Wasserstoff: Einsatzorte, Farbenlehre und Rechtsrahmen

Gastautor Portrait

Susan Wilms

Geschäftsführerin, Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität IKEM

Susan Wilms ist Geschäftsführerin des IKEM und Expertin für Wasserstoff. Schwerpunktmäßig forscht sie zu rechtlichen Rahmenbedingungen der Sektorenkopplung und Power-to-X Technologien. Sie studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Hamburg und Bonn, spezialisierte sich im internationalen und europäischen Recht und absolvierte einen Master of Laws (LL.M) an der National University of Ireland, Galway.

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02. Februar 2022

Wasserstoff ist in aller Munde. Ob auf der Weltklimakonferenz, bei den neuesten Vorschlägen der Europäischen Kommission oder im Deutschen Bundestag – überall wird dem unscheinbaren Gas eine wichtige Rolle für den Klimaschutz zugeschrieben. Bis der Wasserstoff diese einnehmen kann muss noch viel passieren.

„Das Ziel der Energiewende ist es, die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen – beim Stromsektor, aber auch bei Wärme und bei Verkehr“, schreibt die Bundesregierung auf ihrer Homepage. Klingt eigentlich ganz einfach. Dort, wo heute noch fossile Energien sind, sollen in Zukunft erneuerbare sein: Kohle- und Gaskraftwerke werden von Windrädern, Solarparks und Biogasanlagen abgelöst und auf den Straßen fahren künftig nur noch E-Autos.

Kniffliger wird es an den Stellen, an denen sich Prozesse nicht, oder nur schwierig elektrifizieren lassen. In der Schifffahrt und beim Fliegen stellen Akkus bis auf weiteres keine Alternative zu Schweröl und Kerosin dar und in der Stahlproduktion brauchen die Hochöfen Temperaturen, die mit Strom nur schwer erreicht werden können. Im Wärmesektor ist eine Elektrifizierung nur im Neubau schnell und einfach umsetzbar, im Bestand, der rund 80 Prozent des Wärmemarktes ausmacht, wird sie noch viele Jahre dauern und nur mit hohen Kosten möglich sein.
In diesen und vielen weiteren Fällen kann Wasserstoff eine (Übergangs-) Lösung sein, denn er ist gasförmig und flüssig speicherbar sowie transportfähig.

Wir werden in Zukunft allerdings sehr große Mengen des farblosen Gases brauchen, wenn wir es in jedem dieser Bereiche einsetzen wollen. Das scheint auf den ersten Blick kein Problem zu sein, denn Wasserstoff ist eines der häufigsten Elemente auf unserem Planeten. Doch Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff. Neben natürlichen Vorkommen kann er mithilfe unterschiedlicher Verfahren unter anderem aus Steinkohle, Braunkohle Erdgas oder Wasser gewonnen werden – alle mit unterschiedlicher Klimawirkung.

Der IKEM-Wasserstoff-Regenbogen. Die fossilen Brennstoffe wurden hier zusammengefasst. Den vollständigen Regenbogen gibt es in der Kurzstudie.

Grafik: IKEM

Farbenlehre des Wasserstoffs

Eine gute Orientierung über diese verschiedenen „Farben“ gibt der IKEM-Wasserstoffregenbogen. Er wurde in einer Kurzstudie entwickelt und leitet sich aus den Ausgangsstoffen und Herstellungsverfahren von Wasserstoff ab:

Blauer Wasserstoff

Blauer Wasserstoff wird mithilfe von Erdgas und unter Abspaltung und anschließender Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) oder Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) des dabei entstehenden CO2, erzeugt. Er kann jedoch nur als kohlenstoffarm und nicht kohlenstoffneutral bewertet werden, da bei den CCS-Technologien noch immer Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt werden.

Roter Wasserstoff

Als roten Wasserstoff bezeichnet man Wasserstoff der mithilfe von Kernenergie erzeugt wurde. Der Erzeugungsprozess ist dabei CO2-frei, jedoch ist das benötigte Uran eine fossile Ressource und damit nicht erneuerbar. Außerdem ist der Kohlenstoff-Fußabdruck der Stilllegung von Kernkraftwerken schwer abzuschätzen und die Frage nach der Endlagerung des radioaktiven Materials noch immer ungelöst.

Orangener Wasserstoff

Orangener Wasserstoff wird aus Bioenergie (zum Beispiel in Form von Biomasse, Biokraftstoff, Biogas oder Biomethan) hergestellt, die üblicherweise aus Abfällen und Reststoffen gewonnen wird. Bei der Verbrennung werden die darin gebundenen Treibhausgase wieder freigesetzt, der CO2-Fußabdruck von orangenem Wasserstoff ist deshalb niedriger als der aus fossilen Brennstoffen.

Türkiser Wasserstoff

Türkiser Wasserstoff wird mithilfe des Methanpryrolyseprozesses erzeugt. Dabei wir Methan in Wasserstoff und festen Kohlenstoff gespalten, der anschließend gespeichert werden kann.

Grüner Wasserstoff

Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt, der eingesetzte Strom muss aus erneuerbaren Energien stammen. Durch die Nutzung erneuerbarer Ressourcen wie Sonne und Wind zur Wasserstoffproduktion kann der direkte Kohlenstoffausstoß der Produktion auf null Emissionen reduziert werden.

Die Aufzählung macht deutlich: die unterschiedlichen Herstellungsverfahren sind mit unterschiedlich hohem Treibhausgasausstoß verbunden. Wasserstoff ist nur dann ein Klimaschützer, wenn er zur Dekarbonisierung beiträgt. Die Zukunft gehört deshalb grünem Wasserstoff. Anderer klimaneutral hergestellter Wasserstoff wie blauer, türkiser und roter, kann übergangsweise eine Rolle spielen.

Herausforderungen bis zum Transformationspfad

[...] mehr als 90 Prozent des derzeit hergestellten Wasserstoffs wird aus fossilen Energien (Steinkohle, Braunkohle, Erdgas) gewonnen [...]

Susan Wilms

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, denn mehr als 90 Prozent des derzeit hergestellten Wasserstoffs wird aus fossilen Energien (Steinkohle, Braunkohle, Erdgas) gewonnen, ohne Einsatz von CCU oder CCS. Damit sich das ändert, muss ein umfassender Rechtsrahmen geschaffen werden, der sich an der dekarbonisierenden Wirkung der Herstellungsverfahren, Ausgangsstoffen, Lebenszyklusemissionen und Nachhaltigkeitskriterien orientiert.

Vorbilder für so ein System gibt es bei den Biokraft- und -brennstoffen. Die Treibhausgasminderungs- und Nachhaltigkeitskriterien, die in diesem Bereich bestehen, ließen sich auch auf Wasserstoff übertragen. Ein (noch nicht verabschiedeter) delegierter Rechtsakt der Europäischen Kommission aus Dezember 2021 setzt Kriterien für die Anerkennung von grünem Wasserstoff als Kraftstoff und Brennstoff. Die in den Details sicherlich streitbaren Kriterien setzen auf drei wesentliche Merkmale bei der Wasserstoffherstellung unter Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien aus dem Netz: Gleichzeitigkeit, geografische Korrelation und Zusätzlichkeit. Ohne in die Details zu gehen, zeigt sich, dass Nachhaltigkeitskriterien an dieser Stelle bisher nicht aufgenommen wurden. Im Fokus stehen vielmehr die mit dem Wasserstoff erzielten Treibhausgaseinsparungen im Vergleich zu anderen (fossilen) Energieträgern, gemessen an den Lebenszyklus-THG-Emissionen.

Auch im EU-Gaspaket wird insoweit von low-carbon-hydrogen, also kohlenstoffarmen, oder besser, treibhausgasarmen Wasserstoff gesprochen. Der Blick auf die Treibhausgaseinsparungen ist durchaus zu begrüßen. Er ermöglicht es, festgefahrene Standpunkte und strenge, schematische Trennung von Technologien und Herstellungspfaden zu überwinden. Das ist insbesondere für die Gestaltung des Transformationspfades hilfreich. Durch die zunehmenden Anforderungen an Treibhausgaseinsparungen wird sich automatisch ein Transformationspfad und damit auch ein Fokus auf eine Technologie abzeichnen.

Anforderungen an die Nachhaltigkeit

Es bedarf darüber hinaus aber auch wirksamer Nachhaltigkeitskriterien, um Verlagerungseffekte zu vermeiden und einen echten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Das bedeutet zum Beispiel, dass der steigende Bedarf für Wasserstoff keine Anreize für die Erzeugung von fossilem Strom schaffen darf. Ein Szenario, das vor allem beim Import von Wasserstoff eine Rolle spielen wird. Es gilt zu verhindern, dass dort, wo Wasserstoff produziert wird, fossile Kraftwerke aufgebaut werden, um den erneuerbaren Strom zu ersetzen, der für die Herstellung von grünem Wasserstoff verbraucht wurde.

Mit der EU-Taxonomie werden solche Kriterien stellenweise aufgegriffen, sodass die Herstellung von Wasserstoff und Investitionen in diese Tätigkeit unter bestimmten Bedingungen nicht nur als grün, sondern auch ökologisch nachhaltig eingestuft werden können.

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