Drehmomente

Gastautor Portrait

Raimund Nowak

Gastautor

Raimund Nowak (65) war von 2009 bis 2020 Geschäftsführer der Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg. In dieser Funktion verantwortete eine größere Zahl von regionalen, nationalen und internationalen Modellvorhaben in der Elektromobilität und der Entwicklung neuer Verkehrskonzepte. Er baute eine der größten kommunalen E-Autoflotten Europas auf. Nowak engagiert sich weiterhin in verschiedenen nationalen Fachgremien und in der deutschfranzösischen Kooperation im Bereich Elektromobilität.

weiterlesen
24. Februar 2021

Das Drehmoment bezeichnet die Kraft, die etwas dreht. Wer ein E-Fahrzeug bewegt schätzt die schnelle Bereitstellung des maximalen Drehmoments eines Elektromotors. Verbrennungsmotoren brauchen deutlich länger, bis sie auf Touren kommen. Spät, hoffentlich nicht zu spät dreht sich die Entwicklung in Deutschland in Richtung Elektromobilität.

Wunsch und Realität

Von der angestrebten Million Elektroautos war nicht mal ein Viertel auf der Straße.

Raimund Nowak

Im Jahr 2010 definierten Bundesregierung und Industrie in trauter Einheit ein ambitioniertes Ziel für die wichtigste Branche des Industriestandortes. Das Autoland Deutschland sollte im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert an die Weltspitze der Elektromobilität geführt werden. Das Regierungsprogramm wollte die Bundesrepublik zum Leitmarkt für Elektroautos entwickeln und die deutschen Automobilkonzerne sollten nicht nur bei Verbrennern, sondern auch bei Stromfahrzeugen die Führungsposition einnahmen. Eine Million Elektroautos sollten bis zum Jahr 2020 in Deutschland auf der Straße sein.

Am 1.1.2020 zählte das Kraftfahrtbundesamt für Deutschland rund sechs Millionen mehr PKWs als zu Beginn des Jahrzehnts. Von rund 47 Millionen Fahrzeugen fuhren rund 137.000 mit Strom. In Deutschland rechnet man auch die 102.000 Plug-In- Hybride zu den Elektroautos. Das Jahrzehnt, das den Umstieg in die Elektromobilität einläuten sollte, endete mit einem historischen Höchststand an PKW mit Verbrennungsmotoren. Von der angestrebten Million Elektroautos war nicht mal ein Viertel auf der Straße. So verfehlte man nicht nur die Technologieführerschaft in der Elektromobilität, sondern auch die Klimaschutzziele im Verkehrsbereich. Zweifelsfrei eine traurige Bilanz.

Anschluss verpasst?

Trotz vieler Bekenntnisse zum Fahren mit Strom gab sich die deutsche Automobilindustrie ohne Eile auf den Weg in Richtung Elektromobilität. Wer genauer hinsah konnte erkennen, dass die Autobranche mehr auf die Lebensverlängerung des Verbrennungsmotors und weniger auf den Umstieg zur Elektromobilität setzte. Viele Verantwortliche in der Politik stützen die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Erfolgsgeschichte des Verbrennungsmotors, die dann durch synthetische Kraftstoffe als Benzin- und Dieselersatz nie ein Ende finden würde. Kein Wunder also, dass Deutschland Anfang 2021 nicht an der Spitze des elektrischen Feldes fährt, sondern damit kämpft, den Anschluss nicht zu verlieren.

Das Tempo der Elektromobilität bestimmen China mit seiner Macht als wachsender Automarkt und der Autohersteller TESLA mit seinem Technologievorsprung. Das chinesische Übrigens, wer die Luftqualität in den asiatischen Ballungsräumen wird das Interesse an lokal emissionsfreien Fahrzeugen verstehen. Die oft gehörte These, Elektromobilität mache nur Sinn, wenn der Fahrstrom aus erneuerbaren Energiequellen stamme ignoriert die Lage der unter Luftverschmutzung und Verkehrslärm leidenden Ballungsräume. Elektrofahrzeuge stoßen keine Schadstoffe aus und fahren relativ leise. Weltweit wollen urbane Zentren Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren aus ihrem Gebiet verbannen. Das wachsende Fahrzeugangebot wird diesen Trend noch verschärfen und schon jetzt ist erkennbar, dass der Transporter mit Dieselantrieb im städtischen Lieferkehr ein Auslaufmodell ist. Wer daran zweifelt sollte sich mit beispielsweise dem elektromobilen Engagement von Amazon beschäftigen. Joe Biden hat angekündigt, den über 600.000 Fahrzeuge starken Fuhrpark der US-Bundesbehörden auf E-Autos umzustellen. Daran sollte man sich hier mit einer europaweiten Beschaffungsinitiative für Kommunen ein Beispiel nehmen. Die Elektrifizierung öffentlicher Flotten gewährleistet einen zielgenauen Einsatz von Staatsmitteln und wie könnte man besser für die Elektromobilität werben als durch ihren Einsatz?

Auch andernorts entstehen Allianzen, die im Verkehrsbereich Entwicklungen vorantreiben, die man durchaus als Revolution bezeichnen könnte. Eine neue Generation von Personenkraftwagen wird gar nicht mehr für den privaten Besitz, sondern für den Verleih konzipiert und über Fahrassistenzsysteme verfügen, die dann bald das autonome Fahren ermöglichen. Die Wertschöpfung liegt dort weniger beim Fahrzeugbau und mehr in der Informationstechnologie. Niemand wird auf die Idee kommen, diese neue Fahrzeuggeneration mit Verbrennungsmotoren auszustatten. Der Wechsel vom Besitz zur Nutzung wird die Zahl der Autos reduzieren und dadurch den Städten Raum für Neugestaltung geben. Von spektakulären Umbauplänen, wie etwa für den Champs Elysee in Paris, ist ein gewaltiger Motivationsschub für die die gesamte urbane Szene zu erwarten. Nicht nur in der Antriebstechnologie, auch in der Stadtentwicklung dreht sich etwas.

Wer nicht konkurrenzfähig ist verschwindet

In der Elektromobilität geht es längst nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Tempo der Transformation.

Raimund Nowak

In der Elektromobilität geht es längst nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Tempo der Transformation. Letzteres hängt maßgeblich von der Batterieentwicklung ab. Seit Jahren ist sich die Fachwelt einig, dass bei Unterschreitet einer Kostengrenze bei der Produktion von Batterien Elektroautos einen Preisvorteil gegenüber Verbrennern vorweisen können. Wir werden diesen Moment spätesten im nächsten Jahr erleben. Wie sich ein Automarkt entwickelt, wenn E-Fahrzeuge keine Kostennachteile für die Kunden bieten kann in Norwegen besichtigt werden. Dank staatlicher Eingriffe liegt in diesem skandinavischen Land der Preisvorteil bei den Strom-Fahrzeugen. Mittlerweile werden, trotz beschränkter Modellpalette dort mehr E-Autos als Benziner und Diesel verkauft. Wenn auch ohne Subventionen E-Autos günstiger als Verbrenner sind greifen die Gesetze des Marktes: Wer nicht konkurrenzfähig ist verschwindet.

Insbesondere die US-Firma TESLA hat bewiesen, dass disruptive Entwicklungen auch in der Automobilbranche möglich sind. Als man in Deutschland die Eroberung der Weltspitze in der Elektromobilität als Ziel ausgab war der auf E-Autos spezialisierte Betrieb in Kalifornien in Europa kaum bekannt und wurde in Fachkreisen ob ihrer Fertigungsqualität belächelt. Heute kommt TESLA auf einen höheren Börsenwert als BMW und Daimler zusammen und kann am Ende mit seinem neuen Werk in Brandenburg sogar den entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass Deutschland in diesem Jahrzehnt doch noch ein führender Standort der Elektroautoproduktion wird. Natürlich darf man die hiesigen Hersteller nicht zu früh abschreiben. Um erfolgreich zu sein müsste man jedoch die richtigen Lehren aus dem vergangenen Jahrzehnt ziehen und sich konsequent in Richtung Elektromobilität bewegen. Konsequent müssen wir auch bei der Bewertung der Wasserstofftechnologie sein. In den Marktsegmenten PKW- und leichte Nutzfahrzeuge bieten sie keine marktfähigen Lösungen.

Die Erderwärmung zwingt zum Tempo

Nicht allein der globale Wettbewerb, sondern insbesondere die Erderwärmung zwingt zum Tempo. Wer sich glaubwürdig der Klimakrise stellt muss nicht nur energieeffiziente Strom-Fahrzeuge bauen, sondern auch ein anderes Verkehrssystem anstreben. Der Markthochlauf bei Elektroautos bedarf der Flankierung durch den Aufbau von PV- und Windkraftanlagen. Im neuen Jahrzehnt schauen wir nicht allein auf die Zulassungszahlen der Elektroautos, sondern mit gleicher Intensität auf die Produktion des Fahrstroms im eigenen Lande und auf die Elektrifizierung des ÖPNV. Das wird nicht ohne eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung. Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden nicht nur an Wahlurnen über die politischen Rahmenbedingungen, sondern auch als Kunden über Marktchancen von Elektrofahrzeugen und das Funktionieren neuer Mobilitätskonzepte. Ich setze dabei nicht auf Verbote. Kostenbewusstsein und die Aussicht auf attraktivere Städte werden die Elektromobilität vorantreiben.

Diskutieren Sie mit

  1. Heinrich Staub

    vor 3 Jahren

    Es gibt eine industrielle Herstellung von Autogaragen in D. Wir rüsten diese für Schweitzer-Kunden
    zusätzlich aus für Elektromobilität. Ein Beitrag in die gute Richtung. Meistens kostengünstig.
    Generalvertretung 3s Selbstbau Schweiz.

Ich akzeptiere die Kommentarrichtlinien sowie die Datenschutzbestimmungen* *Pflichtfelder

Artikel bewerten und teilen

Drehmomente
5
2