Thema Wasserstoff – Zukunftsenergie oder Sackgasse?

Gastautor Portrait

Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
29. Januar 2020

Es war nur ein Unterthema. Als wir im letzten Jahr das Thema Power-to-X hier auf unserer Plattform diskutierten, spielte Wasserstoff nur eine Nebenrolle. Das hat sich grundlegend geändert. Derzeit scheint sich (fast) alles um dieses Element mit der Ordnungszahl 1 im Periodensystem zu drehen. Die Bundesregierung hat eine Wasserstoffstrategie für 2019 angekündigt, aber bis zum Erscheinen dieses Beitrags noch nicht vorgelegt. Die CDU/CSU-Fraktion führte eigens einen Wasserstoffkongress durch und sieht im Grünen Wasserstoff „das Erdöl von morgen“. Noch konkreter (in der Vision) wurde die Forschungsministerin. Anja Karliczek machte in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt einen Kontinent zum energiepolitischen Hoffnungsträger: „Afrikanischer Wasserstoff ist der Stoff der Zukunft.“

Wasserstoff zum neuen Öl machen?

Statt Erdöl, Erdgas und Steinkohle dann eben grüner Wasserstoff.

Unterstützung erhält die Forschungsministerin von jungen Leuten aus Afrika: „Baut 1.000 Wüstenkraftwerke statt 1.000 Kohlekraftwerke!“

Wasserstoff zum neuen Öl machen, das will auch die FDP. In einem Antrag an den Bundestag sprechen sich die Liberalen für mehr „Tempo in der Energiepolitik“ aus. Da Deutschland heute bereits 70 Prozent der benötigten Energie importiere, sei auch in Zukunft der Import nötig. Statt Erdöl, Erdgas und Steinkohle dann eben grüner Wasserstoff.

Bodenständiger argumentieren die norddeutschen Küstenländer. In ihrem gemeinsamen Strategiepapier haben sie sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Eckpfeiler der Strategie ist der steigende Stromüberschuss aus Off- und Onshore-Windfarmen. Aber auch im Norden glaubt man, ohne Importe von grünem Wasserstoff und anderen synthetischen Energieträgern nicht aus zu kommen.

Vorrang für die Energieeffizienz

Effizienzvergleich zwischen Kraftstoffarten bzw. Antriebskonzepten aus Erneuerbaren Energien.

Quelle: WTT (LBST, IEA, World Bank), TTW, T&E Calculations

Doch von vollständiger Einigkeit in Sache kann keine Rede sein. Wasserstoff und andere grüne Gase gehören in die Lücke, resümieren die Klimareporter. Für den Massenmarkt der Pkws sei Wasserstoff absolut keine Option. Neben der Effizienz sei die perfekte Symbiose der Batterie mit dem Fahrzeugchassis ein klarer Vorteil. So urteilt Prof. Martin Doppelbauer vom Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Dadurch böten elektrische Fahrzeuge im Innenraum deutlich mehr Platz. Auch in ihrer Klimawirkung seien batterie-elektrische Fahrzeuge der Konkurrenz weit überlegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH im Auftrag von Agora Verkehrswende.

Für zwischenzeitliche Verwirrung sorgte die (Falsch-) Nachricht, China rücke von der alleinigen Elektro-Strategie bei den Pkws ab und nehme nun die Brennstoffzelle in den Fokus. Was sich in China geändert hat, ist lediglich die Förderstrategie.

23 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Deutschland und der Schweiz sehen den Hype um den Wasserstoff kritisch. Im Expertenpapier der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz e.V. – kurz deneff – wollen sie „dem trügerischen Eindruck [entgegenwirken], eine verstärkte Nutzung größtenteils aus dem Ausland importierter „grüner“ Gase könne die politischen Anstrengungen im Bereich der Energieeffizienz mindern oder gar überflüssig machen“.

Ähnlich wie die Bundesregierung und die FDP schätzen die auch die Grünen ein, dass die „grüne Wasserstoffwirtschaft weltweit vor dem Durchbruch“ stehe und zu einem der zentralen Industriefelder der Zukunft werde. Davor setzen sie aber ein „Efficiency First!“.

Unstrittige Einsatzoptionen von grünem Wasserstoff

Ein CO2-freies Energie- und Wirtschaftssystem braucht Wasserstoff. Soweit herrscht Einigkeit. Das gilt in besonderem Maße für die Industrie. In den Prozessen, die eine hohe und sehr exakte Temperaturführung benötigen, kann Wasserstoff Erdgas ersetzen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie, BDI, hat beschrieben, wo aus seiner Sicht die Prioritäten einer nationalen Wasserstoffstrategie liegen müssen.

Als weitere Einsatzgebiete von Wasserstoff sind aus heutiger Sicht wahrscheinlich:

  • Energiespeicher durch Beimischung im Erdgasnetz
  • auf nicht elektrifizierten Bahnstrecken
  • als Antrieb von Lkws auf der Langstrecke sowie
  • im Schiffs- und im Flugverkehr.

In unserem Schwerpunkt werden wir uns den verschiedenen Gesichtspunkten einer Wasserstoffwirtschaft zuwenden. Wie immer starten wir aber mit einer Umfrage.

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  1. Dr. Illo-Frank Primus

    vor 4 Jahren

    Wasserstoff wird vor allem als Speicher in regenerativen Stromnetzen benötigt. Er kann aus überschüssigem Strom in Deutschland gewonnen werden oder aus den nordafrikanischen Staaten als afrikanischer grüner Wasserstoff importiert werden. Da seine Gewinnung höchst ineffektiv ist, sollte er als Treibstoff z.B. für LKW mit weiten Fartstrecken oder den Schiffsverkehr nur eingesetzt werden, wenn es keine effizientere Methode - etwa mit Ökostrom - gibt. Er sollte grundsätzlich nicht als Erdgas-Ersatz genutzt werden. Da ist eine Stromnutzung in den meisten Fällen effizienter, z.B. bei der Gebäudeheizung. Für manche industrielle Prozesse mag er unersetzlich sein. Die Priorität muss auf der Erzeugung regenerativen Stroms und auf der Verbilligung von Stromkosten liegen. Strom kämpft noch in den meisten Köpfen mit der Vorstellung von Exclusivität, noch dazu mit einem hohen Umweltschadanteil. Das entspricht aber nach 50% erreichter Transformation nicht mehr den Tatsachen, wie es bei der atomaren und fossilen Stromerzeugung um die Jahrtausendwend der Fall war. Wasserstoff hingegen wird in den Köpfen als sauber empfunden. Der Aufwand für die Herstellung (ggf. mit schmutzigem Strom) wird nicht gesehen. Bei E-Autos kommt nichts hinten raus, bei Wasserstoff-Autos aber Wasserdampf. Der ist angeblich sauber, weil eigentlich Wasser. Was Wasserdampf in hohen Mengen mit dem Klima macht, zeigen uns die Kondensstreifen der Flugzeuge. Also die Köpfe müssen im Denken und Einordnen auch "transformiert" werden (Stichwort: Paradigmenwechsel). Der Hype auf Wasserstoff muss relativiert werden. Hier haben Journalisten und Politiker Aufklärungspflichten.

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