Wer im Oktober 2010 die Wirtschaftsseiten deutscher Zeitungen betrachtete, hätte zum Schluss kommen können, Deutschland befände sich in einem Wirtschaftskrieg mit China. Da wurde vom „Kampf um Rohstoffe“ (Handelsblatt) getitelt oder gar ein „Rohstoff-Kartell gegen China“ (Spiegel) gefordert. Mehr als ein Jahrzehnt später hat sich die Situation nur unwesentlich verändert: „Scholz will Mineralien sichern“ (Tagesschau), „Raus aus der Rohstoff-Falle“ (Süddeutsche Zeitung) oder „Wettlauf um Rohstoffe“ (Tagesspiegel) titelten deutsche Medien in den letzten Wochen. Dabei sollte doch die im Oktober 2010 präsentierte und im Jahr 2020 überarbeitete Rohstoffstrategie der Bundesregierung die Versorgungssicherheit der Industrie sicherstellen.
Eine Rohstoffwende ist nötig
Einige der importierten Rohstoffe werden unter schweren Menschenrechtsverletzungen und großer Umweltzerstörung gewonnen.
Doch diese Strategien haben an der Grundproblematik nichts verändert: Als Volkswirtschaft ge- und verbrauchen wir zu viele metallische Rohstoffe. Ein Großteil davon sind Primärmetalle, also bergbaulich gewonnene Erze. Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe importierte Deutschland im Jahr 2021 knapp 90 Millionen Tonnen Metalle. Im Jahr 2010 waren es nur gut 60 Millionen Tonnen. So bleibt Deutschland abhängig von Primärmetallimporten aus China, Russland und anderen (vorsichtig formuliert) nicht-demokratischen Staaten. Noch gravierender: Einige der importierten Rohstoffe werden unter schweren Menschenrechtsverletzungen und großer Umweltzerstörung gewonnen. Dabei könnte sowohl die hohe Abhängigkeit als auch die Beteiligung an der Zerstörung von Menschenleben und Umwelt deutlich reduziert werden, die Politik müsste nur endlich Weichen für eine Rohstoffwende stellen. „Rohstoffwende“ bedeutet, sowohl den absoluten Verbrauch von Primärmetallen zu reduzieren als auch höchste ökologische und menschenrechtliche Standards beim Abbau von Erzen sicherzustellen.
Um Reduktionsziele beim Primärmetallverbrauch zu erreichen, braucht es verschiedene Maßnahmen, vom Ausbau der Kreislaufführung über längere Produktnutzung bis hin zur Substitution. Bisher mangelte es hier an Maßnahmen und Vorgaben von der Politik. Daher verwundert es nur wenig, wenn das Bundeswirtschaftsministerium im Eckpunktepapier „Wege zu einer nachhaltigen und resilienten Rohstoffversorgung“ Anfang Januar 2023 konsterniert feststellt: „Der gesamte prozentuale Materialanteil, der durch Recycling im Kreislauf gehalten wird, liegt in Deutschland allerdings aktuell nur bei ca. 13 Prozent“, das bedeutet nur ein Mittelfeldplatz innerhalb der EU.
Widerspricht Reduktion des Metallverbrauchs nicht den Klimazielen?
Die Forderung nach einer Reduktion des Metallverbrauchs widerspricht auf den ersten Blick der Erreichung der Klimaziele. Denn um aus Kohle-, Gas- und Erdölnutzung auszusteigen, so heißt es in vielen Studien, benötigen wir dringend mehr Metalle. Nun ist die Beziehung zwischen Klimakrise und metallischem Bergbau schwierig. Denn zum einen stellt selbst das Wirtschaftsministerium in besagtem Eckpunktepapier fest, dass mindestens zehn Prozent der globalen CO2-Emissionen auf den Bergbau und die Verarbeitung von Primärmetallen zurückgehen. Die Entwaldung und Wasserentnahme in trockenen Regionen können ebenfalls die Klimakrise bzw. deren Folgen verschärfen. Diese Herausforderungen werden meistens ausgeklammert und die hohen Metallverbräuche für Windkraft- und Solaranlagen addiert. Was dabei ausgeblendet wird: Die Energieproduktion, egal ob fossil oder erneuerbar, benötigt immer große Mengen an Metallen. Industrie und Politik nutzen die prognostizierten steigenden Metallbedarfe für den Ausbau der Erneuerbaren derzeit häufig als Legitimation für die Ausweitung des Bergbaus. Eine Analyse von PowerShift mit Daten des Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) zeigt jedoch, dass die erneuerbare Energieproduktion keinen wesentlich größeren Bedarf an Metallen hat als fossile Energien. Im Gegenteil, manche erneuerbare Energietechnologien, etwa kleine Wasserkraftwerke oder auf Dächern montierte PV-Anlagen, schneiden deutlich besser ab bezüglich ihres Metallfußabdrucks als zum Beispiel fossile Kohlekraftwerke. Für eine Megawatt Stunde Strom werden etwa 300g Metalle in einem Kleinwasserwerk benötigt, knapp 1.400g in einer auf dem Dach montierten PV-Anlage, Windkraftanlagen stehen bei etwa 3.200g, aber in einem Kohlekraftwerk sind es bis zu 4.000g. Obwohl also der Ausbau erneuerbarer Energietechnologien große Mengen an Metallen benötigt, ist die Materialintensität deutlich geringer, da bei Gas- und Kohlekraftwerken zusätzlich die verbrannten fossilen Rohstoffe hinzugerechnet werden müssen.
Im Vergleich zur Autoindustrie ist der Bedarf der Erneuerbaren an Metallen gering
Ohne Reduktion des Primärmetallverbrauchs sind weder die Klimaziele einzuhalten, noch wird die Versorgungssicherheit erhöht werden können.
Dennoch, in absoluten Zahlen wirkt der Verbrauch an Metallen für den Ausbau erneuerbarer Energien erst einmal enorm. Die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) hat den Materialverbrauch für das Erreichen der Ausbauziele der Bundesregierung berechnet. Für Windkraft- und Solaranlagen werden in Deutschland bis 2030 etwa 20 Mio. Tonnen Stahl, 1,3 Mio. Tonnen Aluminium und 0,9 Mio. Tonnen Kupfer benötigt. Das klingt viel, aber setzen wir diese Zahlen mal in ein Verhältnis. Laut gemeinsamer Forschungsstelle (JRC) der EU, wurden alleine im Jahr 2019 16,4 Millionen neue Fahrzeuge in der EU zugelassen, die 12,6 Mio. Tonnen Eisen, 2,5 Mio. Tonnen Aluminium und 0,3 Mio. Tonnen Kupfer beinhalteten. Wohlgemerkt, in nur einem einzigen Jahr.
Für eine effektive Bekämpfung des Klimawandels ist der Ausbau erneuerbarer Energieinfrastruktur essenziell. Dieser Ausbau und der damit einhergehende Metallbedarf rechtfertigen in keiner Weise mögliche soziale und ökologische Schäden sowie globale Ungerechtigkeiten beim Rohstoffabbau. Vielmehr verdeutlichen sie die Dringlichkeit, unseren Umgang mit Rohstoffen im Sinne einer Rohstoffwende zu transformieren. Ohne Reduktion des Primärmetallverbrauchs sind weder die Klimaziele einzuhalten, noch wird die Versorgungssicherheit erhöht werden können. Ein wichtiger Hebel zur Reduktion sind dabei Sektor-spezifische Ziele. Hier ist der Energiesektor anders gefordert als zum Beispiel der Mobilitätssektor. Autos müssen sowohl in ihrer Anzahl, als auch in Gewicht und Größe reduziert werden.
Karl Cammann
vor 2 JahrenAusgezeichnet, bisher zu wenig beachtet