Erdgas, Atomkraft, Taxonomie: Energiepolitik im europäischen Kontext

Gastautor Portrait

Hubertus Grass

Kolumnist

Nach Studium, politischem Engagement und Berufseinstieg in Aachen zog es Hubertus Grass nach Sachsen. Beruflich war er tätig als Landesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, Prokurist der Unternehmensberatung Bridges und Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. 2011 hat er sich als Unternehmensberater in Dresden selbständig gemacht.

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13. Januar 2022

Erdgas ist nicht grün, Atomkraft nicht nachhaltig. Und der Silvesterabend kein gutes Datum, um politisch brisante Vorschläge zu versenden. Susanne Götze vom Spiegel vermutet, dass in 2022 noch heftig um das Wie der Energiewende in Europa gestritten werde. Eine naheliegende Einschätzung, geht es doch um fundamentale Weichenstellungen bei der europäischen Energiewende. Wird der Streit über den Einsatz von Erdgas, Atomkraft und die Taxonomie Europa entzweien?

Die energiepolitische Debatte realistisch führen

Atomkraft ist nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich mausetot.

Hubertus Grass

Erlebt die Atomenergie eine Renaissance? Braucht Deutschland neue Kernreaktoren? Wäre eine Laufzeitverlängerung über 2022 ein guter Beitrag zum Klimaschutz? Pro oder Contra Atomenergie: Dieser Disput taugt bei Twitter, Facebook und Co ebenso zum Dauerbrenner wie im Fernsehen oder im Interview der Leitmedien. Die Debatte läuft ganz weit an den Fakten vorbei: Eine ernsthafte Diskussion über die Wiederbelebung oder die Verlängerung der Kernkraft findet in Deutschland aus guten Gründen nicht statt.

Angela Merkel hat von heute auf morgen den (Wieder-)Ausstieg aus der Kernkraft eingeleitet. Dann hat der Deutsche Bundestag mit einer 2/3-Mehrheit das Kapitel Kernkraft beendet. Für die Kanzlerin war es eine Frage des politischen Überlebens. Wer die Beschlüsse von damals heute ernsthaft in Frage stellt, wird morgen auf dem politischen Abstellgleis landen. Atomkraft ist nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich mausetot. Unsere Energieversorger wissen besser als alle anderen, dass diese Form der Erzeugung nicht wettbewerbsfähig ist.

Energiewende und Atomkraft: Frankreich führt andere Diskussionen

Im April läuft in Frankreich die erste Runde der Präsidentschaftswahl. Derzeit ist völlig offen, wer das Rennen macht. Der Kandidatin der bürgerlichen Rechten wird ein Erfolg ebenso zugetraut wie dem Amtsinhaber oder den Kandidat*innen der extremen Rechten. Die Kandidat*innen links von der Mitte werden es, so schätzen politische Beobachter, nicht in die Stichwahl der beiden Bestplatzierten schaffen.

Und die Themen, die bei der Wahl in Frankreich eine Rolle spielen, sind völlig andere als bei der Bundestagswahl bei uns. Klimawandel? Klimapolitik? Die politische Haltung der Bewerberinnen dazu interessiert die Wählerinnen und Wähler in Frankreich offenbar wenig. Weder die Einhaltung des Pariser Abkommens noch die Steuerung der Energiewende werden als wichtig eingeschätzt. Was macht Frankreich im Kern aus? Wie lässt sich dieses typisch Französische bewahren? Viele Debatten kreisen in Frankreich um Fragen der nationalen Identität. Was ist das genau? Wie lässt sich diese Identität verteidigen?

Die Ausrichtung der französischen Energiewirtschaft auf die Atomkraft scheint einer jener Tatbestände zu sein, die als typisch französisch angesehen werden. Macron hat deshalb schon im letzten Jahr Pflöcke eingeschlagen, als er seinen Plan der klimapolitischen Transformation für Frankreich verkündete: Neue Atomkraftwerke müssen her. In Frankreich ist nur dieser energiepolitische Pfad mehrheitsfähig.

Wahrscheinlich weiß Macron, dass er mit der Karte Kernkraft energiepolitisch auf lange Sicht den Schwarzen Peter gezogen hat. Weil ein anderer energiepolitischer Pfad derzeit aber nicht mehrheitsfähig ist, passt er sich der Stimmung in ähnlicher Weise an, wie Angela Merkel das 2011 – mit umgekehrten Prioritäten – vorgemacht hat.

Erdgas und die Taxonomie

Grün im Sinne von nachhaltig sind weder Erdgas mit seinem hohen Anteil an Methan noch die Atomkraft.

Hubertus Grass

Weil Erdgas nicht grün ist, soll es nur für eine Übergangszeit und als Backup zukünftig in der deutschen Energiewirtschaft eine Rolle spielen. Im Prinzip sind sich da alle einig. Im Detail – etwa über die Zeiträume des Übergangs, den Anteil von Gasen an der Wärmeversorgung generell – wird noch gerungen.

Das gemeinsame Motto könnte lauten: Nur mit Erdgas können wir eine 100% erneuerbare Energiezukunft erreichen. Ein fossiler Rohstoff hilft, eine grüne Zukunft zu gestalten. Braucht es dazu ein grünes Label?

Deutschland ist bei seiner Energiewende auf Erdgas angewiesen. Der neue, für Klimaschutz zuständige Wirtschaftsminister hat es noch einmal betont: Erdgas ist für die Übergang in die Klimaneutralität nach Einschätzung der Fachleute unverzichtbar. Grün im Sinne von nachhaltig sind weder Erdgas mit seinem hohen Anteil an Methan noch die Atomkraft. Weil die Investitionskosten diesseits und jenseits des Rheins hoch sein werden, soll das grüne Label helfen, die Investoren zu bewegen.

Energiepolitik in Europa

Am 1. Januar hat der französische Präsident turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Für ihn ein gute Gelegenheit, vor der Wahl in Frankreich mit seiner Agenda politische Punkte für die Wahl in Frankreich zu sammeln. Entsprechend der Stimmung in Frankreich bekommt er die nur, wenn er Führungsstärke und Durchsetzungsvermögen beweist. In der EU – sowohl in der Kommission als auch im Ministerrat – weiß man um die Kalamitäten, in der der französische Präsident steckt: Während Europa eher einen guten Moderator braucht, sehnen sich die Franzosen eher nach einer Person, die vor allem ihre Interessen vertritt. Alle pro-europäischen Fraktionen und Politiker – das ist noch die große Mehrheit in Europa – werden es Macron gestatten, die EU-Präsidentschaft als Bühne seines Wahlkampfes zu benutzen. Jedenfalls so lange, wie ihre eigenen Interessen keinen Schaden leiden. Was auf jeden Fall, da sind sich die Europäer einig, nicht passieren darf, ist eine politische Beschädigung  Macrons.

Von allen Kandidat*innen bei der französischen Präsidentschaftswahl ist Macron der einzige mit einem klaren europäischen Profil. Das sichert ihm die Unterstützung einer großen Mehrheit in Europa. Dass Atomkraft kein grünes Label erhält, käme einer französischen Niederlage gleich. Die kann Europa derzeit nicht gebrauchen. Also wird man Macron dieses Geschenk machen. Im gleichen Zuge wird Erdgas als nachhaltig erklärt. Beides ist sachfremd, aber hoffentlich gut für Europa.

Taxonomie: Nur ein Grund zur Aufregung

Seit Jahresbeginn tobt in Deutschland eine aufgeregte Debatte. Verständlich, dass Umweltverbände und -politiker*innen, Klimawissenschaftler und andere Fachleute den Vorschlag zur Taxonomie in Bausch und Boden verdammen. Selbstverständlich sind auch die Vertreter von Fridays for Future entsetzt. Und die Grünen, frisch an der Regierung, stehen unter Druck: Als Teil der Umweltbewegung müssen sie pflichtgemäß protestieren.

Doch die deutsche Bundesregierung wird über die Taxonomie und die Einstufung von Erdgas keinen europäischen Streit vom Zaun brechen. Dazu wäre der Zeitpunkt denkbar ungünstig. Und gemessen am Anlass droht ein zu hoher außenpolitischer Schaden.

Die Taxonomie zeigt an, dass in Europa mehrere Pfade in die Energiezukunft verfolgt werden. Das war schon immer so. Das wäre kein Grund zur Aufregung. Aber das politische Geplänkel um die Taxonomie lenkt wieder davon ab, dass uns die Zeit davon läuft. Viel Reden hilft beim Klimaschutz nicht viel – wie die Grafik zeigt.

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