooperation mit der Umweltschutzorganisation The Nature Conservancy (TNC) ist eine zusätzliche Förderlinie entstanden, die 3 Millionen Euro für Projekte und neue Ansätze reserviert, die mehr Natur in die Stadt bringen. TNC steuert 750.000 Euro zu der neuen „Efeu-Förderlinie“ bei sowie eine Personalstelle, welche Programm und Antragstellende inhaltlich und im Management unterstützt. Die Partnerschaft ist im Rahmen des 2020 gestarteten Europe Urban Greening Programs von TNC entstanden. In ausgewählten Partnerstädten unterstützt TNC dabei städtische Ämter bei ihrer Arbeit für mehr urbanes Grün. Der Fokus der Zusammenarbeit richtet sich nach der individuellen Situation und den Bedarfen der jeweiligen Stadt. So wurden beispielsweise auch in Berlin gemeinsam mit dem Umwelt- und Naturschutzamt Charlottenburg-Wilmersdorf verschiedene Projekte vorangetrieben, welche die biologische Vielfalt schützen und die Klimaresilienz erhöhen.

Stadtbegrünung und soziale Infrastruktur gehen dabei Hand in Hand, womit eine hohe Akzeptanz durch aktives Engagement und öffentliche Beteiligung sichergestellt wird. Durch eine enge Zusammenarbeit von NGO und Stadtverwaltung, können neue Mittel und Kapazitäten für die Planung und Umsetzung naturbasierter Lösungen in der Stadt geschaffen werden. Erfolgreiche Projekte und Lessons learned werden so repliziert und mit weiteren Städten geteilt. Das Europe Urban Greening Program wird unter anderem von Amazon’s Right Now Climate Fund unterstützt.

Innovative NBS Projekte

Die „wilde Klimawand“ ist eines der Innovativen NBS Projekte, welches TNC und die Stadt Stuttgart im Rahmen des Stuttgarter Klima-Innovationsfonds fördern

Bild: Sophie Mok

Bisher sind in der Efeu-Linie über 20 Projektanträge eingegangen, von denen 8 zur Förderung ausgewählt wurden. Beispiele für geförderte Projekte sind:

  1. die Entwicklung, Skalierung sowie das Klima- und Biodiversitätsmonitoring eines neuen Grünfassadensystems mit integrierten Habitatstrukturen für lokale Insekten-, Vogel- und Fledermausarten
  2. ein sozial-ökologisches Kunstprojekt, das neue Moderations- und Entscheidungsfindungsprozesse nutzt, um lokal angepasste NBS-Projekte zu entwickeln und eine neue Begrünungsbewegung zu initiieren
  3. ein Co-Creation- und Partizipationsprozess, um unterstützende Governance-Strukturen zu schaffen und NBS in die Klimaanpassungsstrategie der Universität Stuttgart zu integrieren
  4. die Entwicklung einer gemeinsamen Begrünungsvision und die Installation von Pilotmaßnahmen in einer zentralen Einkaufsstraße, um mikroklimatische Auswirkungen sowie die Wahrnehmung und das Einkaufsverhalten der Passanten zu untersuchen.

Auch Themen wie die Wiederverwendung von Abwasser zu Bewässerungszwecken, die KI-gestützte Modellierung von Ökosystemdienstleistungen lokaler Straßenbäume sowie das gemeinschaftliche Errichten von Tiny Forests oder mobilen Begrünungen in Gewerbegebieten werden angegangen. Im Herbst 2023 und Frühjahr 2024 werden weitere Förderrunden ausgeschrieben, auf die sich Organisationen aus ganz Europa bewerben können. Das Europe Urban Greening Program sowie der Stuttgarter Klima-Innovationsfonds zeigen somit neue Wege auf, wie NGOs, Städte und weitere Akteure übergreifend zusammenarbeiten können – für eine grüne und lebenswerte Stadt der Zukunft.

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  1. Rolf Neff

    vor 9 Monaten

    Hitzeinseln gibt es viele in Stuttgart.
    Ich stehe Freitags mit meinem Bäckereiwagen auf dem Marienplatz (Haltestelle Zacke)
    Da brennt die Sonne erbarmungslos auf einen komplett freien Platz.

    Da gibt es auch schon mal im Sommer an die 40 °C.
    Es ist mir schleierhaft wie man aus einem ehemals Baumbestandenen Park sowas macht.

    Mit freundlichen Grüßen
    Rolf Neff

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