War watt? Flüchtlingskrise und Energiepolitik

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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26. November 2015
Energiewende aktuell

Über die Flüchtlingskrise reden alle. Über Energiepolitik reden viele und die schon sehr lange. Über Flüchtlingskrise und Energiepolitik im Zusammenhang reden aber nur ganz wenige. Das ist falsch und sollte sich ändern, denn die Flüchtlinge von heute sind eine Folge der Energiepolitik von gestern. Um am Horizont zeichnen sich schon die Flüchtlingskarawanen ab, die unsere derzeitige Energiepolitik in Bewegung setzen wird. Der Kampf der Industrienationen um Macht, Einfluss und das Öl hat die Staatswesen geschaffen und destabilisiert, aus denen heute die Masse der Schutz suchenden Menschen kommt. Morgen werden es Klimaflüchtlinge sein, die sich in Bewegung setzen, weil unsere Energiepolitik ihnen keine andere Wahl lassen wird.

Ein Energiewendeblog ist kein politisches Seminar, wo Gelegenheit besteht, akribisch nach zu zeichnen, welche Kollateralschäden die Energiepolitik des Westens im Nahen und Mittleren Osten in den vergangenen 100 Jahren angerichtet hat. Daher nur so viel: Die deutsche Außenpolitik segelte seit dem Beginn der Bundesrepublik im Windschatten unserer westlichen Partner. In unserer gemeinsamen Gier nach Öl, Gas und Einfluss beteiligten wir uns an der Zerstörung von Demokratien und der Stabilisierung von Diktaturen. Unsere  Geschäftsbeziehungen z. B. zum verbrecherischen Regime des Schahs von Persien waren uns wichtiger als unsere Werte. Wir waren blind für die kurz- und langfristigen Folgen unserer Politik.

Und diese Blindheit setzt sich fort. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert wissen wir um die Ursachen des Klimawandels. Schon 1987 berief der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ ein. Viel getan hat sich seither in deutschen Klimapolitik nicht – sieht man einmal vom Untergang der DDR-Wirtschaft mit ihrer rückständigen Wirtschaft und den überbordenden CO2-Emissionen ab – sind die Fortschritte beim Klimaschutz seit fast 30 Jahren eher bescheiden. Im Verkehrssektor wurde – Dank des Einflusses der Unternehmen auf politische Entscheidungen – trotz zahlreicher Programme in zwanzig Jahren nicht ein Kilogramm CO2 eingespart. Und heute feilscht eine Bundesregierung, die in gleicher parteipolitischer Konstellation bereits vor zehn Jahren regierte und sich auf klimapolitische Ziele für 2020 verständigte, um jede Tonne CO2 und den Preis der Minderung. Wissenschaftler sagen: So schafft ihr das nicht.

Flüchtlingskrise und Energiepolitik

Flüchtlingskrise und Energiepolitik zusammen denken statt einer Politik des kleinen Karos

Beim Klimagipfel, der in der nächsten Woche der Klimagipfel in Paris beginnt, geht es auch um die Flüchtlinge der Zukunft.  Einer Greenpeace-Studie zufolge werden in den nächsten 30 Jahren 200 Millionen Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen, wenn der Klimawandel sich fortsetzt wie bisher.
Auf den Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen, einer Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministers, ist bereits von Prognosen von bis zu einer Milliarde Klimaflüchtlingen im Jahr 2050 zu lesen.
Vor dem Hintergrund dieser Szenarien wirken die Streitigkeiten um kleinste, sehr teuer erkaufte Fortschritte beim nationalen Klimaschutz absurd. Im Gegensatz zu uns tragen die Flüchtlinge am menschengemachten Klimawandel keine Schuld. Sie werden zu Opfern einer Politik des ganz kleinen Karos, bei der der Einfluss eines Firmenchefs oder eines Gewerkschaftsfunktionärs und nicht der Klimawandel und seine dramatischen Folgen das Maß des Handelns bestimmen. 2015 wird das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, die Durchschnittstemperatur der Erde ist durch die Industrialisierung bis jetzt schon um ein Grad gestiegen und wir wissen, dass das CO2, das wir heute ausstoßen, ein Jahrtausend in der Atmosphäre verweilen wird – all das hat bei den politischen Entscheidungen dieses Jahr ebenso wenig eine Rolle gespielt wie die Frage, ob wir nicht heute schon die Flüchtlinge von morgen verursachen.

Es ist an der Zeit, auch in der Energiepolitik den Blick zu weiten, über Nachhaltigkeit nicht nur zu reden, sondern nach diesem Prinzip auch zu handeln. Die Forderung nach einer schnellen Umsetzung des Ziels von 100% Erneuerbare Energien sind kein Spleen von ein paar Öko-Freaks, sondern weltpolitische Notwendigkeit. Wir müssen über die kurz- und langfristigen Folgen unseres Handelns reden. Flüchtlingskrise und Energiepolitik gehören zusammen gedacht.

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  1. Jeffrey Michel

    vor 9 Jahren

    Man könnte Ausbildungsstätten in Deutschland für den ökologischen Städtebau etablieren, die speziell auf die Zielvorstellungen heimkehrwilliger Flüchtlinge ausgerichtet wären.

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