Win-win beim Netzausbau: Durch Dialog und frühe Beteiligung

Gastautor Portrait

Pia Schmidt und Annette Reiber

Dialogforum Erneuerbare Energien und Naturschutz

Die beiden Gastautorinnen sind Projektleiterinnen beim Dialogforum Erneuerbare Energien und Naturschutz, ein vom Umweltministerium Baden-Württemberg gefördertes Projekt der beiden Landesverbände von NABU und BUND. Das Dialogforum unterstützt die naturverträgliche Energiewende durch Informationsveranstaltungen, Beratung und Publikationen.

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02. Dezember 2021
Foto: Gottfried May-Stürmer

Durch extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen und Hitzeperioden wird die Klimakrise für uns immer stärker spürbar. Sie stellt jedoch nicht nur für uns Menschen eine große Veränderung und Herausforderung dar, sondern bedroht auch die Natur und Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Um die Erderwärmung auf das nötige Maß zu begrenzen, braucht es auch im Energiesektor eine drastische Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgase – einerseits durch Einsparungen und effiziente Energienutzung, andererseits durch den Umstieg auf Erneuerbaren Energien.

Auch Stromnetze sind ein wichtiger Baustein einer zukunftsfähigen Energieversorgung. Die Netzinfrastruktur muss dabei an die Umstellung des Energiesystems und den damit verbundenen Ausbau der Erneuerbaren Energien lokal, regional und überregional angepasst werden. Dabei kommt es immer wieder vor, dass geplante Ausbauvorhaben der Erneuerbaren Energien an fehlenden Netzanknüpfungspunkten oder einer möglichen Überlastung des Stromnetzes scheitern, selbst wenn geeignete Flächen für den Bau einer Freiflächensolaranlage vorhanden sind. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass die Energiewende nicht schnell genug voranschreitet und die Klimaziele nicht rechtzeitig erreicht werden.

Konsultation und Beteiligung: Netzausbau-Konflikte frühzeitig erkennen und lösen

Netzausbauvorhaben können Konflikte mit dem Naturschutz mit sich bringen. Aber es gibt Lösungen.

Anette Reiber und Pia Schmidt

Auch beim Netzausbau können Konflikte jeglicher Art entstehen. Neben komplizierten und langwierigen Genehmigungsverfahren kann die fehlende Akzeptanz der Bevölkerung eine Herausforderung der Energiewende darstellen und zu Verzögerungen führen.

Ausbau- und Netzverstärkungsvorhaben können Konflikte mit dem Naturschutz mit sich bringen. Dies ist insbesondere bei Neubauvorhaben der Fall. Werden die Umwelt- und Naturschutzverbände im Rahmen der frühen Beteiligungsverfahren umfassend eingebunden, können Fragestellungen und mögliche Konflikte oft direkt beantwortet oder besprochen werden. Dadurch können die wertvollen Orts- und Artenkenntnisse der Naturschützer*innen vor Ort schon in der frühen Planungsphase einfließen und Lösungen für den Naturschutz gefunden werden. Diese Einbindung, sowie eine transparente Planung und gute Kommunikation kann die Akzeptanz von Netzausbauvorhaben deutlich erhöhen. Werden Betroffene vor Ort erst spät beteiligt oder aktiv, nämlich erst dann, wenn die Planung bereits weit fortgeschritten ist, ist die Einflussmöglichkeit nicht mehr groß.

Das Dialogforum Erneuerbare Energien und Naturschutz

Um die Energiewende konstruktiv zu unterstützen und auftretende Naturschutzkonflikte beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Verteilnetze vorzubeugen und zu lösen, wurde das „Dialogforum Erneuerbare Energien und Naturschutz“ ins Leben gerufen. Das Gemeinschaftsprojekt der beiden Landesverbände von BUND und NABU wird vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg gefördert. Das Dialogforum bringt Akteure an einen Tisch, berät präventiv sowie bei konkreten Konflikten mit dem Naturschutz. Mit Hilfe unterschiedlicher Veranstaltungsformate und Publikationen informiert das Dialogforum zudem zu den verschiedenen Themen des naturverträglichen Ausbaus der Erneuerbaren Energien und der Verteilnetze sowie der Öffentlichkeitsbeteiligung.

Win-Win für Naturschutz und Netzbetreiber

Werden für bestehende Konflikte Lösungsmöglichkeiten gemeinsam erarbeitet und gefunden, schafft dies mehr Akzeptanz.

Pia Schmidt und Anette Reiber

Wie kann der naturverträgliche Ausbau der Stromnetze durch Beteiligung konkret gelingen?

Erfahrungen und Beispiele aus der Praxis zeigen, dass ein naturverträglicher Ausbau der Stromnetze möglich ist. Zentral hierbei sind eine sorgfältige Planung und die Trassenwahl beim Neubau. Dadurch kann bereits der Großteil möglicher Konflikte mit dem Naturschutz vermieden werden. Durch weitere Maßnahmen beim Bau und Betrieb ist es möglich, negative Auswirkungen auf Natur und Umwelt zu vermeiden oder zu reduzieren. Hierbei sind besonders die Bereiche Vogel-, Boden- und Biotopschutz zu beachten. So kann durch gezielte Vogelschutzmaßnahmen beim Bau oder Betrieb von Freileitungen ein Großteil der Vogelkollisionen reduziert werden. Zum Vogelschutz gehört auch, wo möglich und sinnvoll, die Stromleitung als Erdkabel u verlegen. Beim Betrieb von Stromleitungen bietet die ökologische Trassenpflege im Vergleich zur konventionellen ein großes Potenzial, zerschnittene Biotope wiederzuvernetzen, Lebensräume zu erhalten oder gar neue zu schaffen. Dies dient der Artenvielfalt und leistet einen wichtigen Beitrag zum Biotopverbund im Land. Um Boden-funktionen zu schützen, ist bei Planungen auf den Trassenverlauf und deren mögliche Alternativen zu achten, sowie auf eine ökologische Baubegleitung. Bei all diesen Punkten können sich Bürger*innen und Aktive der Umwelt- und Naturschutzverbände in Beteiligungsverfahren einbringen.

Werden für bestehende Konflikte Lösungsmöglichkeiten gemeinsam erarbeitet und gefunden, schafft dies mehr Akzeptanz.

Best Practice

Es gibt bereits zahlreiche Beispiele, wie der Netzausbau und Naturschutz zusammen funktionieren können. Ein aktiver und offener Dialog kann dabei helfen.

So wurde beim 110 kV-Ausbauvorhaben „Netzverstärkung Ostalbkreis“ die lokalen Umwelt- und Naturschutzverbände sowie das Dialogforum im Rahmen der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in Form eines freiwilligen Scopingtermins beteiligt, also ganz zu Beginn der Planung. Dabei wurden die Inhalte für die geplanten Umweltgutachten mit den NABU- und BUND-Aktiven abgestimmt. Einige wichtige naturschutzfachliche Hinweise und Vorschläge wurden von Naturschützer*innen eingebracht, von Netze BW in die weitere Planung einbezogen und was möglich war wurde umgesetzt. So konnte beispielsweise lokales Wissen, das in der gutachterlichen Betrachtung (noch) nicht berücksichtigt war (z. B. Informationen zu kürzlich umgesetzten Flussrenaturierungen und daraus entstehende neue Vogelzugkorridore) in der Bewertung berücksichtigt werden. Dies führte dazu, dass im Nachgang Vogelwarnmarker in bestimmten Spannfeldern eingeplant wurden.

Fazit: Win-win für Netzausbau und Naturschutz durch Dialog und Beteiligung

Durch die Zusammenarbeit von Netzbetreibern, Behörden und Naturschutzverbänden können Wege gefunden werden, negative Beeinträchtigungen auf Tiere und Pflanzen und deren Lebensräumen deutlich zu reduzieren oder zu vermeiden und wirksame Kompensationsmaßnahmen zu entwickeln. Bei jeder Planung sind andere Aspekte zu berücksichtigen und neue Lösungen müssen gefunden werden, daher ist jeder Standort individuell zu betrachten. Dies dient nicht nur der Natur und den Arten – auch die Akzeptanz von Netzausbauprojekten wird gestärkt.

Weitere Informationen und Links

Über die Autorinnen

Pia Schmidt

Projektleiterin beim NABU

Pia Schmidt war als Beraterin in der freien Wirtschaft tätig, bevor sie 2019 zum NABU Baden-Württemberg kam. Beim NABU hat sie sich neben dem Volksbegehren Artenschutz auch beim Dialogforum Landwirtschaft und Naturschutz engagiert. Die Themen Kommunikation und Organisation mit den verschiedensten Akteur*innen ziehen sich wie ein roter Faden durch ihren Lebenslauf, genau wie das Interesse und die Leidenschaft zum Umwelt- und Naturschutz. So war sie bereits vor ihrer Tätigkeit für den NABU ehrenamtlich im Naturschutz aktiv. Um sich für den naturverträglichen Ausbau der Erneuerbaren Energien und Stromnetzen einzusetzen, pendelt sie von Karlsruhe aus in die Landeshauptstadt.

Annette Reiber

Projektleiterin beim BUND

Aufgewachsen auf der Schwäbischen Alb, lebt Annette Reiber heute mit ihrer Familie mit zwei Kindern in Stuttgart. Nach ihrem Studium der Geografie mit dem Schwerpunkt Ökologie an der Universität Tübingen sowie dem Aufbau “Nachhaltiges Ressourcenmanagement” an der TU München, arbeitete sie von 2005 bis 2011 im Bereich Klima & Energie für Greenpeace Schweiz und den WWF in Zürich. Nun setzt sie sich im Rahmen des Dialogforums beim BUND Baden-Württemberg für den naturverträglichen Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze in Baden-Württemberg ein.

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