Es könnte also dazu kommen, dass die deutsche oder europäische Wirtschaft nur partiell, zu extrem hohen Preisen oder sogar gar nicht mehr mit den notwendigen Rohstoffen beliefert wird.
Die deutsche Volkswirtschaft bezieht ihre Rohstoffe, gemessen an ihrem Wert, zu 90 Prozent aus dem Ausland. In einer Welt freien und sicheren Handels wäre das kaum eine Notiz wert, doch die Zeiten haben sich bekanntlich geändert. Die proklamierte „Zeitenwende“ bringt es mit sich, dass die bestehende Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Lieferungen neu hinterfragt wird. Es macht einen großen Unterschied, ob Rohstoffimporte aus der Europäischen Union oder aus „kritischen“ Staaten, die wie Russland ihre Lieferungen auch als politisches Instrument nutzen, geliefert werden.
Die Europäische Kommission verfasst seit 2011 alle drei Jahre einen Bericht, der „kritische“ mineralische Rohstoffimporte identifiziert, die zwei Kriterien erfüllen: Erstens sind sie essentiell für moderne Schlüsselindustrien, wie zum Beispiel die Chipindustrie oder die Batteriefertigung. Ohne diese Rohstoffe kommt es also über kurz oder lang zu einem Zusammenbruch moderner Volkswirtschaften. Zweitens wird die Lieferung solcher Rohstoffe als gefährdet eingeschätzt, da es (Quasi-) Monopole auf der Lieferantenseite gibt, Transportwege unsicher sind oder Lieferanten als nicht vollkommen verlässlich eingeschätzt werden. Es könnte also dazu kommen, dass die deutsche oder europäische Wirtschaft nur partiell, zu extrem hohen Preisen oder sogar gar nicht mehr mit den notwendigen Rohstoffen beliefert wird. Insgesamt handelt es sich hierbei um 30 kritische mineralische Rohstoffe – dazu gehören u.a. Lithium, Kobalt oder Seltene Erden.
Aus wirtschaftspolitischer Sicht können sechs verschiedene Maßnahmen (siehe Abbildung) ergriffen werden, um die Sicherheit der Versorgung mit diesen kritischen mineralischen Rohstoffen zu verbessern. Drei kurzfristige Maßnahmen lassen die grundsätzliche Abhängigkeit von Importen unverändert, aber streben eine bessere Position der europäischen Länder an. Drei weitere Maßnahmen ersetzen Importe durch geeignete Maßnahmen und verbessern damit die Versorgungssicherheit Europas fundamental und langfristig. Konkret können folgende Maßnahmen ergriffen werden:
(1) Aufgrund der hohen Konzentration beim Angebot mancher Rohstoffe ist es hilfreich, dieser Marktmacht durch eine Bündelung der Nachfrage, zum Beispiel auf EU-Ebene, zu begegnen. Dazu müssten sich die Unternehmen und Staaten in der EU verständigen. (2) Das Risiko aus Importen kann dadurch kurzfristig gesenkt werden, dass Lieferanten systematisch diversifiziert werden. Hier gibt es noch Verbesserungspotential, zum Teil indem Rohstoffimporte aus sicheren Ländern ausgebaut und aus unzuverlässigen Ländern verringert werden. (3) Als letzte Maßnahme, die die Versorgung stabilisiert, ohne an den Importen anzusetzen, kann Lagerhaltung kritischer Rohstoffe vorgeschrieben werden. Für die Umsetzung einer solchen Lagerhaltung sind verschiedene Modelle mit mehr oder weniger Zentralität denkbar. Ein Vorbild hierfür sind die vorgeschriebenen Erdgasreserven in Deutschland.
Einen eleganten, aber nicht gut planbaren Ausweg aus der Abhängigkeit von Rohstoffimporten bieten technologische Innovationen [...]
Beim Ersatz von Importen kritischer mineralischer Rohstoffe können drei weitere Maßnahmen bedacht werden. (4) Recht unstrittig dürfte eine Ausweitung verbunden mit einer systematischen Organisation des Recyclings von mineralischen Rohstoffen sein. Dabei geht es dann nicht mehr nur um Wirtschaftlichkeit, sondern auch um Versorgungssicherheit. Insofern bedarf es hierbei vermutlich zusätzlicher Anreize. (5) Auch wenn es einen jahrelangen Vorlauf braucht, schafft nur die Förderung kritischer mineralischer Rohstoffe in der EU eine wirkliche Unabhängigkeit von anderen Staaten. Denn eine 100-prozentige Recyclingquote wird aus technisch-wirtschaftlichen Gründen nie möglich sein, so dass also Bedarf nach zusätzlichen Rohstoffen bestehen bleibt. Allerdings stößt die Förderung von Rohstoffen und genauso ihre Verarbeitung auf Widerstände, da beides mit Umweltbelastungen verbunden ist. Immerhin ist davon auszugehen, dass die Umweltbelastungen in Europa deutlich geringer als in den in der Regel wirtschaftlich schwächeren bisherigen Förderländern sein werden, aus denen noch zusätzlich Transportaufwendungen anfallen. (6) Einen eleganten, aber nicht gut planbaren Ausweg aus der Abhängigkeit von Rohstoffimporten bieten technologische Innovationen, die entweder generell mit weniger Rohstoffeinsatz auskommen oder jedenfalls kritische mineralische Rohstoffe substituieren.
Zusammenfassend scheint es aufgrund der drängenden Loslösung von der Rohstoffabhängigkeit von „kritischen“ Staaten sinnvoll, mehrere (oder gleich alle) Maßnahmen parallel anzustoßen. Bedauerlicherweise sind Problem und mögliche Gegenmaßnahmen schon lange bekannt. Sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierungen erstellen seit über zehn Jahren entsprechende umfangreiche Bestandsaufnahmen. Woran es mangelt, ist eine konsequente Umsetzung der Maßnahmen, die innerhalb Europas abgestimmt sein sollten, um all ihre möglichen Vorteile zu realisieren.
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