Grönland im Fieber

Gastautor Portrait

Walter Turnowsky

Web-Journalist bei Sermitsiaq AG auf Grönland

Walter Turnowsky ist Däne mit österreichischen Wurzeln. Nach dem Studium der Biologie in Kopenhagen trat er in Sachsen als Pressesprecher einer Partei ins Berufsleben ein. Danach folgten Fortbildungen und Anstellungen als Radio- und Fernsehreporter bei dänischen Medien und als Fernsehredakteur auf Seeland. Für den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender KNR war Walter Turnowsky erstmals als Nachrichtenredakteur auf Grönland tätig bevor er bei der Sermitsiaq.AG anheuerte.

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08. Mai 2018
Schlitten gezogen von Huskies im Eis von Grönland
Foto: Walter Turnowsky

Am Montag, den 19. März, wäre es für Jan Lorentzen beinahe fatal ausgegangen. Der 56-jährige lebt in der nördlichsten Stadt an der Ostküste Grönlands, Ittoqortoormiit. Wie so oft hatte er seine Hütte, gut 10 Kilometer von der Stadt entfernt, besucht. Als er aus einem Schuppen trat, stand zehn Meter von ihm entfernt ein Eisbär. Nach kurzem Zögern ging der Bär auf Jan Lorentzen los. Nur durch einen harten Faustschlag entging er einem Biss des Bären. Noch zwei weitere Faustschläge brauchte es, bevor Jan Lorentzen auf seinem Schneewiesel dem Bären entkommen konnte.

Der 56-jährige hat keine Zweifel: Dieser Bär hatte es auf ihn abgesehen. Es ist das erste Mal seit den 60-iger Jahren, dass jemand aus Ittoqortoormiit von einem Eisbären angegriffen wurde. Doch die Bewohner der Ortschaft haben seit einigen Jahren befürchtet, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis ein Unglück passieren würde. Immer häufiger tauchen Bären sogar mitten in Ittoqortoormiit auf. Die Kinder dürfen mittlerweile nicht mehr draußen spielen. Weder die lokalen Jäger noch die Biologen haben Zweifel, woran es liegt: Das Meereis schwindet Jahr für Jahr. Und da die Bären das Eis für die Jagd auf Robben brauchen, verlieren die hungrigen Tiere ihre natürliche Scheu und suchen Futter in der Stadt. In diesem Jahr ist die Ausbreitung des Meereises in Nordostgrönland besonders gering. Und dieses Jahr sind die Eisbären besonders zahlreich in Ittoqortoormiit.

Gletscher in Grönland
Klimawandel zum anfassen: Vor 20 bis 30 Jahren reichte die Gletscherzunge noch bis zu den Randmoränen.

Foto: Walter Turnowsky

40 Grad wärmer als normal

Der Unterschied zwischen dem Fall, wo wir nichts tun, und dem Fall, wo wir eingreifen, wird umso grösser, je weiter wir in die Zukunft blicken

Signe B. Anderesn, Glaziologin bei PROMICE

Einen Monat früher hat sich noch weiter nördlich ein weiteres dramatisches Ereignis abgespielt. Es hat zwar nicht dieselbe Karl-May-Qualität wie der Faustkampf mit dem Bär, ist in der Konsequenz jedoch ernster. Am 22. Februar wurde am nördlichsten Punkt Grönlands mit 6 Grad die höchste Temperatur im Königreich Dänemark gemessen. Das sind ungefähr 40 Grad wärmer als normal um diese Jahreszeit. Die Durchschnittstemperatur für Februar lag 14 Grad höher als in einem Normaljahr. Entsprechend gering war auch die Ausbreitung des Meereises in der gesamten Arktis. Sogar nördlich Grönlands gab es zwischenzeitlich offenes Wasser. Dies an einem Ort, der wesentlich näher am Nordpol liegt als an irgendeiner menschlichen Behausung. Nun weiß jeder, der sich ernsthaft mit dem Thema auseinander setzt, dass das Wetter eines Jahres noch lange keinen Klimawandel ausmacht. Doch auch in diesem Punkt kommen wenig erfreuliche Nachrichten aus Grönland. Die Temperatur steigt hier doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Die Arktis liegt im Fieber.

Und hier wird es nun wirklich ernst. Denn sollte die gesamte Eisdecke Grönlands abtauen, würde dies alleine den Pegel der Weltmeere um sieben Meter anheben. Ein völliges Abtauen sagen die Klimamodelle nicht vorher, aber diese Zahl demonstriert die Dimensionen, mit denen wir es hier zu tun haben.

Von Grönland kommt der größte Beitrag zum Anstieg der Meere

Nordlichter in Grönland
Nordlichter auf Grönland

Foto: Walter Turnowsky

Wie sich diese enorme Eismasse unter den rapide steigenden Temperaturen genau verhält, das beobachten die Forscher des Projektes PROMICE (Program for Monitoring of the Greenlandic Ice Sheat) seit zehn Jahren. Sie haben ermittelt, dass das Schmelzen der grönländischen Eiskappe schon heute den größten Beitrag zum Anstieg des Meeresspiegels liefert; mehr als die wesentlich größere Antarktis. „Es hat uns überrascht, wie schnell es geht und wie viel Eis schmilzt“, sagt Signe B. Anderesn, Glaziologin bei PROMICE.

Momentan steigt der Meeresspiegel um 0,6 mm pro Jahr alleine auf Grund des grönländischen Eises. Und egal, was wir tun, dieser Prozess wird sich in den kommenden Jahrzenten noch weiter steigern. Selbst wenn die Ziele des Pariser Abkommens erreicht werden, wird sich der daraus entstehende Effekt erst nach 20 bis 30 Jahren zeigen. Bis dahin wird die Temperatur in Grönland genauso schnell steigen wie im Falle unserer Tatenlosigkeit. Für Signe B. Andersen ist das kein Argument, den CO2-Ausstoss weiter steigen zu lassen. Im Gegenteil, sie drängt zu schnellem Handeln. „Der Unterschied zwischen dem Fall, wo wir nichts tun, und dem Fall, wo wir eingreifen, wird umso grösser, je weiter wir in die Zukunft blicken“, erklärt die Forscherin.

Für Jan Lorentzen und die übrigen Einwohner Grönlands sind die Klimamodelle längst keine Theorie mehr. Sie können den Klimawandel direkt vor der Haustür beobachten. Ironischerweise werden die Grönländer wohl mit am besten mit dem Klimawandel zurechtkommen. Den einerseits bietet er für Grönland Chancen, da neue Rohstoffvorkommen unter dem Eis hervorkommen und neue Schiffsrouten sich auftun. Andererseits sind die Grönländer seit Jahrhunderten gewohnt, sich einer übermächtigen und wechselhaften Natur anzupassen. Ob andere Länder wie Deutschland, Dänemark, die USA oder Russland ebenso anpassungsfähig sind, das ist wohl mehr als fraglich.

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