Das schwächste Glied in der Kette

Gastautor Portrait

Johannes Grün

Leiter Referat Wirtschaft und Umwelt, Brot für die Welt

Johannes Grün leitet das Referat Wirtschaft und Umwelt in der Abteilung Politik von Brot für die Welt in Berlin. In seinem Arbeitsbereich wird politische Lobbyarbeit in Fragen der wirtschaftlichen Globalisierung, Handels-, Klima- und Finanzpolitik verantwortet.

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15. Juli 2021
Foto: Joerg Boethling/agenda

Die kurzfristigen Folgen der Corona-Pandemie verdrängen die Sichtbarkeit der mittelfristigen krisenhaften Herausforderungen, allen voran der Klimakrise.

Johannes Grün

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie haben vielerorts die Ärmsten und Verletzlichsten zuerst und am stärksten getroffen. Viele Unternehmen merken, dass ihre Wertschöpfungsketten nur so stark sind wie das schwächste Glied in der Kette. Der Wettlauf um die niedrigsten Standards ist menschenrechtlich, ökologisch und wirtschaftlich auf Dauer nicht nachhaltig.

Mit der Corona-Pandemie und ihren dramatischen wirtschaftlichen Folgen insbesondere in den Ländern des Globalen Südens ist im Versuch, die Folgen dieser Krise abzumildern, eine auf die Dauer problematische „Krisenkonkurrenz“ entstanden. Die kurzfristigen Folgen der Corona-Pandemie verdrängen die Sichtbarkeit der mittelfristigen krisenhaften Herausforderungen, allen voran der Klimakrise. Deren Folgen wirken in fragilen Kontexten oft konfliktverstärkend, wenn zum Beispiel fruchtbares Ackerland knapp ist, Ungleichheit hoch und Gewalt an der Tagesordnung. Gleichzeitig hat sich in Folge von Corona gezeigt, wie fragil manche Wertschöpfungskette ist, wenn ein Krisenschock die Ärmsten und Verletzlichsten zuerst trifft. Das trifft auch für die Rohstoffpolitik zu.

Momentum für den Wandel

Mit der Verabschiedung der Konjunkturhilfen wurden in der deutschen Debatte auch Stimmen laut, die forderten, Klimaziele aufzuweichen und Standards zu verwässern, um die wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden. Derlei Argumentation ist gefährlich, weil viel zu kurz gesprungen. Denn die wirtschaftliche Erholung nach den dramatischen Folgen der Corona-Pandemie ist auch ein Momentum für ein Umsteuern, für nachhaltigere Wirtschaftskonzepte, für fairere und damit auch weniger krisenanfällige Wirtschafts- und Geschäftsmodelle, die gleichzeitig einen Beitrag zu Klimagerechtigkeit und zur globalen Energiewende leisten.

Zielkonflikte offen angehen

Für die Bewältigung der Klimakrise ist die Verkehrswende samt Umstieg vom Verbrennungsmotor auf Elektromobilität notwendig.

Johannes Grün

Das geht nicht ohne Zielkonflikte, um die man sich nicht herummogeln darf. Für die Bewältigung der Klimakrise ist die Verkehrswende samt Umstieg vom Verbrennungsmotor auf Elektromobilität notwendig. Gleichzeitig bringt der damit stark ansteigende Verbrauch von Rohstoffen für die Batterietechnologie, allen voran Lithium, neue Herausforderungen mit sich. 78 Prozent der europäischen Lithiumimporte stammen aus Chile. In der Atacamawüste zeigen sich die Folgen der Lithiumgewinnung, von Wasserknappheit bis zu lokalen Konflikten über die Frage der Beteiligung von indigenen Gemeinschaften, die in der Region verwurzelt sind und ihr Lebensmodell in Gefahr sehen. Die Folgen der Lithiumgewinnung sind dabei sichtbar, aber nicht transparent. Das Datenmonopol die Umweltfolgen betreffend, liegt oft bei den Unternehmen, unabhängige Untersuchungen gibt es wenig. Angesichts des prognostizierten Anstieges des weltweiten Lithiumbedarfs besteht hier Handlungsbedarf, wenn die E-Mobilität und Digitalisierung die Nachfrage nach Kupfer, Kobalt und Lithium weiter erhöhen werden. Ähnlich verhält es sich beim Zukunftsthema Wasserstoff. Um hier nicht die Fehler der ölgetriebenen Vergangenheit zu wiederholen und die Länder des Globalen Südens zu Rohstofflieferanten zu degradieren (samt der negativen Folgen vor Ort und der fehlenden Entwicklungsperspektiven) lohnt ein kritischer Blick auf Großprojekte wie den in der DR Kongo geplanten Staudamm INGA 3, wenn der hier gewonnene Wasserstoff ausschließlich exportiert werden soll, während vor Ort noch immer ein Großteil der Bevölkerung ohne Zugang zu Elektrizität ist.

Effizienz und Suffizienz: Zwei Seiten derselben Medaille

Die Lösung ist wie so oft nicht der eine Königsweg. Für eine zukunftsfähige, klimafreundliche und global gerechtere Wirtschaft brauchen wir beides: Effizienzstrategien und einen stärkeren Suffizienzansatz. Eine Senkung des Rohstoffverbrauchs in Deutschland von derzeit 16 Tonnen pro Kopf auf ungefähr ein Viertel dieser Menge wird nicht ohne einen ambitionierten Politikwechsel einschließlich der notwendigen Investitionen in innovative und ressourcenleichte Technologien, geschlossene Stoffkreisläufe und eine deutlich höhere Recyclingquote zu haben sein.

Hohe Standards sind ein Muss

Gleichzeitig müssen die verwendeten Rohstoffe hohen Standards genügen. Es ist nicht nachhaltig, wenn der ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft mit Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung oder Umweltzerstörung in anderen Teilen der Welt erreicht wird. Damit diese global gerechte Transformation gelingt, brauchen wir in Deutschland und auf europäischer Ebene ein ambitioniertes Lieferkettengesetz, das die richtigen Leitplanken setzt, damit ambitionierte und zukunftsfähige Unternehmen mit hohen Standards keinen Nachteil im Wettbewerb haben. Ein Level-Playing-Field entsteht nur durch die Setzung gemeinsamer gesetzlicher Rahmenbedingungen. Transparenz in den Lieferketten, wie in der EU-Verordnung zu Konfliktmineralien bereits verankert, wäre ein lohnendes Ziel, genauso wie die strikte Einhaltung der ILO-Konventionen zum Schutz von Arbeitnehmer:innen und indigener Gemeinschaften. In Handels- und Investitionsabkommen müssen verbindliche Menschenrechts-, Umweltschutz, Arbeitsrechts- und Klimaschutzklauseln verankert werden. Hier wäre auf europäischer Ebene ein starker Hebel.

Outsourcing funktioniert nicht (mehr)

Corona hat gezeigt: in einer derart global verwobenen Welt wie der unseren können Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung oder ausbeuterische Arbeitsbedingungen nicht ausgelagert werden. Hochindustrieländer wie Deutschland müssen ihrer Verantwortung stärker gerecht werden, wenn es darum geht, den menschengemachten Klimawandel zu begrenzen und ihren Ressourcenverbrauch zu verringern, gerade weil ein Großteil unserer Rohstoffe aus Entwicklungs- und Schwellenländern stammt, die zudem überproportional von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Corona hat die Sollbruchstellen einer globalisierten Weltwirtschaft deutlich gezeigt. Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung bei der Rohstoffförderung, wie auch die dramatischen Folgen der Klimakrise können in einer globalisierten Welt nicht outgesourced werden, sie holen uns über kurz oder lang ein.

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