Sehr bewusst wahrgenommen werden nun endlich auch die Abhängigkeiten Deutschlands und der EU von metallischen Rohstoffen, die wiederum zentral für die Digitalisierung sowie die Energie- und Mobilitätswenden sind. Bloß nicht die gleichen Fehler wiederholen, ist die Devise.
Die Covid-19-Krise, der Handelskrieg zwischen den USA und China und erst Recht der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine haben in kürzester Zeit offenbart, wie störanfällig und vulnerabel die Lieferketten eines hochvernetzten Welthandels sein können. Die Einbrüche in Versorgungsketten wirken in Politik und Wirtschaft wie ein Weckruf und allmählich findet ein Umdenken statt. Laut BDI-Umfrage wünschen sich 80 Prozent der deutschen Unternehmen eine Diversifizierung ihrer Bezugsquellen von Vorprodukten bis Rohstoffen.
Wie kommen einzelne Branchen und Sektoren aus ihren Abhängigkeiten von einzelnen Lieferländern wieder heraus? Neben Russland stehen vor allem die Lieferbeziehungen und Abhängigkeiten mit China im Fokus. Hier ist sogar von einer „De-Russifizierung“ und „De-Chinesierung“ der wirtschaftlichen Verflechtungen die Rede.
Sehr bewusst wahrgenommen werden nun endlich auch die Abhängigkeiten Deutschlands und der EU von metallischen Rohstoffen, die wiederum zentral für die Digitalisierung sowie die Energie- und Mobilitätswenden sind. Bloß nicht die gleichen Fehler wiederholen, ist die Devise. Dabei ist aber längst klar, dass in der Solar- oder Windenergiebranche bereits dramatische Anhängigkeiten bestehen: Magnete, Rotorblätter, sie kommen derzeit zu fast 100 Prozent aus China; 2022 importierte Deutschland 70 Prozent der Seltenen Erden von dort.
Versorgungssicherheit – raus aus der Abhängigkeit und potenziellen Erpressbarkeit – ist zum Topthema von Wirtschaft und Politik avanciert. Rein auf ökonomische – wie Effizienz und günstige Preise – ausgerichtete Überlegungen werden nun durch geopolitische Faktoren in viel stärkerem Maße ergänzt.
Zudem erfordern die Pariser Klima- und internationalen Biodiversitätsziele die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft. Die Verletzung von Arbeitsnormen, der Menschenrechte und Umweltzerstörung entlang der Lieferketten hat zu massiver Kritik geführt und mündet endlich in verbindliche sozial-ökologische Standards entlang der Lieferketten auf Bundes- und EU-Ebene. Alles in allem vollzieht sich gerade der „geopolitische Umbau von Lieferketten“ (Günther Maihold, SWP).
Metallische Rohstoffe spielen in der Digitalisierung, den Energie- und Mobilitätswenden eine noch größere Rolle als bisher in der Industriepolitik Deutschlands und der EU. Hier sind die Importabhängigkeiten besonders groß. Die EU ist Nettoimporteur metallischer Rohstoffe; sie bezieht den größten Teil ihrer mineralischen, besonders metallischen Rohstoffe von außerhalb der EU. Die deutsche Wirtschaft ist besonders abhängig von Importen: 99 Prozent der bergbaulich gewonnenen Metalle müssen eingeführt werden.
Die Internationale Energiebehörde (IEA) rechnet damit, dass sich der Verbrauch metallischer Rohstoffe für die Grüne Ökonomie mindestens vervierfachen wird. Besonders gebraucht werden Lithium, Nickel, Kupfer, Kobalt und einige Seltene Erden. Seit 2011 führt die EU eine Liste kritischer Rohstoffe, die sie alle drei Jahre überprüft. 30 metallische Rohstoffe stehen derzeit auf dieser Liste. Und hier wird die Abhängigkeit von China besonders deutlich. Von den 30 der von der EU gelisteten Rohstoffen kommen 44 Prozent aus China; bei den sog. Seltenen Erden sind es sogar 98 Prozent. Eine dramatische Zahl, sie ist seit über 15 Jahren konstant. Der Abbau Seltener Erden ist ökologisch besonders brisant. Die Verlagerung verschmutzender Industrien hat zunächst hier die Umwelt entlastet, aber gleichzeitig Abhängigkeiten geschaffen.
China hat in den letzten Jahrzehnten die Weiterverarbeitung kritischer Rohstoffe forciert, so dass China „fast die Hälfte der globalen Raffinadeproduktion“ kontrolliert – so eine Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik. China hat auch für die Zukunft eine umfassende Strategie, um sich diese einmalige Marktposition zu sichern. Sie versteht sich nun als High Tech Super Power und international sichert sie sich mit der Belt and Road Initiative (BRI) und über Staatsunternehmen auch für die Zukunft den Zugang zur weltweiten Rohstoffgewinnung.
Diversifizieren, Relokalisieren, Sparen
Die EU zieht seit einiger Zeit mit eigenen Strategien nach. Die EU-Kommission schlägt nun ein Gesetz zu kritischen Rohstoffen (Critical Raw Materials Act) vor. Die Bundesregierung hat im Januar 2023 ihre Rohstoffstrategie von 2010 ergänzt. Zu den Oberzielen all dieser Strategien gehört, die Versorgung der Wirtschaft mit Rohstoffen langfristig sicherzustellen.
Bausteine dafür sind erstens die Diversifizierung der Bezugsquellen aus breit gestreuten Lieferländern und zweitens der Aufbau eigner Erschließungs- und Verarbeitungskapazitäten in der EU (Relokalisierung). Die EU will mit dem Raw Materials Act strategische Prioritäten sowie ein Monitoring und ein Risikomanagement verankern. De facto ist es eine Initiative, die die politischen Maßnahmen der EU-Länder koordinieren und bündeln helfen soll. Das ist ein guter Weg vorwärts.
Ein drittes Element ist mehr Kooperation mit wichtigen Rohstoffländern in Lateinamerika oder im Südlichen Afrika. Die EU und Bundesregierung verstärken ihre Rohstoffdiplomatie und suchen Rohstoffpartnerschaften. Davon zeugen die zahlreichen Reisen von Bundeskanzler Scholz oder Wirtschaftsminister Habeck nach Chile, Südafrika, Australien, Kanada. Sie sind wichtige Lieferländer für kritische Metalle.
Ausgebaut und unterstützt werden soll in den Partnerländern die nachhaltige Verarbeitung von Rohstoffen. Mehr Wertschöpfung für die wirtschaftliche Entwicklung soll so in den Lieferländern bleiben und die vielfachen negativen umweltpolitischen und sozialen Folgen gerade auch im Bergbausektor sollen abgemildert werden. Diese Abkehr vom reinen Extraktivismus soll als Signal der Kooperation ankommen und für diese Länder die Attraktivität der Partnerschaft im Wettbewerb mit den Chinesen erhöhen. Heute kontrollieren chinesische Bergbauunternehmen alleine im Lithiumsektor mehr als 30 Prozent der Produktion und Verarbeitung. Auch in den Rohstoffländern geht es um Diversifizierung.
Rohstoffstrategie und Kreislaufwirtschaft müssen Hand in Hand gehen
Im Wettlauf um Rohstoffe darf Versorgungssicherheit eben nicht oberste Priorität genießen, sondern muss in der politischen Arena gleichrangig mit verbindlichen sozialen und ökologischen Standards, mit mehr Rohstoff- und Ressourceneffizienz, mit einer wirkungsvollen Kreislaufwirtschaft Hand in Hand gehen.
Zentrales Element Abhängigkeiten abzubauen und damit jeder Rohstoffstrategie muss allerdings die Einsparung des Verbrauchs von Rohstoffen aller Art sein. Bis heute sind die Recyclingquoten metallischer Rohstoffe sehr niedrig und ihre Nutzungsdauer im Wirtschaftskreislauf kurz. Ein Forschungsteam der Universitäten Bayreuth, Augsburg und Bordeaux hat in ein neues Modellierungsverfahren 61 Metalle einbezogen. Die Studie zeigt, dass in vielen Fällen strategisch wichtige und gleichzeitig knappe Metalle im Durchschnitt nur ein Jahrzehnt lang genutzt werden. Kobalt und Indium zum Beispiel sind lediglich zwölf Jahre im Wirtschaftskreislauf. Die wachsende Nachfrage muss also ständig durch neue Bergbauaktivitäten bedient werden. Für die langfristige Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe und um Umweltkonflikte sowie Klima- und Umweltbelastungen zu vermeiden, müssen metallische Rohstoffe so lange wie möglich im Kreislauf bleiben. Die Pläne der EU und der Bundesregierung für ein Kreislaufwirtschaftsgesetz und spezifische Recyclingquoten müssen auch deshalb schnell vorangetrieben werden.
Die Diversifizierung oder Rückverlagerung der Erschließung sind nicht bei allen strategischen Rohstoffen mangels geografischen (Nicht-) Vorkommens möglich. Zudem ist eine solche Umstrukturierung der Bezugsquellen zeitintensiv, langwierig und natürlich auch kostspielig. Deshalb ist es so wichtig auf Wiederverwertung und mehr Vorratshaltung zu setzen, um besser gegen akute Lieferunterbrechungen gewappnet zu sein.
Auch wenn ein strategischer Rohstoff wie Lithium vorrangig aus demokratischen Ländern (Australien, Chile) kommt, wird es auch weiterhin Bezugsquellen aus autoritären oder auch hochkorrupten Ländern geben.
Hier könnten gesetzlich geregelte Sorgfaltspflichten für Unternehmen ein strategischer und wirkungsmächtiger Hebel sein für mehr Umwelt- und Menschenrechte sowie Transparenz in den Lieferketten sein. Für sie müsste allerdings im globalen Maßstab ein level playing field geschaffen werden, was bislang nicht in Sicht ist, auch wenn auf UN-Ebene Prinzipien für „Wirtschaft und Menschenrechte“, UN Principles for Business and Human Rights, existieren.
Aufgrund des politischen und öffentlichen Drucks ist auf EU-, Bundesebene wie auch multilateraler Ebene eine Reihe politischer Initiativen entstanden, um Umwelt- und Sozialstandards, Sorgfaltspflichten für Unternehmen in Lieferkettengesetzen verbindlich zu verankern (ein guter Ansatz ist auch das lateinamerikanische Escazú-Abkommen, das zu Umweltstandards und Transparenzpflichten verpflichtet). Sie können – ernsthaft umgesetzt – auch in einem autoritären, repressiven und intransparenten politischen Umfeld eben doch einen Unterschied machen.
Was hier für den metallischen Rohstoffsektor beschrieben wird, gilt auch für die neu aufzubauende Wasserstoffwirtschaft. Hier gilt es alte Fehler nicht zu wiederholen, früh auf breite Beschaffung zu setzen und sozial wie ökologische Standards zu verankern und in den Lieferländern Wertschöpfung zu organisieren, um so die Transformation der Energie-Wirtschaft auch dort zu beschleunigen.
Im Wettlauf um Rohstoffe darf Versorgungssicherheit eben nicht oberste Priorität genießen, sondern muss in der politischen Arena gleichrangig mit verbindlichen sozialen und ökologischen Standards, mit mehr Rohstoff- und Ressourceneffizienz, mit einer wirkungsvollen Kreislaufwirtschaft Hand in Hand gehen.
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