Welche Infrastruktur braucht die klimaneutrale Zukunft?

Gastautor Portrait

Jonas Fritz

Senior Manager für Mobilität und Logistik, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI)

Jonas Fritz ist Senior Manager für Mobilität und Logistik beim Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI). Er betreut dort die Themen Infrastruktur, Planungsbeschleunigung, Güterverkehr und Logistik. Zuvor war er Büroleiter einer Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Anfang der 2010er-Jahre setzte er als Public-Affairs Berater im Bundesverkehrsministerium die erste Online-Bürgerbeteiligung auf Bundesebene mit um.

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27. September 2021

Infrastrukturen werden heute noch viel zu oft streng nach Sektoren getrennt gedacht: Hier die Energieversorgung mit den Übertragungsnetzen, den Pipelines und den Verteilnetzen für Strom und Gas. Dort die Verkehrsinfrastruktur mit dem Straßen-, Schienen- und Wasserstraßennetz sowie den Flughäfen. Und dann noch die digitale Infrastruktur mit Mobilfunkmasten, Richtfunkstecken, Glasfaser- und Kupferkabelnetzen.

Energie- und Verkehrsinfrastrukturen sind bereits heute aufeinander angewiesen

Darauf, dass eine solche sektorale Arithmetik zu kurz greift, hätte man durchaus schon auf dem Höhepunkt des fossilen Zeitalters kommen können: Denn was zum Beispiel wäre das deutsche Straßennetz ohne die Energieversorgungsinfrastruktur in Form von rund 14.000 konventionellen Tankstellen und ohne passgenaue Kraftstofflogistik, die alle Verkehrsträger nutzt, um Versorgung in der Fläche sicherzustellen? Oder ein anderes Beispiel: Wussten Sie, dass die Energie, die ein Flugzeug über dem Atlantik in 10.000 Meter Höhe hält, am Frankfurter Flughafen per Kerosinpipeline aus Tanklagern und Raffinerien am Rhein kommt, die wiederum von Binnenschiffen und Güterzügen versorgt werden?

Die Vernetzung von Energieversorgung und Verkehrsinfrastrukturen ist also schon seit Jahren gelebte Realität. Aber erst im Zuge der Herausforderungen des Klimawandels spricht jeder von Sektorkopplung. Was es zu verstehen gilt, sind drei Dinge:

  1. Eine Infrastruktur kommt selten und am besten nicht allein.
  2. Verschiedene Infrastrukturen sind wechselseitig aufeinander angewiesen.
  3. Synergien, Nachhaltigkeit und neue Möglichkeiten entstehen stark zunehmend im Verbund.

Infrastrukturen für alternative Antriebe und Kraftstoffe

Mit dem im Verkehrssektor bei allen Verkehrsträgern inzwischen betretenen Pfad hin zu alternativen Antrieben und Kraftstoffen werden die Verwobenheit der Infrastrukturen und die neu sich bietenden Chancen für Jedermann greifbar: Warum speist die Photovoltaik auf dem Hausdach nicht die Wallbox in der Garage? Wird es einen Anreiz geben, wenn ich mein E-Auto genau zu dem Zeitpunkt lade, wenn an Nord- und Ostsee der Wind kräftig bläst, also besonders viel grüner Strom ins Netz eingespeist wird? Welchen Beitrag können zukünftig Millionen E-Autos oder stationäre Brennstoffzellen als Zwischenspeicher für die Stromnetzstabilität leisten? Wie kommt der Wasserstoff, der bald in großen und kleinen Elektrolyseuren landauf, landab gewonnen wird, in die Fläche, und welche Rolle spielen hierbei bestehende Energienetze und neue Transportkonzepte, zum Beispiel für Wasserstoff auf der Schiene?

Digitale Infrastruktur für den Verkehrssektor

Es sind aber nicht nur die alternativen Antriebe und Kraftstoffe, die die Sektoren verknüpfen und gewaltige Chancen für Nachhaltigkeit und den Markthochlauf von Innovationen bergen. Der Wandel im Bereich der Mobilität und Logistik in Richtung Automatisierung und datengetriebene Lösungen führt zu einer digitalen Verknüpfung von Reisenden, Nutzern und Fahrzeugen untereinander sowie mit Infrastrukturen, Verkehrsleitzentralen und innovativen Diensteanbietern. Dies erfordert wiederum die Ausstattung von Transportwegen und -mitteln mit leistungsfähigen mobilen Internet, moderner Sensorik und Technologien etwa zur Verkehrsflusssteuerung.

Das Zusammenspiel der Infrastrukturen erfordert massive Investitionen

Die klimaneutrale Zukunft und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit erfordert die Stärkung und das Zusammenspiel aller dieser Infrastrukturen: Die marode Verkehrsinfrastruktur muss ertüchtigt und bedarfsgerecht ausgebaut werden. Für die Digitalisierung der Verkehrswege und deren Ausrüstung mit Zukunftstechnologien ist eine lückenlose Mobilfunkabdeckung des Netzes Voraussetzung. Im Stromnetz garantieren erst noch neu zu schaffende Übertragungsleitungen, dass der grüne Strom von den Erzeugungsstandorten zu den Abnehmern in der Fläche kommt. Speichertechnologien und smarte Verteilnetze müssen für Resilienz und Effizienz sorgen. Lade- und Tankinfrastrukturen für alternative Antriebe und Kraftstoffe müssen flächendeckend aufgebaut werden.

EU-weiter Aufbau von Lade- und Tankinfrastrukturen

Der Aufbau, die Modernisierung und der Ausbau dieser Infrastrukturnetze erfordern enorme Investitionen, die Unternehmen nicht allein bewältigen können. Allein für das Erreichen der nationalen Klimaschutzziele im Verkehr sind laut BDI-Analyse Klimapfade Verkehr 2030 bis zum Jahr 2030 rund 44 Milliarden Euro für den Aufbau von Lade- und Tankinfrastrukturen erforderlich, wobei die in diesem Jahr verschärften nationalen Klimaschutzziele absehbar einen noch höheren Anspannungsgrad erfordern werden. Parallel sind alle EU-Staaten aufgefordert, ihren Aufbau von Lade- und Tankinfrastrukturen mit vergleichbaren Ambitionen voranzutreiben – Nur dann kann der europäische Gedanke eines gemeinsamen Binnenmarktes und einer grenzüberschreitenden Mobilität von Menschen und Gütern auch in Zukunft Bestand haben.

Die Politik ist deshalb gut beraten, wo immer es möglich ist, einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, der private Investitionen induziert und zeitnah zur Wirtschaftlichkeit führt. So erfordert etwa der flächendeckende Ausbau der Ladeinfrastruktur einen konsistenten Ansatz von Regulierung, Förderung und Anreizen, der etwa sicherstellt, dass keine nachträglichen Umbaukosten für Ladeinfrastruktur entstehen und unnötige Hürden bei Genehmigung und Errichtung abgebaut werden.

Akzeptanz schaffen und Tempo bei der Umsetzung machen

Für all das reicht es nicht, bloß Investitionsmittel in ausreichender Höhe und kontinuierlich – das heißt: mit der notwendigen Planungssicherheit für den Kapazitätsaufwuchs bei den bauausführenden Unternehmen – zur Verfügung zu stellen. Die finanziellen Mittel müssen auch tatsächlich verbaut werden können. Hierzu ist eine massive Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren erforderlich. Die dafür notwendigen Maßnahmen und Instrumente sind längst identifiziert. So erhöhen beispielsweise eine frühe Bürgerbeteiligung und sogenannte Maßnahmengesetze, durch die Baurecht per Parlamentsbeschluss geschaffen werden kann, die Akzeptanz für Infrastrukturvorhaben und ermöglichen die zügigere Umsetzung der Projekte. Der Ort, an dem das Für und Wider eines Infrastrukturprojekts abgewogen und Interessenkonflikte ausgeglichen werden, sollte zukünftig weniger der Gerichtssaal, sondern vielmehr das Parlament sein.

Die Herausforderungen sind gewaltig. Sie jetzt mit Verve anzugehen, lohnt sich: Für das Klima, für Arbeitsplätze und Lebensqualität und für eine weiterhin auf Innovationen basierende industrielle Wertschöpfung in Deutschland und Europa.

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