Wasserstoff – die große Chance für Deutschlands Schlüsselindustrien

Gastautor Portrait

Matthias Schlegel

Leiter Fachbereich Wasserstoff, Fichtner

Matthias Schlegel besitzt einen Studienabschluss in Technologiemanagement (Dipl.-Ing.). Er leitet bei Fichtner, Deutschlands größtem unabhängigem Planungs- und Beratungsunternehmen, den Fachbereich Wasserstoff. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen sowohl im wirtschaftlichen als auch im technischen Bereich: Durch die dynamische Entwicklung der Energiewirtschaft liegt ein aktueller Fokus auf der Entwicklung von Geschäftsmodellen im Bereich Wasserstoff und Dekarbonisierungsstrategien für Kunden. Darüber hinaus arbeiten Herr Schlegel und das Wasserstoffteam von Fichtner an Anlagenbauprojekten wie z.B. Power-to-Gas-Anlagen und Wasserstoffinfrastruktur.

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24. Februar 2020

CO2-arm produzierter Wasserstoff ist in den Sektoren Mobilität und Industrie deutlich konkurrenzfähiger als im Energiesektor.

Matthias Schlegel, Fichtner GmbH & Co. KG

Auf der Suche nach Wegen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen werden unterschiedlichste Erwartungen mit dem Element Wasserstoff verknüpft: ein Energiespeicher, die Nutzung von Überschussstrom, emissionsfreier Verkehr und CO2-neutrale Stahlherstellung sind hier nur die prominentesten Beispiele. Doch wo kann Wasserstoff tatsächlich einen großen Mehrwert leisten?

Die Energiewende wurde in Deutschland lange Zeit vor allem aus der Perspektive des Stromsektors gedacht. Dies sorgte dafür, dass bereits große Schritte im Bereich der Erneuerbaren Energien in der Elektrizitätswirtschaft geschafft werden konnten: Über 35% unseres Stroms werden aus regenerativen Energiequellen produziert. Daher verwundert es nicht, dass auch der Energieträger Wasserstoff in Deutschland weitgehend aus der Perspektive des Stromsektors betrachtet wird. Hier soll er zwei Probleme lösen: Zum einen soll er ein saisonaler Energiespeicher sein. Zum anderen soll er das Problem der abgeregelten Windenergie in einigen Netzabschnitten mit nicht ausreichender Transportkapazität beseitigen. Die Erzeugung von Wasserstoff mit Strom als Energiequelle („Power-to-Gas“) kann aus technischer Sicht diese beiden Problem lösen: Unter Nutzung des überschüssigen Stroms aus Erneuerbaren Energien kann ein chemischer Energieträger geschaffen werden, der zu geeigneter Zeit rückverstromt oder anderweitig genutzt werden kann. Doch ist dieser Ansatz wirklich der vielversprechendste?

Der Stromsektor - Wasserstoff als Stabilisator?

Abbildung 1 zeigt eine Beispielrechnung für die Kosten dieser Wertschöpfungskette: Die Erzeugungskosten von Wasserstoff setzen sich aus den Kapitalkosten der Elektrolyse und den Stromkosten zusammen. Unter der Annahme, dass Strom für ein Viertel des Jahres überschüssig und kostenlos wäre (aktuell sind es auch in hoch belasteten Netzregionen unter 10%), ergäben sich aufgrund der Kapitalkosten immer noch Wasserstoffkosten über 100€/MWh. Erdgas-Großhandelspreise liegen aktuell bei ca. 25 €/MWh. Es entstünde also aufgrund der geringen Anlagenauslastung ein teures Produktgas. Um wieder Strom zu erzeugen, wären 1,8 MWh Wasserstoff pro 1 MWh Strom notwendig. Zusammen mit den Kapitalkosten der zweiten Energiewandlung summieren sich die Kosten auf 350 €/MWh. Das ist ca. das sechsfache des heutigen, durchschnittlichen Börsen-Strompreises.

Auch die direkte Nutzung des Wasserstoffs in Mobilität und Industrie ist ohne eine großtechnische, anderweitige Wasserstofferzeugung in Grundlast schwierig, da die Versorgungssicherheit von Anwendern aufgrund der stark schwankenden Verfügbarkeit sonst schwer zu gewährleisten wäre. Die Stabilisierung des Stromsektors kann daher nur ein Nebenaspekt der Wasserstoffwirtschaft sein.

Der Mehrwert von Wasserstoff

Abbildung 2 zeigt den Endenergieverbrauch in der EU, also die Energieform, die Konsumenten zum Verbrauch beziehen. Dabei wird deutlich, dass der Stromsektor nur etwa ein Viertel der Gesamtmenge ausmacht. Der Großteil der Energie (62%) wird in Form chemisch gebundener Energie (v.a. Öl, Gas und Kohle) verbraucht. Dabei haben der Verkehrs-, Gebäude- und Industriesektor mit je ca. 20% der Gesamtsumme einen ähnlich hohen Energiekonsum wie der gesamte Stromverbrauch in der EU. Aus diesen Verhältnissen ergeben sich folgende Schlussfolgerungen:

  • Europa erzeugt nicht die Strommengen, um mittels Power-to-Gas die Sektoren Wärme, Mobilität und Strom zu dekarbonisieren.
  • Für eine ausschließliche Dekarbonisierung der Mobilität durch Batteriefahrzeuge stehen nicht die zusätzlich benötigten Strommengen aus Erneuerbaren Energien zur Verfügung.
  • Eine weitgehende Dekarbonisierung unserer Wirtschaft ist nur durch emissionsarme chemische Energieträger möglich.

Wasserstoff ist also wie gezeigt nicht in erster Linie ein Stabilisator für den Stromsektor, sondern die beste Möglichkeit, um die Emissionen in den Sektoren zu reduzieren, die heute chemische Energieträger nutzen.

Wasserstoff - zu schade zum Verbrennen

Doch wie kann dieses Potential sinnvoll gehoben werden? Wie beschrieben kann Wasserstoff vor allem in den Sektoren Energie, Mobilität und Industrie zum Einsatz kommen. In jedem dieser Bereiche bestehen Konkurrenzprodukte mit unterschiedlichen Marktpreisen: Im Energiesektor setzt Erdgas aktuell Preise von unter 2,5 cent/kWh im Großhandel, was knapp 1€/kg H2 entspricht. Diesel und Benzin im Mobilitätssektor liegen bereits bei 5 cent/kWh ohne Steuern (ca. 1,7 €/kg H2).  In der chemischen und Raffinerieindustrie wird heute bereits mit CO2-Emissionen aus Erdgas erzeugter Wasserstoff eingesetzt. Ex-works-Preise liegen hier oft schon im Bereich von 2 €/kg. Es zeigt sich also, dass CO2-arm produzierter Wasserstoff in den Sektoren Mobilität und Industrie deutlich konkurrenzfähiger ist als im Energiesektor. Daher sind dies die Bereiche, in denen Wasserstoff national und weltweit die größte Chance hat, sich durchzusetzen.

Die Chance für Deutschland

Deutschland ist ein global führender Akteur in den Branchen Mobilität und Industrie, so dass sich hier Herausforderungen aber auch Chancen für Unternehmen ergeben. Deutschlands großer Beitrag zum Klimaschutz kann darin bestehen, in diesen Sektoren Anwendungen zu schaffen, die mit Wasserstoff emissionsarm funktionieren. Ein wichtiger Fokus in der Entwicklung einer deutschen Wasserstoffwirtschaft und -strategie sollte daher in der Kommerzialisierung von Anwendungen liegen. Unterstützt werden muss dies durch eine Erzeugungs- und Infrastrukturstrategie, die sich an den Bedürfnissen der geplanten Anwendungen ausrichtet. So kann Deutschland einen weitaus größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten als die Reduktion seiner 2% des weltweiten Treibhausgasausstoßes. Daher ist es ein wichtiges Signal, dass die nationale Wasserstoffstrategie sich u.a. zum Ziel setzt, einen heimischen Absatzmarkt für CO2-frei erzeugten Wasserstoff zu schaffen und Schlüsselindustrien in Industrie und Verkehr hier zukunftsfähig aufzustellen.

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  1. Thomas

    vor 4 Jahren

    Falsche und widersprüchliche Schlussfolgerungen!
    Selbstverständlich kann genug EE-Strom erzeugt werden um den kompletten Mobilitätssektor zu elektrifizieren (ca. 20% des heutigen Stromverbrauchs), das ist ja allgemein bekannt. Grund ist die hohe Energieeffizienz des Strompfades. Sogar die Wärmebereitstellung ist mit drin, Voraussetzungen Wärmepumpen+Dämmung (=Effizienzerhöhung). Voraussetzung ist eben, dass man möglichst _wenig_ Umwandlungsverluste zB durch den H2-Pfad hat. Siehe Studie Fraunhofer ISE 2050.

    Klar ist aber in jedem Fall: wenn ich für irgendeinen Bereich konstatiere, dass nicht genug EE-Strom für den effizienten Strompfad (zB Windkraft -> Netz -> Akku -> E-Motor) bereitsteht, dann folgt daraus unweigerlich, dass diese Energiemenge ja in keinem Fall für den wesentlich ineffizienteren H2-Pfad ausreicht.

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