Legen wir doch direkt mit einem kleinen Gedankenexperiment los: Stellen wir uns vor, dass sich in den nächsten 10-15 Jahren unsere Gesellschaft maßgeblich wandelt. Die Bildungsstrategie für nachhaltige Entwicklung (BNE) hat bei den jüngeren Generationen gegriffen und diese sind nun erwachsen. Nachhaltigkeit ist kein Randthema mehr, sondern die breite Masse der Gesellschaft konsumiert bewusst: Wir reisen weniger und essen seltener Fleisch, um die Treibhausgasemissionen einzudämmen. Wir kaufen energieeffizientere Elektroprodukte, um weniger Strom zu verbrauchen. Wir haben die Energiewende erfolgreich umgesetzt und stehen kurz davor, unseren gesamten Energiebedarf aus Sonne, Wind und Wasser zu decken. Alles richtig gemacht aus heutiger Sicht, oder?
Allerdings: Die ersten Windräder wollen inzwischen nach 20-30 Jahren in den Ruhestand gehen. Doch uns fehlen für neue Generatoren, Speicher und Solaranlagen Seltene Erden oder Edelmetalle wie Silber. Durch die drohende Phosphorknappheit steigt der weltweite Preis für Dünge- und Lebensmittel. Für die ersten klimatischen Folgen der Erderwärmung haben wir technologische Lösungen entwickelt … doch wir können sie wegen fehlender Materialien nicht einsetzen. Und das alles trotz großer Investitionen in ressourceneffiziente Fabriken und Prozesse! Was ist da schiefgelaufen?
(Öko-)Effizienz alleine reicht nicht
Gehen wir wieder zurück und schauen uns das „Heute“ an:
Unser Umwelt- und Nachhaltigkeitsdiskurs ist unglaublich stark geprägt von einem Effizienzstreben. Wir maßregeln uns (und andere) in unserem Konsumverhalten mit dem Ziel, den eigenen negativen ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Und wir glauben, dass wenn wir nur effizient genug sind, wir damit die Umweltprobleme in den Griff bekommen werden. Eine Studie empfiehlt sogar die effektivste Maßnahme für den Klimaschutz: Ein Kind weniger pro Familie zu zeugen (Wynes, S.; Kimberley, A.N.: „The climate mitigation gap“ (2017)). Das mag man als zugespitzt und zynisch abtun; es ist allerdings nur die folgerichtige Konsequenz aus dem gängigen Menschenbild, das uns als Schädlinge auf der Erde begreift. „Mutter Natur“ ginge es dann am besten, wenn es uns Menschen überhaupt nicht mehr gäbe …
Einmal abgesehen davon, dass wir mit so wenig „Sexyness“ kaum eine breite Masse der Bevölkerung von Nachhaltigkeit begeistern werden können – Wir verlieren mit diesem Denkmuster auch oftmals aus dem Blick, dass wir den Zeitpunkt drohender Umweltprobleme (Erderwärmung, Ressourcenknappheit) mit dem Effizienzstreben nur um Jahrzehnte nach hinten verschieben. Eine wirkliche Lösung indes stellt es nicht dar.
Intelligentes Produktdesign und geschlossene Kreisläufe statt Recycling
Hier setzt die Cradle-to-Cradle Denkschule an. C2C steht im Gegensatz zum bisherigen End-Of-Pipe Ansatz, mit dem wir nur an den Symptomen herumdoktern. Statt wie beim Recycling am Ende eines Produktlebens zu schauen, welche Rohstoffe noch mühsam extrahiert und wiederverwendet werden können (ein erheblicher Teil wandert anschließend doch in die Müllverbrennung oder wird nur „downgecycelt“), stellt C2C die Produktentwicklung und die folgenden Fragen in den Fokus:
- Welche Materialien und Chemikalien habe ich verbaut? Sind sie positiv definiert? Kenne ich ihre Auswirkungen auf Mensch und Natur?
- Was passiert mit meinem Produkt nach der Nutzungsphase? Wie verhindere ich, dass es zu Abfall wird?
- Kann ich alle genutzten Materialien so verbauen, dass sie nachher sortenrein trenn- und wiederverwendbar (Technischer Kreislauf) oder kompostierbar (Biologischer Kreislauf) sind?
- Kann ich dem Produkt einen zusätzlichen positiven Nutzen hinzufügen?
Damit ist C2C eines der wenigen Nachhaltigkeitskonzepte, das sich an Unternehmen richtet und diese schon in der Produktentwicklung in „Verantwortung“ nimmt. Zusätzlich sollten wir als Gesellschaft das Konzept „Müll“ aus unseren Köpfen streichen, und alles als Nährstoff für Neues – für neue Produkte oder für die Natur – anfangen zu begreifen!
Eine fünfte industrielle Revolution?
Habe Mut, deinen eigenen positiven Fußabdruck zu hinterlassen.
Wird C2C konsequent umgesetzt, können Produkte mit einen öko-effektiven Nutzen entstehen. So gibt es Teppiche, die nicht nur immer wieder in einem technischen Kreislauf zirkulieren können, sondern durch ihre spezielle Oberfläche aus Garn auch Feinstaub aus der Luft filtern können. Oder kompostierbare T-Shirts, deren Mikrofaserabrieb sich zersetzt und so nicht als Mikroplastik in den Meeren landet. Desweiteren wird an speziellen Eisverpackungen geforscht, die ihre Eigenschaften nur gekühlt behalten, sich jedoch in Wasser auflösen, sobald sie Zimmertemperatur erreichen. Dabei geht es oftmals nicht nur um klassisches Ökodesign, sondern vielmehr auch um Qualität. C2C birgt das Potential, alle Dinge um uns herum nochmals mit der Brille der Kreislauffähigkeit und Öko-Effektivität auf den Prüfstand zu nehmen.
Zudem können komplett neue Geschäftsmodelle entstehen:
Besagter Teppichhersteller etwa least seine Teppiche im B2B-Sektor für etwa 6 Jahre und nimmt sie danach zurück. Er stellt so sicher, dass er die Rohstoffe wieder nutzen kann. Und er muss die kompletten Entwicklungs- und Produktionskosten plus Gewinnmarge nicht mit einem einmaligen Verkauf einspielen, sondern kann dies über eine längere Zeitdauer mit mehreren Leasing-Verträgen realisieren.
Beim Bau der Venlo City Hall in den Niederlanden wurden stattdessen die Baufirmen schon heute für einen geordneten Rückbau in 50 Jahren verpflichtet. Verbaute wertvolle Materialien, wie das Aluminium der Fensterprofile, werden als Investition angesehen, welche später gewinnbringend veräußert werden können. Der Rückbau wird also keinen Sondermüll verursachen, sondern zusätzliche Gewinne erzielen.
Die Ellen MacArthur Foundation beziffert dabei das Wirtschaftswachstum einer Circular Economy in der EU auf 320 Mrd. Euro bis 2030 – bei zurückgehendem Rohstoffverbrauch und CO2-Emissionen. Effektivität statt Effizienz also auch volkswirtschaftlich als Wirtschaftstreiber?
Dass Cradle to Cradle dabei inzwischen längst keine Utopie mehr ist und auch wirtschaftlich für ein Unternehmen Sinn machen kann, wird inzwischen auch durch das Engagement großer Firmen und Organisationen untermauert, die sich intensiv mit dem Konzept beschäftigen. Beispielhaft können hier die H&M Foundation, die Würth AG oder die Marke FROSCH genannt werden, aber eben auch die DGNB oder die niederländische Regierung.
Weitere Praxisbeispiele auch unter www.c2ccertified.org
Cradle to Cradle lässt sich also zusammenfassen zu:
- Abfall ist Nährstoff – für neue Produkte oder für die Natur
- Erst Ökoeffektivität und Qualität, dann Ökoeffizienz
- Circular Economy birgt Potential für Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch – und für neue Geschäftsmodelle
Die zentrale Botschaft der C2C Denkschule lautet aber: Habe Mut, deinen eigenen positiven Fußabdruck zu hinterlassen.
Bei den Urban Climate Talks konnten wir bereits gemeinsam darüber diskutieren, wie der Weg zu einer C2C-Gesellschaft aussehen könnte und in welchen Bereichen noch „blinde Flecken“ existieren. Mit dem bundesweit aktiven Cradle to Cradle e.V. wollen wir die Plattform bieten und laden euch ein, diese Gespräche weiterzuführen und neue Konzepte zu entwickeln.
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