War watt? Deutschlands Rolle im globalen Klimaschutz

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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17. Januar 2019
Illustration von Bergen, Wasser und Solaranlagen

Klimaschutz ist eine Frage von Leben oder Tod

UN-Generalsekretär António Guterres

In dieser Woche hat man sich bei der Kanzlerin getroffen. Was auch immer die Kohlekommission der Bundesregierung vorschlagen wird: Für den globalen Klimaschutz scheint das Ergebnis ziemlich unerheblich zu sein. Nur noch etwas über zwei Prozent beträgt der deutsche Anteil an den globalen CO2-Emissionen. Selbst wenn man die historische Verantwortung für die derzeit klimawirksamen Treibhausgase in Rechnung stellt, trägt Deutschland davon nur einen Anteil in der Größenordnung von ca. vier Prozent. Klimaschutz ist eine „Frage von Leben oder Tod“ (UN-Generalsekretär António Guterres) Aber wird sie in Deutschland entschieden?

Für Klimaleugner, -skeptiker und -relativierer ist die Sache klar. Erstens sei der von Menschen verursachte Beitrag an den Treibhausgasemissionen verschwinden gering. Und zweitens spiele Deutschland bei den globalen CO2-Emissionen nur eine untergeordnete Rolle. Ergo würde die Klimadebatte hierzulande völlig hysterisch geführt. Und die Kampagne der Klimaleugner trägt Früchte. Selbst seriöse Medien, wie die Tageszeit Die Welt, machen sich die längst widerlegten Behauptung zu eigen, um gegen die Energiewende zu argumentieren. Die bezahlten und freiwilligen Trolle in den sozialen Medien stürzen sich sodann mit Inbrunst auf die scheinbaren Erkenntnisse und verbreiten sie dann millionenfach in der nicht immer sachkundigen Leserschaft (aus klimawissenschaftlicher Sicht hat Stefan Rahmstorf das Nötige dazu geschrieben).

Militärisch ein Zwerg. Wirtschaftlich ein Riese.

Wie steht es nun real um Deutschlands Rolle im globalen Klimaschutz? Ist Deutschland nur ein beliebiger Player unter den 195 Staaten, die das Pariser Klimaabkommen ratifiziert haben?  Militärisch ein Zwerg. Wirtschaftlich ein Riese. Die Summe dieser beiden Eigenschaften ist konstitutiv für die deutsche Rolle in der internationalen Politik. Als jahrzehntelanger Exportweltmeister, als wirtschaftlich stärkstes Land in der Europäischen Union und Mitglied in der G7 hat Deutschland einen besonderen Status in der Weltgemeinschaft. Anders als die USA, China oder Russland beanspruchen wir keine Führungsrolle, gehören auch nicht wie Frankreich oder Großbritannien zu den ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates. Aber unbedeutend? Das sind wir sicherlich nicht. Und schon gar nicht dann, wenn es um internationale Kooperationen im Umweltschutz geht.

Umweltschutz gegen den Widerstand der Industrie – eine alte Geschichte

Waldsterben
Die deutschen Bemühungen gegen ein zunehmendes Waldsterben , führten in den 1980er Jahren zu gesetzlichen Reformen im Klimaschutz und Grenzwerten für die Industrie.

Foto: pixabay

Wer erinnert sich noch an das Waldsterben? Schon Ende der 1970er Jahre warf man uns Deutschen, speziell den Umweltschützern, vor wir führten eine hysterische Debatte. Schweden hatte seit 1972 versucht, das Thema auf die internationale Agenda zu setzen. Die Schwefelemissionen aus den Kraftwerken der DDR (bei Südwind) oder denen von der britischen Insel (bei Westwind) ließen Seen und Böden in Schweden versauern. Das einsetzende Waldsterben und das Umkippen der dortigen Seen wurde von der europäischen Politik mit Achselzucken zur Kenntnis genommen. Die Säurepegel nordischer Gewässer glichen denen von Tomatensaft und Weinessig. 20 000 kristallklare Seen waren biologisch so gut wie tot. Aber wer reagiert schon auf die Sorge der international eher unbedeutenden skandinavischen Staaten?

Erst mit der deutschen Hysterie – mehr als ein Jahrzehnt später – kam das Waldsterben (englisch „The Waldsterben“, „Le Waldsterben“ in Frankreich) international auf die Tagesordnung. Die Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP reformierte die Großfeuerungsanlagenverordnung und schrieb den Einbau von Filtern zur Rauchgasentschwefelung in den Kohlekraftwerken und anderen industriellen Verbrennungsanlagen vor. Deutsches Drängen führte dazu, dass die EU in den 1980er Jahren erstmals verbindliche Abgaswerte für Pkw einführte und die Autohersteller verpflichtete, Abgas-Katalysatoren in die Fahrzeuge einzubauen. Als Folge dieser Maßnahmen fiel der Gesamtausstoß von Schwefeldioxid in Deutschland um mehr als 90 Prozent, der Anteil der Stickoxide ging um ca. 30 Prozent zurück. Der Boden hat ein langes Gedächtnis. Obwohl der Wald immer noch unter den damaligen Emissionen leidet, hat die deutsche Politik wahrscheinlich den entscheidenden Beitrag dazu geleistet, den Wald in Europa zu retten.

Umweltpolitik als globales Konjunkturprogramm

An Kritiker der „Öko-Hysterie“ hat es schon in den 1980er Jahren nicht gemangelt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie verunglimpfte die Bestrebungen, die Schwefeldioxidemissionen zu beschränken als „Morgenthau-Plan für die deutsche Industrie“. Der Deutsche Industrie- und Handelstag machte ebenso Affront gegen den Umweltschutz wie die deutsche Energiewirtschaft. Technisch unmöglich und nicht bezahlbar – so wehrte sich die deutsche Automobilwirtschaft vereint gegen die Einführung des Katalysators. Doch der vereinte Widerstand der deutschen Wirtschaft blieb erfolglos. Aus Angst, dass die gerade in den Bundestag eingezogenen Grünen weiteren Auftrieb erhielten, zog die Regierung Kohl ihre Umweltpolitik durch. Und bescherte so der widerwilligen deutschen Industrie gegen deren Willen ein globales Konjunkturprogramm. Deutsche Rauchgasentschwefelung, Filter für Industrieanlagen, Luftreinhaltetechnik jeder Art, Kraftwerkstechnologie und am Ende auch Pkws mit Katalysatoren wurden zu deutschen Exportschlagern.

Auch im globalen Klimaschutz hat Deutschland bereits Maßstäbe gesetzt. Als Deutschland im Jahre 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) einführte, hatte es weltweit Vorbildcharakter. 99 Staaten oder Regionen haben seither das Prinzip des Gesetzes, eine garantierte Einspeisevergütung für erneuerbare Energien, für die jeweiligen Bedingungen angepasst übernommen. In Folge des Gesetzes, des Aufschwungs der erneuerbaren Energien, der Forschung und Entwicklung wurden die Anlagen zur Herstellung von Wind- und Sonnenstrom im rasanten Tempo immer preiswerter. Ohne Übertreibung lässt sich heute sagen. Der weltweite Siegeszug der erneuerbaren Energien hatte eine Startrampe: Deutschland. Preiswerter Strom aus Wind und Solar – unser Geschenk an die Welt.

Globaler Klimaschutz braucht eine Vertiefung internationaler Kooperationen

Es gibt nur wenige Staaten, die derzeit den Einfluss und die Glaubwürdigkeit mitbringen, um bei der Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens als Vermittler und Antreiber agieren zu können.

Hubertus Grass, Kolumnist

Jeder Mensch hat ein gleiches Anrecht auf die Nutzung der Atmosphäre. Das ist ein elementares Gerechtigkeitsprinzip. So formulierte es Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits 2007. Damals erwarb sie sich den Titel einer „Klimakanzlerin“, die mutig Ziele festlegte (eine 40%ige CO2-Reduktion bis 2020 in Deutschland z.B.) und international für mehr Klimaschutz warb. Seitdem ist die Welt komplizierter geworden. Nationale Egoismen sprießen. „America first“ ist ein besonderer aber kein Einzelfall. Die EU hat unter dem Aufkeimen nationaler Forderungen Probleme, das Erreichte zu bewahren. Ob in Brasilien, Russland oder der arabischen Welt: Wohin man auch blickt, eine Vertiefung internationaler Kooperationen steht nirgendwo auf der Agenda. Die aber braucht der globale Klimaschutz.

Es gibt nur wenige Staaten, die derzeit den Einfluss und die Glaubwürdigkeit mitbringen, um bei der Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens als Vermittler und Antreiber agieren zu können. Deutschland könnte einer dieser Staaten sein. Könnte. Voraussetzung wäre, dass wir unsere nationalen Hausaufgaben erledigen. Hinter den selbst gesteckten Klimazielen zurückzubleiben, den notwendigen Strukturwandel nicht auf den Weg zu bringen und beim Klimaschutz in Schockstarre vor dem Einfluss der zahlreichen Interessengruppen zu verharren. Das alles sind keine Referenzen fürs internationale Parkett.

Hausaufgaben erledigen, die Wirtschaft an ihre Verantwortung fürs Gemeinwohl mahnen, Klima- und Umweltschutz wieder oben auf die Agenda setzen, Partner suchen und die Dinge nach vorne bringen. Mangels geeigneten Ersatzes muss Deutschland seine Rolle im globalen Klimaschutz wieder einnehmen.

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  1. Karlheinz Wildenrother

    vor 3 Jahren

    Wenn wir unser Klima hier in unserer Heimat schützen, also für gute Luft und gesunde Wälder etc. sorgen, ist das sicher eine gute Sache und das können wir auch. Das Weltklima zu beeinflussen, das sich auch ohne Zutun der Menschen ständig verändert, dürften dem Häuflein Deutschen im Hinblick auf die Menge der Weltbevölkerung kaum gelingen, auch wenn wir noch so hohe Zahlungen für alle möglichen entsprechenden Zweckbestimmungen an den Staat leisten. Zum anderen, wer ist in der Lage die Klimaentwicklung zu erkunden und davon speziell den natürlichen Anteil und den von Menschen (Erdbevölkerung) zu verantwortenden Anteil zu ermitteln? Wie bei der gegenwärtigen Pandemie ist vor allem Panikmache zu erkennen!
    Bei den herrschenden frostigen Temperaturen würde ich ein wenig mehr Klimaerwärmung sehr genießen!

  2. Martin Weber

    vor 5 Jahren

    Warum kann man hier nicht die ab deren Kommentare lesen?

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