Elektrofahrzeuge in großem Maßstab laden – (wie) können wir uns das leisten?

Gastautor Portrait

Dr. Thomas Brenner

Dr. Langniß - Energie & Analyse

Dr. Thomas Brenner ist seit Gründung der OLI Systems GmbH als CTO und seit Oktober 2023 als Geschäftsführer tätig. Das Unternehmen entwickelt mit rund 40 Mitarbeitenden dezentrale Hard- und Softwarelösungen für Kunden aus dem Energiesektor und der Immobilienwirtschaft. Nach dem Studium an der ETH Zürich, der Promotion in Physik an der University of Cambridge, sowie weiteren Stationen am Max-Planck-Institut in Erlangen und der Universität Potsdam beschäftigt er sich seit knapp 10 Jahren mit der sektorübergreifenden Umsetzung intelligenter Energiesysteme.

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07. Mai 2024
Bild: OLI Systems GmbH

[...] die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich alle 10 Millionen Fahrzeuge gleichzeitig „am Netz“ sind, also Leistung abrufen, ist sehr gering.

Dr. Thomas Brenner

Stellen wir uns vor, im Jahr 2030 fahren 10 Millionen Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen. Jedes davon kann mit mindestens 11 Kilowatt Leistung laden, der Akku jedes Fahrzeugs fasst mindestens 40 Kilowattstunden Energie, vermutlich mehr. Dies wären – ohne weitere Maßnahmen zu ergreifen 11 kW x 10 Mio. = 110 GW (Gigawatt) an zusätzlicher Leistung, die im Verteilnetz zur Verfügung stehen müsste. Zum Vergleich: Der gesamte Kraftwerkspark hat eine theoretische Leistung von ca. 250 GW, gesichert sind davon etwa die Hälfte.

Die verkürzte Antwort muss also lauten: Nein, sonst sitzen wir im Dunkeln.

Bei näherer Betrachtung sieht es allerdings besser aus. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich alle 10 Millionen Fahrzeuge gleichzeitig „am Netz“ sind, also Leistung abrufen, ist sehr gering. Verteilnetzbetreiber kalkulieren aktuell mit Werten von ca. 20 % bei einer hohen Zahl von Ladeeinrichtungen.  Dies lässt bezogen auf Gesamtdeutschland schon wesentlich mehr Gestaltungsspielraum erwarten. In unserem Szenario wäre dies eine zusätzlich bereitzustellende Leistung von 110 GW x 20 % = 22 GW. Dies wäre ambitioniert, aber bezogen auf das gesamte Land, durchaus machbar.
Problematisch wird es allerdings wiederum durch die Tatsache, dass die angenommene Gleichzeitigkeit ein Mittelwert ist und die Leistungsfähigkeit des Verteilnetzes als homogen angenommen wird.

Dies ist insbesondere in dichter besiedelten Regionen oder in sehr dünn besiedelten Gebieten mit hoher punktueller Last nicht der Fall. Die Netzausbaupläne der Verteilnetzbetreiber, z.B. im Regionalszenario 2023 für die Region Südwest zeigen dies deutlich.

Aus meiner Sicht haben wir zwei große Stellschrauben, die wir zum Vorteil aller Kunden und Netznutzer intelligent einstellen sollten:

1. Die offensichtliche Lösung: Netzausbau

Einem Engpass im Verteilnetz lässt sich wie bisher mit größeren Übergabestationen, Trafos, dickeren Kabeln und verstärkten Hausanschlüssen beikommen. Der Vorteil dabei: Die Prozesse bleiben im wesentlichen unverändert, die Kosten müssen allerdings über Baukostenzuschüsse von den Nutzern und höhere Netzentgelte von allen Kunden getragen werden. Abgesehen von langen Umsetzungsdauern von mehreren Monaten bis hin zu Jahren stellt sich aber die Frage, ob wir uns dies tatsächlich „leisten“ können. Der Gesetzgeber schreibt einen „bedarfsgerechten“ Ausbau vor, dies lässt einen großen Spielraum zwischen „Komplettausbau“ und „Minimalvariante“, ganz analog zum Straßen- oder Schienennetz. Auch hier garantiert der Staat keinesfalls ganzjährig „freie Fahrt ohne Tempolimit“. Oberstes Ziel sollte sein, dass Netzausbau dann zum Einsatz kommt, wenn durch Anreize und intelligentes Steuern nicht mehr alle Kunden bedarfsgerecht versorgt werden können. Wobei wir bei der zweiten Stellschraube wären.

2. Die smarte Lösung: Intelligente Steuerung

Insbesondere bei kurzfristig durch den Hochlauf der Elektromobilität sowie durch den verstärkten Einbau von Wärmepumpen hervorgerufenen Engpässen ist intelligente Steuerung durch den Netzbetreiber und/oder durch Preissignale das Mittel der Wahl. Sowohl durch die Novellierung der Paragraphen 14a und 14c des Energiewirtschaftsgesetzes als auch durch das verbindliche Angebot dynamischer Tarife zum 01.01.2025 sind die entsprechenden Instrumente für einen Einstieg gegeben.

Außerdem lassen sich mit Unterstützung der Fahrerinnen und Fahrer insbesondere in Gewerbeimmobilien und Mehrparteienhäusern zusätzliche Potenziale heben. Ist die benötigte Energiemenge und die Abfahrtszeit bekannt – z.B. durch direkte Kommunikation mit dem Fahrzeug oder über Eingabe via Ladeapp – lassen sich die Ladevorgänge passgenau an die Bedürfnisse der Kunden, an die netzseitige Beschränkung des Hausanschlusses sowie an die vorhandenen Freiräume innerhalb des Gebäudes anpassen. Durch das intelligente Spielen von „Lade-Tetris“, also dem bedarfsgerechten Zuteilen von Ladeleistung unter den gegebenen Randbedingungen lässt sich zusätzlich Leistung einsparen. Ohne Komforteinbußen für die Kundinnen und Kunden – im Gegenteil mit finanziellen Vorteilen gegenüber dem ungesteuerten Laden mit „Vollgas“.

Was also nun tun – und was nicht?

Köpfchen wo möglich, Bagger wo nötig.

Dr. Thomas Brenner

Der Netzausbau ist da, wo ein deutliches Missverhältnis zwischen Last und Netzkapazität besteht (mein höchst subjektiver erfahrungsbasierter Vorschlag: mehr als zwei Stunden pro Tag im Mittel mit verteilnetzbedingten steuernden Eingriffen) das Mittel der Wahl, intelligente Steuerung ist es überall sonst. Wobei dies gerade nicht bedeutet, „nur“ eine Überlastung des Netzes zu verhindern, sondern jedem Kunden genau das bereitzustellen, was dieser tatsächlich braucht. Also ein vollgeladenes Auto am nächsten Morgen oder jederzeit eine warme Dusche. Wenn also jede Fahrerin und jeder Fahrer genau die Energie in ihr Auto geladen bekommen, die sie auch tatsächlich brauchen, ist dies im wahrsten Sinne des Wortes „bedarfsgerecht“. Die Devise sollte also lauten „Köpfchen wo möglich, Bagger wo nötig“. Dann können wir uns auch einen kosteneffizienten Ausbau unserer Infrastruktur für einen flächendeckenden Hochlauf der Elektromobilität, auch nach 2030, im doppelten Wortsinn „leisten“.

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