Carbon Dioxide Removal oder wie wir intelligent CO2 aus der Atmosphäre entnehmen können

Gastautor Portrait

Pascal Hader und Martin Albicker

Deutsche Energie-Agentur

Pascal Hader-Weinmann ist Teamleiter Strategie und Grundsatzfragen bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) und verantwortlich für das Thema Carbon Management. Er koordinierte unter anderem die dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität und war dort zuständig für die Betrachtung von CCU/S. Er beschäftigt sich gegenwärtig in verschiedenen Projekten intensiv mit dem Thema Carbon Management und CDR, unter anderem im Rahmen der Koordinierung der Carbon Management-Strategie der Bundesregierung. Martin Albicker arbeitet als Teamleiter bei der dena an der Transformation der Industrie zur Klimaneutralität im nationalen und internationalen Kontext. Auch wenn dies die ganze Bandbreite an Mitigationsoptionen umfasst, beschäftigt er sich derzeit intensiv mit Carbon Management, unter anderem im Rahmen der Koordinierung der Carbon Management-Strategie der Bundesregierung.

weiterlesen
05. Juli 2023

Im Mai 2023 sagte der Finanzdienstleister JP Morgan Investitionen in Höhe von 200 Millionen Dollar in neue Technologien zu, welche CO2 aus der Luft entnehmen sollen. Diese Ankündigung ist nur die neueste in einer Entwicklung, welche in den letzten Jahren eine erstaunliche Dynamik erfahren hat. In Deutschland ist die Debatte um das sogenannte Carbon Dioxide Removal (CDR – also der Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre zur Erzielung von Negativemissionen) spätestens nach dem Koalitionsvertrag der Ampelkoalition mit dem Verweis auf die Entwicklung einer Strategie für technische Negativemissionen angekommen.

Ziel Netto Null: Emissionen senken und CDR ausbauen

Deutschland und die EU wollen bis Mitte des Jahrhunderts treibhausgasneutral werden. Das Ziel von „Netto Null“ – in Deutschland sogar bis 2045 – beinhaltet dabei stets zwei Komponenten, von denen eine bislang gerne übersehen wird. Auf der einen Seite hat die Emissionsreduktion äußerste Priorität, insbesondere durch den Ausbau erneuerbarer Energien, Energieeffizienz, den Hochlauf der Elektromobilität sowie eine beschleunigte Wärmewende Gleichzeitig wird zunehmend offensichtlich, dass ein gewisser Anteil an Emissionen, etwa schwer vermeidbare Methan- und Lachgas-Emissionen aus der Landwirtschaft, vermutlich auch im Jahr 2045 noch verbleiben wird. Die zweite Komponente von Netto Null ist damit der Ausgleich dieser sogenannten Residualemissionen über verschiedene Maßnahmen zur CO2-Entnahme (CDR).

Neben Emissionen der Landwirtschaft sind auch manche CO2-Mengen aus der Industrie, etwa mineralische Prozessemissionen in der Zementindustrie, ebenfalls schwer vermeidbar. Diese können teilweise durch die technische Abscheidung von CO2 mit darauffolgender Nutzung oder Speicherung vermieden werden (CCU/S).

Davon sollten jedoch Verfahren zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre (CDR) präzise abgegrenzt werden, von denen die wichtigsten naturbasierte Verfahren (Änderung der Landnutzung wie z.B. Wiederaufforstung; bilanziert im LULUCF-Sektor) und auf der CCS-Technologie basierende Verfahren (wie die energetische Nutzung von Biomasse mit CCS, BECCS, oder Direct Air Capture mit CCS, DACCS) sind.

Pariser Klimaziele nur mit CO2-Entnahme erreichbar

Der Weltklimarat IPCC zeigt in seinen Szenarien bereits seit vielen Jahren auf, dass die Pariser Klimaziele nur mit dem Einsatz von CDR möglich sein wird.

Pascal Hader und Martin Albicker

Der Weltklimarat IPCC zeigt in seinen Szenarien bereits seit vielen Jahren auf, dass die Pariser Klimaziele nur mit dem Einsatz von CDR möglich sein wird. Neben dem Ausgleich von Residualemissionen ist CDR notwendig, um bei einer zu erwartenden Überschreitung des CO2-Budgets (Overshoot) die CO2-Konzentration in der Atmosphäre wieder zu senken. Dabei wird den natürlichen Ökosystemen eine große Rolle zukommen. Sie können unter den richtigen Bedingungen dazu beitragen, einen Teil der Residualemissionen auszugleichen. Für Deutschland zeigen Klimaneutralitätsstudien wie die dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität allerdings auf, dass diese Senkenleistung der natürlichen Ökosysteme nicht für den Ausgleich der Residualemissionen ausreichen wird. Zusätzlich würden auch CDR-Technologien benötigt. In Deutschland erarbeitet das BMWK daher aktuell die sogenannte Carbon Management-Strategie, in welcher die Rolle von CCU/S-Technologien zur Emissionsvermeidung und für CDR diskutiert wird, sowie die Langfriststrategie Negativemissionen, die speziell auf den CDR-Bedarf eingehen wird.

CO2 aus der Atmosphäre entnehmen: Geht das wirklich?

Die weltgrößte DAC-Anlage "Orca" in Island

Bild: Climeworks

Was klingt wie Science-Fiction ist bereits technologisch erprobt. CO2 lässt sich sowohl aus Punktquellen (etwa Biomasse-Anlagen für BECCS) oder auch der Atmosphäre (Direct Air Capture, DAC) abscheiden und daraufhin über verschiedene Optionen dauerhaft speichern. Die Technologien hierzu stehen bereits zur Verfügung, wie auch der Evaluierungsbericht der Bundesregierung zum Kohlendioxidspeicherungsgesetz aus dem vergangenen Jahr aufzeigt. Dem Technologiehochlauf stehen der notwendige Aufbau einer CO2-Infrastruktur noch im Weg. Die direkte CO2-Entnahme aus der Atmosphäre ist zudem recht energieintensiv und bislang noch sehr teuer. Außerdem ist die CO2-Speicherung in Deutschland nach geltendem Recht nicht möglich; auch dem CO2-Export etwa nach Norwegen steht der deutsche Rechtsrahmen im Weg.

Kritiker dieser Technologien entgegnen, dass der Fokus auf CCS-basierte Verfahren zur CO2-Minderung und CO2-Entnahme von der notwendigen Anstrengung der Dekarbonisierung ablenken würde und Klimaziele verwässert werden könnten. Teilweise verweisen sie auch auf das Potenzial der natürlichen Ökosysteme.

Neben der Frage, ob natürliche Ökosysteme ausreichend zum Bedarf an CDR beitragen können, stellt sich hier auch die Frage, wie viel CO2 unsere Wälder tatsächlich und vor allem langfristig speichern können. Der Klimawandel belastet Wälder bereits heute erheblich, gebundener Kohlenstoff wird durch Brände und nach Absterben der Wälder in Folge zunehmender Dürre, wie wir es in einigen Regionen Deutschlands bereits in großem Maße sehen, wieder frei. Klar wird damit, es braucht insgesamt für eine robuste Zielerreichung nicht nur eine Lösung, sondern eine Vielzahl an Ansätzen, die sich ergänzen und insgesamt für eine robuste Zielerreichung stehen können. Maßnahmen für den Hochlauf von technologiebasierten CDR-Optionen müssen flankiert werden durch erhebliche Anstrengungen für den Schutz und die Wiederherstellung unserer natürlichen Ökosysteme.

Politischer Rahmen dringend gebraucht

Die übergeordneten Fragen zu CDR lauten dabei: Wie viel CDR brauchen wir? Wieviel CDR wollen wir? Und wie viel CDR können wir?

Pascal Hader und Martin Albicker

In der nationalen Carbon Management-Strategie sowie der Langfriststrategie Negativemissionen wird die Bundesregierung einen Umgang mit Verfahren zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre festlegen. Dabei sollte mit allen relevanten Stakeholdern und gesellschaftlichen Akteuren ein gemeinsam getragener Weg entwickelt werden. Dieser sollte zunächst das scheinbare Spannungsverhältnis zwischen natürlichen und technischen Maßnahmen zur CO2-Entnahme auflösen und den Wert aller Maßnahmen als Beitrag zum Klimaschutz hervorheben welche sich im besten Fall gegenseitig verstärkenDie Strategie sollten sicherstellen, dass CDR nicht zu einem Ersatz für Emissionsvermeidung wird, insbesondere über das Setzen separater Ziele von Minderung und CO2-Entnahme. Die übergeordneten Fragen zu CDR lauten dabei: Wie viel CDR brauchen wir? Wieviel CDR wollen wir? Und wie viel CDR können wir? Die Notwendigkeit von CDR ergibt sich auf der einen Seite über die Menge der auszugleichenden verbleibenden Emissionen und auf der anderen Seite über die Zielsetzung Deutschlands und der EU, nach 2050 netto-negativ zu werden. Zweitens sollte abgewogen werden, ob für CDR die Maßgabe „so viel wie möglich“ gelten sollte oder ob CDR nur für die letzten Meter „so wenig wie nötig“ eingesetzt werden sollte. Drittens ist das Potential von CDR begrenzt durch Flächen und Nutzungskonkurrenzen insbesondere bei natürlichen Ökosystemen sowie durch Energiebedarfe und den Aufbau der Infrastruktur bei technologischen Lösungen.

Jede vermiedene Tonne CO2 ist ein Gewinn für das Klima. So lange CDR nicht als Ersatz für Emissionsminderung verstanden wird, kann der zügige Hochlauf („so viel wie möglich“) von verschiedenen CDR-Verfahren zu unseren Klimazielen beitragen, indem auch kumulierte Emissionen reduziert werden. Über ein ambitioniertes politisches Ziel für verschiedene CDR-Methoden und die klare Zuweisung der Rolle von CDR als zusätzlich notwendiges Instrument sollte die Politik einen verlässlichen Rahmen schaffen, um durch einen schnellen CDR-Hochlauf zu einer resilienteren Zielerreichung beizutragen.

Über die Autoren

Pascal Hader-Weinmann

Teamleiter Strategie und Grundsatzfragen bei der Deutschen Energie-Agentur (dena)

Pascal Hader-Weinmann ist Teamleiter Strategie und Grundsatzfragen bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) und verantwortlich für das Thema Carbon Management. Er koordinierte unter anderem die dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität und war dort zuständig für die Betrachtung von CCU/S. Er beschäftigt sich gegenwärtig in verschiedenen Projekten intensiv mit dem Thema Carbon Management und CDR, unter anderem im Rahmen der Koordinierung der Carbon Management-Strategie der Bundesregierung.

Martin Albicker

Teamleiter Industrie bei der Deutschen Energie-Agentur (dena)

Martin Albicker arbeitet als Teamleiter bei der dena an der Transformation der Industrie zur Klimaneutralität im nationalen und internationalen Kontext. Auch wenn dies die ganze Bandbreite an Mitigationsoptionen umfasst, beschäftigt er sich derzeit intensiv mit Carbon Management, unter anderem im Rahmen der Koordinierung der Carbon Management-Strategie der Bundesregierung.

Diskutieren Sie mit

Ich akzeptiere die Kommentarrichtlinien sowie die Datenschutzbestimmungen* *Pflichtfelder

Artikel bewerten und teilen

Carbon Dioxide Removal oder wie wir intelligent CO2 aus der Atmosphäre entnehmen können
5
4