Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Debatte über die Energieversorgung in Deutschland auf den Kopf gestellt. Während sich die Debatte in den letzten Jahren auf Klimaneutralität und Bezahlbarkeit fokussierte, geriet die Souveränität in den Hintergrund. Den Preis dafür bezahlt heute die Ukraine. Dabei muss eine zukunftsfeste Energiepolitik alles zugleich gewährleisten: Klimaneutralität, Bezahlbarkeit und Souveränität.
Die Bundesregierung hat nach dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine die Grundlagen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik neu geordnet. Deutschland liefert der Ukraine Waffen zur Selbstverteidigung, investiert 100 Mrd. EUR in die Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr und unterstützte letztlich den Ausschluss Russlands aus SWIFT, oder genauer gesagt, den Teilausschluss. Denn an einem möchte die Bundesregierung vorerst festhalten: Dem Import von Gas, Öl und Kohle aus Russland. Ein sofortiger Importstopp, so die Bundesregierung, sei wirtschaftlich nicht zu verkraften. Es ließe sich auch schärfer ausdrücken: Die über Jahre für unkritisch erachtete Abhängigkeit von russischen Energieimporten beeinträchtigt die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands.
Unabhängigkeit von russischen Energieimporten
Deutschland und Europa müssen Souveränität in der Energieversorgung anstreben.
Jetzt ist es angebracht, eine grundsätzliche Debatte über die Ziele der deutschen Energiepolitik zu führen. Kurzfristig muss die Unabhängigkeit von Russland oberste Priorität haben. Denn wenn wir jetzt nicht alles tun, um Putins Krieg zu stoppen, wäre dies nicht nur moralisch eine Bankrotterklärung, sondern wir würden auch unsere eigene Sicherheit gefährden. Für Putin ist der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das ist verabscheuungswürdig und menschenverachtend, ändert aber nichts an der Realität. Die Gefahr für die baltischen Staaten, Opfer der imperialen Machtgelüste des Kremls zu werden, ist real. Deshalb muss dem Regime Putin der Geldhahn zugedreht werden. Das geht am besten über ein vollständiges und sofortiges Embargo für Energieimporte. Der Preis, den wir dafür zahlen, wird hoch sein. Aber ein Unterlassen wird uns teurer zu stehen kommen. Denn auf dem Spiel steht nicht nur die Freiheit der Ukraine, sondern die Freiheit ganz Europas.
Die Fehler der Vergangenheit dürfen wir nicht wiederholen. Das heißt, dass wir uns nicht in neue Abhängigkeiten begeben dürfen, die zukünftig unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Deutschland und Europa müssen Souveränität in der Energieversorgung anstreben. Souveränität muss dabei nicht gleichbedeutend mit Autarkie sein. Eine autarke Energieversorgung ist nicht nur unrealistisch, sie wäre auch kostspielig. Wir werden auf Flüssiggasimporte angewiesen sein, die zum Teil auch aus nicht-demokratischen Staaten kommen werden. Wichtig ist, dass wir uns nie wieder von einem einzigen Lieferanten abhängig machen. Diversifizierung ist das Schlüsselwort.
Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien
Perspektivisch können wir die Abhängigkeit von Energieimporten deutlich reduzieren, indem wir den Ausbau erneuerbarer Energien sowie der hierfür erforderlichen Stromtrassen und Energiespeicher beschleunigen. Das ist auch vor dem Hintergrund des zweiten Ziels der Energiepolitik erforderlich: Klimaneutralität. Denn die Energieproduktion aus fossilen Brennstoffen bringt uns nicht nur in gefährliche Abhängigkeiten, sie gefährdet auch das Klima auf unserem Planeten.
Für den Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen wir schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren, aber auch wirtschaftliche Anreize. Den besten Anreiz bietet das Europäische Emissionshandelssystem (EHS). Das EHS versieht den Ausstoß von Treibhausgasen mit einem Preis und bestimmt zugleich ein Limit für die jährlich ausgestoßenen Treibhausgase. Das Einsparen von Treibhausgasemissionen wird so vom Kostenfaktor zum Wettbewerbsvorteil. Doch das EHS hat zwei Schwachstellen: Erstens erfasst das EHS nur die Emissionen in den Sektoren Strom und Industrie sowie im innereuropäischen Flugverkehr. Zweitens sinkt die jährliche Menge der ausstoßbaren Emissionen zu langsam, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Eine Reform ist deshalb überfällig.
Die Europäische Kommission hat diese Schwachstellen bereits erkannt. Im Rahmen des European Green Deals strebt sie einen Emissionshandel für Wärme und Verkehr (EHS 2) an. Das ist notwendig, um wirtschaftliche Anreize für den Umstieg auf Wärmepumpen oder Fernwärme beim Heizen und den Umstieg auf klimaneutrale Mobilität wie E-Autos, E-Fuels oder Wasserstoffautos zu schaffen. Gleichzeitig soll die Reduktion der jährlich ausgegebenen Zertifikate für den Ausstoß von Treibhausgasen beschleunigt werden. Wir brauchen ein generationengerechtes Treibhauslimit, das die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad gewährleistet.
Energie muss bezahlbar bleiben
Die Energieversorgung muss auch bezahlbar bleiben. Das ist nicht leicht zu gewährleisten, wenn wir zugleich Klimaneutralität und Souveränität anstreben. Aber es ist entscheidend für soziale Teilhabe in unserer Gesellschaft und unsere wirtschaftliche Stärke gleichermaßen. Die Streichung der EEG-Umlage aus dem Strompreis, wie von der Bundesregierung angekündigt, kann deshalb nur der erste Schritt sein. Künftig sollten die Einnahmen aus dem Emissionshandel in Form einer Klimadividende den Bürgerinnen und Bürgern zurückgegeben werden. Das entlastet sozial schwache Haushalte, aber auch die Mittelschicht und belohnt klimabewusstes Verhalten. Zusätzlich muss die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß gesenkt werden. Denn Strom per se ist nicht Treiber des Klimawandels. Strom aus Gas, Kohle und Öl ist Treiber des Klimawandels. Hier findet eine Bepreisung aber bereits durch den Emissionshandel statt.
Klimaneutralität, Bezahlbarkeit und Souveränität in der Energieversorgung zu erreichen, wird eine Herausforderung sein, aber es ist keine „Eierlegende Wollmilchsau“. Nehmen wir die Herausforderung an und machen unsere Energieversorgung fit für das 21. Jahrhundert.
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