Heute geht er. Sigmar Gabriel räumt heute seinen Schreibtisch im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Schon morgen übernimmt er die Funktion des deutschen Chefdiplomaten im Außenministerium. Fast acht Jahre – länger als alle anderen – hat Sigmar Gabriel in ministerieller Funktion an der Gestaltung der Energiewende mitgewirkt. Zwischen 2005 und 2009 zeichnete er als Umweltminister für den Klimaschutz und die Erneuerbaren Energien verantwortlich. Als Lehre aus zersplitterten Zuständigkeiten sicherte er sich 2013, als er Vizekanzler und Wirtschaftsminister wurde, die Federführung für das gesamte Projekt Energiewende. Wie fällt die energiepolitische Bilanz seines Wirkens aus?
Nachhaltig gegen die Nachhaltigkeit
Schon als Umweltminister setzte Sigmar Gabriel mehr als alles andere auf die Wirtschaft. Liest man die Presseerklärungen des BMU aus den Jahren 2005, hat man den Eindruck, dass hier ein Minister die Umwelttechnologien im allgemeinen und die erneuerbaren Energien im besonderen im Fokus hat. Nichts geringeres als Weltmeister wollte Gabriel bei der Energieeffizienz werden. Akzente setzte er als Umweltminister auch beim Klimaschutz. Aufgrund seiner Vorgaben verabschiedete die Große Koalition 2007 ein Klima und Energiepaket, das unter anderem das CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 beinhaltete. Die nachhaltigste Wirkung hatte Sigmar Gabriel als Umweltminister aber durch die Veränderung der Berechnungsgrundlage bei der EEG-Umlage.
Bis 2010 galt per Verordnung, dass die erneuerbaren Energien vorrangig eingespeist und real verbraucht wurden. Gabriel ließ als Minister den (sehr komplizierten) bundesweiten Ausgleichsmechanismus ändern. In Folge dieser Verordnung kam es zu einem sprunghaften Anstieg der EEG-Umlage. Gabriel lieferte den Gegnern einer zügigen Energiewende mit der Verordnung die Argumente frei Haus.
Man möchte Sigmar Gabriel nur allzu gerne glauben, dass sein Einsatz für die erneuerbaren Energien und den Klimaschutz auf Einsicht und Überzeugung beruhen. Als er sich 2013 zum Wirtschaftsminister der Großen Koalition machte, hatte sich die energiepolitische Welt in Folge des Gaus von Fukushima komplett verändert. Die Energiewende war grosso modo zum politischen Konsens geworden. Der Ausbau der Erneuerbaren fand stärker als jemals zuvor unter einem Wirtschaftsminister der FDP und einem Umweltminister der CDU statt. In den Jahren 2010 bis 2012 wurden – Dank üppiger Überförderung – mehr als 50 Prozent der heutigen Photovoltaik-Kapazität von 40 GW zugebaut.
Gabriel holte sich die Gesamtverantwortung für die Energiepolitik in sein Wirtschaftsministerium. Dass die Kosten der Energiewende drohten, aus dem Ruder zu laufen, hatte bereits die Vorgänger-Regierung bemerkt. Anders als Peter Altmaier, der im Umweltministerium und im Kanzleramt an der Energiewende mit schraubte, unternahm Gabriel den Versuch, auf den verschiedenen Baustellen der Energiewende in seinem Sinne für Ordnung zu sorgen. Dass er nicht nur als Wirtschafts- und Energieminister, sondern auch als SPD-Vorsitzender in der Verantwortung stand, war dabei eine zusätzliche Belastung. So musste er auf alles und jeden Rücksicht nehmen: Auf die Wirtschaft, die großen Energieversorger, die Gewerkschaften, die Landesregierungen in den Kohleländern, die europäischen Nachbarn und viele weitere.
Klimaschutzziel verfehlt und Chancen nicht genutzt
Der Minister selbst hat seinen eigenen Blick auf seine energiepolitische Bilanz. Hat er, wie er selbst betont, mit seiner Politik für die „Energiewende aus einem Guss“ gesorgt?
Man mag über die Wirkung der einzelnen Aspekte der Gabrielschen Energiepolitik streiten. Dass die Klimaschutzziele nicht erreicht werden, ist evident. Ebenso, dass der Ausbau der Erneuerbaren unterhalb des selbst gesetzten Korridors bleibt. Das Ziel, eine Millionen E-Autos auf die Straße zu bringen, wird verpasst. Dass das Management der Energiewende (nach wie vor) nicht als Beispiel guter Verwaltungspraxis taugt, hat der Rechnungshof gerade erst erneut gerügt. Und dass Gabriel sich davor gedrückt hat, den Kohleausstieg anzuvisieren: Geschenkt. Angesicht des Dickichts von Interessen, in denen sich der SPD-Vorsitzende, Wirtschafts- und Energieminister und Vizekanzler bewegen musste, hatte Sigmar Gabriel in der Energiepolitik kaum Bewegungsspielraum.
Wo die Interessen von vielen sich berühren, gibt es aber auch Chancen. Diesen engen Raum hat Sigmar Gabriel nicht genutzt. Seine Stellung in der Regierung und in der SPD hätte ihm die Möglichkeit eröffnet, die Energiewende zu einem Gemeinschaftsprojekt zu machen. Immerhin wurde sie 2011 fast im Konsens erneut auf den Weg gebracht. Statt im vertraulichen Gespräch mit allen Beteiligten nach dem Ausgleich zu suchen, nach Kompromissen und langen Linien, hat der glänzende Rhetoriker eher auf die mächtigen Menschen in der SPD und den kurzfristigen Erfolg geschaut. Anstatt den – wahrlich nicht einfachen – Interessensausgleich im Sinne der übergeordneten Sache zu organisieren, hat Gabriel mal diesen und mal jenen etwas gegeben. Seine Energiepolitik ist Stückwerk geblieben. Das bürokratische Monster Energiewende – Gabriel hat es nicht gezähmt, sondern gefüttert. Die Gesetze und Verordnungen haben unter ihm zugenommen. Trotz des vielen Geldes, das Gabriel in unterschiedliche Taschen hat fließen lassen, sind wir am Ende beim Klimaschutz nicht vorangekommen und bei der Energiewende nicht schlauer als zuvor.
Schlechte energiepolitische Bilanz durch Wankelmut
Wie es mit der Energiewende weiter geht? Die Leitplanken sind nicht sichtbar. Weder bei der weiteren Ausgestaltung des Strommarktes noch bei der Sektorkopplung. Wird die Schlüsselrolle der Kohle 2022 mit dem Ausstieg aus der Kernenergie gefestigt? Oder brauchen wir – um der klimapolitischen Glaubwürdigkeit willen – mehr Gaskraftwerke als Übergangstechnologie? Ist das Klimaschutzziel von 2020 Makulatur? Wie erfolgt der weitere Ausbau der Erneuerbaren? Nach dem Gusto der jeweiligen Mehrheit im Bundestag? Folglich – verheerend für das Investitionsklima – wechselnd? Wie können wir die positive Stimmung für die Energiewende in der Bevölkerung erhalten?
Was der Klima- und Energiepolitik in Deutschland mehr denn je fehlt, ist Verlässlichkeit. An diesem Punkt hat Gabriel der Energiewende einen Bärendienst erwiesen. Er hat weder das Vertrauen ins staatliche Handeln gestärkt, noch die Bürger zur Mitwirkung an der Energiewende eingeladen. Innerhalb der widerstrebenden Interessen ist die Energiewende unter seiner Ägide noch mehr als zuvor ein Opfer der Taktierer in Politik und Wirtschaft geworden. Erinnern Sie sich noch an die „Klimaabgabe“ für ältere Kohlekraftwerke? Auch mit dieser Idee verursachte Gabriel viel Aufsehen. Erst dementierte er das Aus für diese klimapolitische Großtat, dann wandelte er den Plan in ein Subventionsgeschäft um: Stilllegung von Kraftwerken gegen Prämie. Verhandelt hat er die 180 Grad-Kehre im kleinsten Kreis. So wie er abtrat, mit einem Überraschungscoup, von dem nur ausgewählte Journalisten wussten, hat er mitunter auch die Energiewende gemanagt. Meist am Bürger vorbei. Vertrauen schuf das nicht.
Warum brauchen wir die Energiewende? Sigmar G. hat den Menschen dazu keine Geschichte erzählt. Und so manch einer wird vergessen haben, wofür das Projekt steht. Das ist keine gute energiepolitische Bilanz.
Windmüller
vor 8 JahrenDas Problem der SPD ist die Verfilzung zwischen der Partei und den großen Stromkonzernen.Da haut man dann gern schon mal Geld raus, nur um das Gesicht zu wahren. Man muss Gabriel aber zugute halten, dass er eine andere Energiepolitik gefahren hat, als FDP Wirtschaftsminister Rösler. Die FDPler sahen und sehen in Ökoenergien Denkmäler der Grünen, und sind deshalb prinzipiell dagegen. Gleichzeitig erklärt sich damit aber auch von selbst, warum die Liberalen keine Bauchschmerzen haben, wenn die großen Stromkonzerne in Wind- oder Solarnutzung investieren. Aber um ehrlich zu sein, juckt mich das gar nicht mehr, was Politiker in Deutschland an Eigenheiten haben. Die Energiewende ist weltweit nicht mehr zu stoppen, und das zählt.Ein wichtiger Baustein ist der Ausbau der HGÜ Trassen. Hier gibt es große Fortschritte, etwa mit dem geplanten Bau von Trassen zwischen Schweden und Deutschland, oder auch Großbritannien und Dänemark. Die Trassen sorgen dafür, dass nicht in Deutschland für Ökostrom, der nicht eingespeist werden kann, Vergütung zu zahlen ist, während in anderen Ecken des Landes konventionelle Kraftwerke powern müssen, weil die Netze der Flaschenhals sind. Man muss sich nur mal erinnern, wie lange FDP Wirtschaftsminister den Bau der NorGer HGÜ Trasse blockiert haben. Auch hier hat Gabriel mehr Sachverstand an den Tag gelegt.