Zeitenwende zu Ende denken – angesichts der Krisenkaskade

Gastautor Portrait

Christoph Bals

Germanwatch

Christoph Bals ist Politischer Geschäftsführer von Germanwatch und Kuratoriumsvorsitzender der „Stiftung Zukunftsfähigkeit“ und stellvertretender Vorsitzender der Munich Climate Insurance Initiative (MCII). Er ist auch Gründungsmitglied der Renewables Grid Initiative und war dort bis 2018 im Vorstand. Bals war Mitglied des Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung in der 19. Legislaturperiode und vertritt Germanwatch nun als ständiger Beobachter des Beirats in der 20. Legislaturperiode. Er ist außerdem Mitglied der politischen Koordinationsgruppe von CAN international und im Sprecher*innenrat der Klima-Allianz Deutschland. Er ist auch Mitglied im wissenschaftlichen Kuratorium des Bürgerrats Klima. Bals hat zahlreiche Initiativen im Bereich Klima und Entwicklung sowie Klima und Wirtschaft – wie e5, e-mission 55 und atmosfair – mit angestoßen.

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18. Juli 2022

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat eine neue und mehrdimensionale Debatte um Sicherheit entfacht. Dies konnten wir beispielsweise beim NATO-Gipfel Ende Juni in Madrid beobachten. Dort wurde das neue strategische Konzept der NATO beschlossen. Der Klimawandel wird darin als eine zentrale Herausforderung genannt, die sich auch auf die Sicherheit der NATO auswirkt: Konflikte und Instabilitäten im Mittleren Osten, in Nordafrika und in der Sahel-Zone seien u.a. auch durch die Folgen des Klimawandels ausgelöst. Auch die menschliche Sicherheit spielt in dem neuen strategischen Konzept eine große Rolle. Denn Sicherheit sei mehr als Diplomatie und Militär – so das Auswärtige Amt

Einige Tage zuvor, beim Tag der Deutschen Industrie hatte Kanzler Scholz die deutsche Industrie auf die Energiewende eingeschworen. Im Licht der wirtschaftlichen Spannungen nach der Corona-Pandemie und infolge des russischen Kriegs gegen die Ukraine sei dies „im überragenden deutschen Interesse“. Die Energiewende diene der öffentlichen Sicherheit.

Ähnliches sehen wir auf europäischer Ebene: Anfang Juli hat Tschechien die EU-Präsidentschaft übernommen. Der Krieg in der Ukraine habe, so der tschechische Europaminister Mikuláš Bek, die Debatten um den grünen Wandel erleichtert. Auch konservative Politiker und Politikerinnen in Tschechien seien jetzt bereit, neue Energiequellen zu akzeptieren, einfach, weil sie auch mehr Unabhängigkeit von Russland bringen.

Die dreifache Verbindung zwischen Klima und Sicherheit

Trotz aller Spannungen muss die klimapolitische Herausforderung gemeinsam angegangen werden.

Christoph Bals

Klima und Sicherheit sind inzwischen auf mindestens drei Ebenen grundlegend miteinander verknüpft.

Erstens wirft die Klimakrise neue Sicherheitsprobleme auf und verstärkt wiederum andere. Vor 20 Jahren sah man den Klimawandel als potentiellen Treiber von Unsicherheit. Vor zehn Jahren setzte sich die Sichtweise des Klimawandels als „Risikoverstärker“ durch. Der Syrien-Krieg war ein eindrucksvolles Beispiel dafür. In jüngster Zeit wird die Klimakrise immer stärker als Auslöser von systemischer Disruption ganzer Regionen oder gar Kontinente gesehen. Dies hatten auch die G7-Außenminister:innen im Blick, als sie vor wenigen Wochen ein Frühwarnsystem für die großen Kipp-Punkte diskutierten, die – wie etwa ein Umkippen des Amazonas-Regenwaldes – in absehbarer Zeit ganze Regionen destabilisieren könnten.

Zweitens sind fossilen Energien – nicht nur mittelbar über den Klimawandel – immer stärker Treiber von Konflikten. Die russische Invasion in die Ukraine, maßgeblich finanziert durch den Export von Öl und Gas, sowie die Nutzung von Gas als politischer Kriegswaffe, sind schlagende Beispiele dafür. Die Entwicklung in Russland wirft auch ein Schlaglicht darauf, warum in das Konzept „Wandel durch Handel“ schwach ist: In Ländern, die im Ressourcenfluch gefangen sind, wo nur eine kleine Elite von den Einnahmen profitiert, zementiert der Kauf von Rohstoffen ungerechte, autoritäre Strukturen.

Drittens aber ist die Klimadiplomatie zugleich ein Kerntreiber für Friedensdiplomatie weltweit geworden. Es ist offensichtlich, dass sich eine massiv eskalierende Klimakrise nur durch Kooperation aller großen Emittenten eindämmen lässt. Deshalb ist die Klimadiplomatie eine der wenigen verbleibenden Säulen, die aus den rapide zunehmenden Spannungen zwischen China und USA bzw. EU ausgeklammert wird. Trotz aller Spannungen muss die klimapolitische Herausforderung gemeinsam angegangen werden.

Resilienz durch Kooperation

Sowohl Klima- als auch Gesundheits- und Ernährungssicherheit sind eng miteinander verknüpft und lassen sich nur kooperativ als gemeinsame Sicherheit mit nichtmilitärischen Mitteln herstellen.

Christoph Bals

Aber die friedenspolitische Rolle der Klimadiplomatie reicht darüber hinaus: Sowohl Klima- als auch Gesundheits- und Ernährungssicherheit sind eng miteinander verknüpft und lassen sich nur kooperativ als gemeinsame Sicherheit mit nichtmilitärischen Mitteln herstellen. Das passt zu dem Paradigma, dass UN und KSZE bzw. OSZE seit dem zweiten Weltkrieg geduldig und erfolgreich vorangetrieben haben. Der Russische Angriffskrieg geht hingegen von einer Logik aus, die im 19. Jahrhundert dominierte, nach der bestimmte Hegemonen die Welt in ihre Einflusszonen aufteilten. Alle anderen Staaten waren letztlich nicht wirklich souverän. Russland versucht der Ukraine gerade diese Souveränität abzusprechen. Die Klimadiplomatie ist ein zentraler Treiber des gegenteiligen Paradigmas, einer Strategie hin zur gemeinsamen Sicherheit. Diese setzt darauf, gemeinsam Klima-, Ernährungs-, Rohstoff-, Wasser- und letztlich in zunehmendem Maße auch wieder militärische Sicherheit gemeinsam zwischen souveränen Staaten zu erarbeiten.

Die EU, die sich mit dem European Green Deal der Vision verschrieben hat, bis spätestens Mitte des Jahrhunderts ein Wohlstands- und Wirtschafts- Modell erarbeitet zu haben, das nicht mehr die ökologischen Lebensgrundlagen und die Menschenrechte in der EU und weltweit untergräbt, hat viele Schlüssel für die Frage des neuen Sicherheitsparadigmas der Zukunft in der Hand.

Aufbruch statt Lock-In

Dafür ist es derzeit wichtig, dass es in Bezug auf die Energie- und die Ernährungskrise gelingt, die kurzfristigen Bedürfnisse der Energiesicherheit mit den mittelfristigen Bedürfnissen der Klimasicherheit konstruktiv zu verknüpfen. Für die Energiepolitik bedeutet dies vor allem, dass Lock-In-Effekte durch fossile Investitionen, die Versorgung mit Gas und Öl, konsequent vermieden werden müssen. Sonst wird das 1,5° Limit als Grundlage einer Politik der Klimasicherheit untergraben. Genau hier liegt nun auch eine Schlüsselherausforderung für Unternehmen wie EnBW, wenn sie ihre Gasversorgung von russischem Gas auf andere Quellen umstellen. Wie können Lock-In-Effekte systematisch vermeiden und parallel die notwendige massive Beschleunigung für Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Wärmepumpen und grünen Wasserstoff vorangebracht werden, um schließlich nicht nur aus russischem, sondern dann auch aus anderem fossilen Gas auszusteigen? Neben dem Aufbau von Resilienz angesichts einer Kaskade eng miteinander verwobener Krisen geht es eben darum, die Treiber der Krisen – fossile Energien stehen hier ganz oben –schnell und weitgehend einzudämmen.

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