Die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich läuft noch. Den Titel Europameister haben wir uns indessen schon gesichert, leider in der falschen Disziplin. Nicht zu schlagen waren wir in der Luftverschmutzung. Zehn EU-Mitglieder haben 2014 zu viele Luft-Schadstoffe emittiert. Deutschland schaffte, was sonst keinem anderen Land gelang: In drei von vier Kategorien, bei den Werten für Stickoxide (NOx), Nichtmethan-flüchtige organische Verbindungen (NMVOCs) und Ammoniak (NH3) lag die Bundesrepublik über den in der EU vereinbarten Grenzwerten. Nach der Statistik der Europäischen Umweltagentur hat Deutschland als bevölkerungsstärkstes Land in allen vier Kategorien die höchsten Werte in Europa und seit 2010 kein einziges Mal die Grenzwerte eingehalten.
Seit Jahren konkurrenzlos schmutzig
Schon mehrfach wurde die Bundesregierung seit 2009 von der EU-Kommission ermahnt. Aufgrund der fortgesetzten Untätigkeit hat die Kommission dann im letzten Jahr ein zweites Vertragsverletzungsverfahren auf den Weg gebracht. Die Kommission wurde tätig, nachdem der Diesel-Gate-Skandal offenbart hatte, dass die Automobilindustrie alles andere als ein guter Partner bei der Luftreinhaltung ist. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt einen Höchstwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter. Die EU hat diesen Wert übernommen. Eingehalten wird er in Deutschland nicht. Vor allem die in Deutschland überdurchschnittlich verbreiteten Dieselmotoren sind dafür verantwortlich, dass der EU-Grenzwert im Jahresmittel an 29 Prozent aller bundesweiten Luftschadstoff-Messstellen überschritten wurde.
Oberpeinlich: In Stuttgart lebt es sich besonders gefährlich
Bereits im letzten Jahr hat die Deutsche Umwelthilfe unter anderem die Stadt Stuttgart wegen Nichteinhaltens der Stickstoffdioxid-Werte verklagt. Der Stoff reizt die Schleimhäute, schädigt die Atemwege – besonders Kinder und kranke Menschen sind betroffen – und kann Kopfschmerz und Schwindel auslösen. NO2 steht in Verdacht, krebserregend zu sein. In Stuttgart gibt es besonders viel NO2 in der Atemluft. Die Stadt ist deutscher Meister der Luftverschmutzung. Hier werden nicht nur die höchsten NO2-, sondern auch die höchsten Feinstaubwerte der Republik gemessen.
In den gegen Deutschland laufenden Vertragsverletzungsverfahren der EU spielt Stuttgart neben Leipzig eine Hauptrolle. Das ist dreifach oberpeinlich für eine Stadt, die a) von einem grünen Oberbürgermeister regiert wird, b) Amtssitz eines grünen Verkehrsministers ist und c) sich rühmt, sowohl „Motor der Mobilität„, Zentrum des deutschen Automobilbaus als auch Hightech-Region zu sein. Wenn so viel Know-how und so viel politischer Wille im Schwabenland zusammentreffen, warum bekommt man dieses Problem nicht in den Griff? Kommt bald die neue Kampagne: Wir können alles – außer Luftreinhaltung?
Europameister der Luftverschmutzung
Der Siegeszug der Erneuerbaren sollte, so wäre zu vermuten, für eine Entspannung bei einer der Schadstoffquellen geführt haben: den Emissionen aus Kohlekraftwerken. Im letzten Jahr erzeugten die erneuerbaren Energien ca. ein Drittel des in Deutschland erzeugten Stroms. 2005 waren es knapp über zehn Prozent. Welche Folgen hatte diese Steigerung in der Erzeugung auf die Luftschadstoffbelastung? Eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage gibt darauf eine eindeutige Antwort: Keine! In den letzten zehn Jahren ist der Schadstoffausstoß der Kraftwerke nahezu konstant geblieben, denn die Summe der Jahresvollaststunden der deutschen Kohlekraftwerke blieb in den letzten zehn Jahren gleich. Das gilt auch für die Emissionen des hochgiftigen Quecksilbers. Auch hier liegen wir seit Jahren mit einer jährlichen Emission von zehn Tonnen, von denen 70 Prozent aus Kohlekraftwerken stammen, ganz vorne in Europa.
Beim Umweltschutz waren wir mal Weltmeister. Jetzt reicht es nur noch für die Bezirksliga. Viele Länder haben aufgeholt, andere haben uns überholt, denn wir treten auf der Stelle. Solange Energiewende lediglich bedeutet, dass der Anteil der Erneuerbaren beim Strom steigt, wird es bei der Luftreinhaltung keine Veränderungen geben. Nicht bei den Emissionen aus Kohlekraftwerken und nicht im Verkehr, wo – wie die Tagesschau berichtet – ein Kartell aus Industrie und Politik seit Jahren Fortschritte bei der Abgasreduzierung erfolgreich verhinderte.
Zum Schluss ein Beispiel, dass es anders geht. Die Grenzwerte für Kraftwerke bei uns, in China und den USA.
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