Wir steuern sehenden Auges in die Klimakatastrophe. Das sagt die Wissenschaft.

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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28. Juli 2022

2. Teil einer Zusammenfassung der aktuellen Forschungslage. Teil 1 können Sie hier nachlesen. 

Bisher ging man davon aus, dass Methan (CH4) in der Atmosphäre viel schneller als CO2 abgebaut wird. Im Vergleich zu CO2 sind die Methanmengen um ein Vielfaches geringer. Gemessen wird die Konzentration in parts per billion, ppb. Obwohl Methan die 80-fache Treibhauswirkung von CO2 hat, stand das vor allem Erdgas, auftrauenden Böden und der Landwirtschaft stammende Stoff nicht ganz oben auf der Beobachtungsliste der Klimaforscher. Das hat sich nun geändert. Methan, so eine aktuelle Studie, trägt wesentlich dazu bei, dass aus dem Klimawandel langsam eine Klimakatastrophe wird.

Selbstheilungskräfte der Atmosphäre lassen nach

Wissenschaftler der Nanyang Technological University in Singapur fanden heraus, dass die Atmosphäre zunehmend die Fähigkeit verliert, Methan abzubauen. Das ist die Ursache, warum die Konzentration ständig steigt. Selbst als während der Coronapandemie die Wirtschaft weltweit schrumpfte und der Verbrauch an Erdgas zurück ging, stieg der Anteil in 2020 um 15 Teilchen Methan pro einer Milliarde Teilchen Atmosphäre (parts per billion, ppb). Das war das Allzeithoch seit Beginn der Messungen. In 2021 kamen noch einmal 18 ppb hinzu. Mit über 1900 ppb liegt der Wert jetzt fast dreimal so hoch wie vor Beginn der Industrialisierung. Zum Vergleich: Die CO2 –Konzentration erhöhte in dieser Zeit um ca. 80 Prozent.

Ganz besonders schlimm trifft es in diesem Sommer den Mittelmeerraum. In einigen Regionen von Spanien und Portugal ist es so trocken wie seit mehr als Tausend Jahren nicht mehr. Als Ursache haben Forscher eine durch den Klimawandel ausgelöste Veränderung des Azoren-Hochdruckgebiets ermittelt. Eine in der Fachzeitschrift „Nature Geoscience“ veröffentlichte Studie warnt vor den Folgen für die Landwirtschaft. Azorenhochs, ein Hochdruckgebiete im Atlantik, bringen im Sommer heiße, trockene Luft nach Portugal, Spanien und Frankreich und sorgen im Winter für die Niederschläge. Eine dauerhafte Veränderung wird die gesamte Ökologie auf der Iberischen Halbinsel grundlegend verändern und katastrophale Auswirkungen haben.

Doppel-Jetstream sorgt für Hitzewellen bei uns

Klimamodelle neigen dazu, extreme Wetterrisiken zu unterschätzen.

Kai Kornhuber, Wissenschaftler an der Columbia University in New York und am PIK

Einem anderen Wetterphänomen, dem Jetstream, sind Forscher des Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung auf der Spur. Besorgnis erregende Hitzewellen haben Europa in den letzten Jahren drei- bis viermal häufiger getroffen als andere Staaten auf unserem Breitengrad. Beobachtungsdaten aus den letzten 40 Jahren zeigen, so die Forscher des PIK, dass dieser Anstieg auf Veränderungen in der atmosphärischen Zirkulation zurück geht. Große Windbänder in 5 bis 10 Kilometer Höhe, der so genannte Jetstream, verändern sich. Zustände, in denen sich der Jetstream in zwei Äste aufspaltet – so genannte Doppeljet-Lagen – halten zunehmend länger an. Diese doppelten Jet-Zustände zeichnen verantwortlich für die Zunahme der Dürren und Hitzewellen in Westeuropa. etwa 30 Prozent im gesamten europäischen Raum.

Kai Kornhuber, Wissenschaftler an der Columbia University in New York und am PIK führt zum Studienergebnis aus: „Klimamodelle neigen dazu, extreme Wetterrisiken zu unterschätzen. Daher müssen künftige Forschungen prüfen, inwieweit die ermittelten Zusammenhänge von den Modellen erfasst werden. Die Prognosen für extreme Hitze im Falle fortdauernder Emissionen könnten andernfalls zu konservativ sein und es ist möglich, dass wir extreme Hitzewellen in Wirklichkeit noch öfter und stärkerer Intensität erleben werden, als es Modelle in diesen Szenarien ohnehin schon prognostizieren.“

Weltweit spielt das Wetter verrückt

Die hier vorgestellten Studien sind nur ein Ausschnitt aus den umfangreichen Veröffentlichungen dieses an extremen Ereignissen äußerst reichen Sommers 2022. In Sibirien in der Nähe des kältesten Ortes der Erde wurden im Juli erstmals sog. tropische Nächte mit Temperaturen über 20° Celsius gemessen. Im Nahen Osten gaben sich die Hitzewellen die Klinke in die Hand. Vier kurz aufeinander folgende Extremwetterperioden sorgten für einen Zusammenbruch der Wasserversorgung. Zu spüren ist die Klimakatastrophe auch in Paraguay, wo das Thermometer mitten im dortigen Winter (!!) auf 38° kletterte. Hitzewellen mit neuen Rekorden und auch Überschwemmungen werden aus China gemeldet.

In der Zeit, als die Recherche zu diesem Beitrag lief, fanden das Treffen der G7-Staaten in Bayern, die Weltozeankonferenz in Lissabon und die internationale Korallenriff-Konferenz statt. Auf allen Konferenzen standen Folgen der Klimakrise ganz oben auf der Tagesordnung. Konkretes beschlossen wurde auf keiner Konferenz. Es ist offensichtlich, dass weder die Führer der großen Industriestaaten noch die Weltgemeinschaft Willens oder in der Lage sind, die dringendsten Umweltprobleme entschlossen anzugehen. Es bedarf keiner Prophetie für die Vorhersage, dass die Unsicherheit auf der Welt mit Zunahme der Wetterextreme weiter wachsen wird und Konflikte um knappe Güter wie Wasser, Anbauflächen und Lebensmittel zunehmen.

Wie handlungsfähig und entscheidungsfreudig Politikerinnen und Politiker zu reagieren vermögen, war und ist in der Gaskrise zu erleben. Selbst Widersprüche zur bisherigen Linie wurden in kauf genommen. Maßnahmen wie der Abschluss von Lieferverträgen mit Diktatoren, der Wiederbetrieb bereits still gelegter Kohlekraftwerke, die Aussetzung der Schuldenbremse und eine Sonderverschuldung von 100 Mrd. Euro für die Landesverteidigung stehen alle nicht im Koalitionsvertrag. Wir wollen das nicht kritisieren, wünschen uns aber eine vergleichbare Entschlusskraft bei der Lösung der größten Herausforderung, vor der die Menschheit steht: Der Begrenzung der Klimakrise. Alles, was hilft, die zu Emissionen zu begrenzen, ist wichtig. Wir müssen um jedes zehntel Grad kämpfen. Die Klimakatastrophe ist wohl nicht mehr abzuwenden. Welches Ausmaß sie annimmt, hängt von unserem Einsatz ab.

Hinweis der Redaktion

Lieber Leserinnen und Leser,

mit diesem Beitrag verabschieden wir uns in die Sommerpause. Wir setzen den Schwerpunkt „Von der Klima- zur Sicherheitskrise“ Anfang September fort.

Passen Sie in diesem extremen Sommer bitte gut auf sich und andere auf. Unsere Gesundheit braucht in Zeiten der lang anhaltenden Hitzewellen und der Corona-Pandemie besondere Fürsorge.

Mit besten Grüßen
Ihre
Redaktion von Energie & Klimaschutz

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