War watt? Deutschland dekarbonisieren

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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16. März 2017
Klimaschutz in der EU

Er ist ein Mann von großer Klarheit. Professor Volker Quaschning hält Vorträge, die auch der energiewirtschaftliche Laie gut verstehen kann. Wer wissen will, wie man Deutschland dekarbonisieren kann, sollte sich einen Vortrag des Hochschullehrers von der HTW Berlin anhören. In der letzten Woche sprach er beim Photovoltaik-Symposium in Bad Staffelstein. Wie können wir in Deutschland das Pariser Klimaabkommen einhalten? Welche Kapazitäten an erneuerbaren Energien brauchen wir dafür? Das waren seine Leitfragen.

400 Gigawatt Fotovoltaik

Die quantitativen Antworten enthält bereits die Studie zur Sektorkopplung, die Quaschning im letzten Jahr vorgelegt hat. Die prognostiziert einen steigenden Strombedarf, der durch die Umstellung des Verkehrssektors und der Wärmeerzeugung auf Basis von erneuerbaren Strom entsteht. Einkalkuliert sind auch die Verluste, die durch Wandlung und Speicherung entstehen. Am Ende brauchen wir Kapazitäten von 200 GW Wind Onshore, 76 GW Wind offshore und 400 GW Photovoltaik. Das ist alles andere als ein Pappenstil. Und auch die avisierte Geschwindigkeit, bis 2040 sollen die Kapazitäten am Netz sein, ist ambitioniert. Aber die Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Das Maß, wie wir das Klima bisher bereits verändert haben, gibt die Geschwindigkeit vor, die wir brauchen, um das 1,5° Ziel zu erreichen. Es steht viel auf dem Spiel.

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Nicht ganz korrekt argumentiert Quaschning im Bezug auf die Investitionskosten. Für die Photovoltaik gibt er eine Größenordnung von 300 – 400 Mrd. Euro an. Das wird nicht reichen. Denn neben den Photovoltaikanlagen, 200 GW auf den Dächern, 200 GW auf Freiflächen, brauchen wir auch die dazugehörigen Speicher bzw. Power-to-Gas-Anlagen. Und mit den Investitionskosten alleine ist es auch nicht getan. Im großen Stil wird nur investiert, wenn die Rendite stimmt. Das gilt gleichermaßen für die Bürger wie für die Energieversorger. Also braucht es Anreize. Wenn wir Deutschland dekarbonisieren wollen, müssen wir noch ein paar Euro drauflegen. Aber viel anders als von Professor Quaschning beschrieben, wird es nicht funktionieren.

Von der Klima- zur Kohlekanzlerin

Und schon gar nicht werden wir dem Klimawandel auf die Art und Weise beikommen, die der Kanzlerin vorschwebt. Jetzt im Wahlkampf mutiert die ehemalige Klimakanzlerin vollends zu Kohlekanzlerin. Vorgestern sprach Angela Merkel beim Verband der kommunalen Unternehmen, VKU. Einen schnellen Ausstieg aus der Kohle werde es nicht geben. Angela Merkel: „Das bringt ganze Regionen in eine völlig inakzeptable Situation„. Dass der Klimawandel nicht nur ganze Regionen, sondern den Globus und Milliarden Menschen in eine „inakzeptable Situation“ bringt, übergeht die Kanzlerin. Jedenfalls vor den so wichtigen Wahlen in NRW. Und auch nicht vor den Bundestagswahlen. Danach wird man weiter sehen.

Deutschland dekarbonisieren?

Klima- und Umweltschutz scheint für die meisten Politiker so eine Art Kür zu sein. Wenn man Zeit und auch ein wenig Geld hat, dann kümmert man sich um diesem Bereich. Denn schließlich genießt die Energiewende eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Aber wahlentscheidend sind die sogenannten weichen Themen in diesem Jahr nicht. Man mag es Angela Merkel nachsehen, dass ganz oben auf ihrer Agenda derzeit anderes steht. Ärgerlich ist, dass sie Klimaschutz in seiner Bedeutung relativiert. Denn dafür besteht weniger Anlass denn je.

Viel stärker als gedacht erwärmen sich die Weltmeere. Wie die chinesische Akademie der Wissenschaften jetzt herausfand, hat sich die Erwärmungsrate seit 1992 gegenüber 1960 fast verdoppelt. Anders als auf dem Land gibt es in den Weltmeeren erst seit ein paar Jahren ein Netz von Messstellen. Und die Temperaturveränderungen in Tiefen bis zu 2000 m werden erst neuerdings mithilfe von Bojen gemessen. Die Meere sind ein gigantischer Puffer für die Wärmeenergie. Sie speichern 93 Prozent. Je mehr wir über diesen Energiespeicher lernen, desto dringlicher wird es, ernsthaft Klimapolitik zu betreiben. Deutschland dekarbonisieren – das sind wir unseren Enkeln schuldig.

Ein größerer Schmutzfink als der Chinese: Der Sachse

Wer Lust an der Simulation hat, dem sei diese Seite Flood.Firetree empfohlen. Hier kann man wahlweise den Meerespiegel mal um fünf, oder gar um sieben Meter anheben. Um sieben Meter würde der Wasserstand übrigens steigen, wenn der gesamte grönländische Eispanzer schmilzt. Man kann wahlweise und spielerisch den Lebensraum von 100 Millionen oder einer Milliarde Menschen vernichten.

Zurück zum Hier und Jetzt: Wer es überlesen hat: Die globale Erwärmung beschleunigt sich. 2014, 2015 und 2016 brachten jeweils wieder Rekorde beim Maß der Durchschnittstemperatur. Drei Rekordjahre hintereinander hat es noch nie gegeben. Laut NASA hat unser Planet 16 seiner 17 wärmsten Jahre seit 2001 erlebt.

Deutschland dekarbonisieren

Und die Antwort der Bundesregierung auf die wachsende Herausforderung? Nicht Aufstocken, sondern Abspecken beim Klimaschutz. Selbst auf nationale Klimaziele will die CDU künftig verzichten. Lieber keine Klimaziele als ständig die selbst gesetzten Latten zu reißen.

Wer es vergessen hat: Nicht China hat den Klimawandel ausgelöst. Der durchschnittliche Chinese emittiert auch heute noch halb so viel CO2 wie der durchschnittliche Sachse. Im Unterschied zum Chinesen, der erst damit vor einigen Jahren begonnen hat, verschmutzt der Sachse schon seit mehr als 100 Jahren mit der Verstromung der Braunkohle die Atmosphäre. Ähnlich ist es in NRW und in Brandenburg. Statt über historische Schuld reden die Interessenvertreter aber lieber über den unbedeutenden Anteil der deutschen Braunkohle an den globalen CO2-Emissonen.

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