Wasserstoff als zentraler Baustein für eine CO2-neutrale Gas- und Energiewirtschaft

Gastautor Portrait

Robin Hertenberger

EnBW Wertschöpfungskette Gas

Robin Hertenberger, Jahrgang 1995, hat Wirtschaftsingenieurwesen studiert und sich bereits seit Beginn seines dualen Studiums bei der EnBW AG im Jahr 2014 mit unterschiedlichen Themen im Kontext der Energiewende befasst. Seit 2017 ist er bei der EnBW im Bereich Wertschöpfungskette Gas tätig. Der Bereich koordiniert gesellschaftsübergreifend das Gasgeschäft im EnBW-Konzernverbund. Im Sinne einer nachhaltigen Geschäftsentwicklung hat Herr Hertenberger dabei seinen Schwerpunkt im Thema Wasserstoff. Er ist davon überzeugt, dass das Gas in einer langfristig klimaneutralen Gesellschaft sektorenübergreifend eine bedeutende Rolle spielen wird.

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16. März 2020

Schnellere Reduktion des CO2-Ausstoßes nötig

Nie war der Druck Treibhausgasemissionen zu reduzieren größer als heute. Während auch in Deutschland einzelne Bereiche bereits signifikante Erfolge erzielen konnten (z.B. die Industrie), stehen andere Sektoren trotz verbesserter Effizienz in absoluten Zahlen schlechter da als im Referenzjahr 1990, wie etwa der Verkehr. Wie ein zuletzt veröffentlichtes Papier der EU-Kommission skizziert, ist auch der Betrachtungshorizont bis 2050 differenzierter zu sehen: Eine „Netto-Null“ in der CO2-Gesamtbilanz zur Jahrhunderthälfte könnte bspw. für die Energiewirtschaft bedeuten, dass diese bereits im Jahr 2040 klimaneutral aufgestellt sein muss. Und diese zehn Jahre „weniger“ machen eine unglaubliche Temposteigerung erforderlich – und das im Vergleich zu sportlichsten Energiewendezeiten, bspw. in Sachen Erneuerbaren-Zubau.

Wasserstoff im europaweiten Kontext

Absehbar scheint bereits heute, dass Deutschland als Energie(-transit)land zukünftig auch im H2-Kontext eine wichtige Rolle zukommen wird.

Robin Hertenberger

Doch welche Rolle spielt dabei CO2-neutraler Wasserstoff? Dieser kann im Sinne der Energiewende mehrere Funktionen erfüllen. Zum einen macht er es möglich, bereits etablierte Anwendungen teilweise oder gar ganz zu dekarbonisieren – und das vergleichsweise zügig. Über die Verwendung grünen Wasserstoffs in Raffinerien kann z.B. der Verkehrssektor und bei Einsatz von H2 in der Düngemittelproduktion die Landwirtschaft „vergrünt“ werden. Die zunehmende Verbreitung moderner Gasbrennwertgeräte lässt bis zu 20 Vol.-% H2-Beimischung im Wärmesektor zu und ermöglicht damit eine schnelle, kostengünstige Option zur CO2-Reduktion. Zum anderen können über den Zwischenschritt H2 manche Anwendungen überhaupt erst elektrifiziert werden, bspw. industrielle Hochtemperaturprozesse.

Wesentlich für den breiten Einsatz von CO2-neutralem H2 ist dabei eine entsprechend dimensionierte Transport- und Speicherinfrastruktur. Während für letztere bereits europaweit Projekte angestoßen wurden, die sich mit der Nutzung von Erdgaskavernen zur H2-Speicherung befassen, haben vor einigen Wochen die Gasfernleitungsbetreiber (FNB Gas) einen Vorschlag für ein deutschlandweites H2-Transportnetz unterbreitet, welches zu rund 90% auf bereits bestehenden Gasleitungen beruhen soll.

Absehbar scheint bereits heute, dass Deutschland als Energie(-transit)land zukünftig auch im H2-Kontext eine wichtige Rolle zukommen wird. Zum einen liegt das an seiner zentralen Lage in der europäischen Mitte, zum anderen trägt dazu seine hervorragend ausgebaute Gasinfrastruktur bei, welche mit über 500.000 km Gasleitungen und mehr als 230 TWh Speicherkapazität einzigartige Voraussetzungen bietet. Wichtig für Gashandel und -erzeugung im europäischen Kontext ist aber vor allem eines: ein europaweit einheitliches Nachweis- und Zertifizierungssystem für Gase, d.h. für Erdgas, Biomethan und Wasserstoff sowie mögliche Derivate. Hauptmerkmal zur Klassifizierung sollte dabei die Einsparung von Treibhausgasen sein, die letztlich über die Wertigkeit jeder Megawattstunde entscheidet.

Es geht voran – nur leider zu langsam

Im Jahr 2019 hat das Thema „Wasserstoff“ speziell in Deutschland eine unglaubliche Dynamik entwickelt. So wurden letztes Jahr u.a. im Rahmen des „Dialogprozess Gas 2030“ des BMWi zusammen mit der Wirtschaft wichtige Punkte für die Transformation der Gasversorgung über die Nutzung von Wasserstoff und anderen „grünen Gasen“ offiziell festgehalten. Mit welchem Nachdruck der (überwiegend nicht neuen) Erkenntnisse nun aber Taten folgen, ist noch fraglich. Der erste Stand der „Nationalen Strategie Wasserstoff“ des Bundes geht nach Branchenmeinung jedenfalls noch nicht weit genug, auch wenn deren bloße Existenz grundsätzlich gewürdigt wird.

Fehlende Verwendungsanreize größter Hemmschuh

Im letzten Jahr wurde mit dem BMWi-Förderaufruf „Reallabore der Energiewende“ ein neues Förderprogramm aufgesetzt, in dessen Rahmen bis 2025 nun jährlich 100 Millionen Euro für die Umsetzung großskaliger Sektorenkopplungsprojekte fließen sollen. Dabei erhielten auch zwölf „Demonstrationsprojekte“ mit Wasserstoffanwendungen einen Zuschlag. Nach anfänglicher Euphorie unter den zumeist in größeren Konsortien organisierten Projektpartnern macht sich nun zunehmend Ernüchterung breit, da auch unter Einbezug der Förderung eine Umsetzung der Projekte nicht machbar scheint. Auf der einen Seite stehen nämlich hohe Investitions- und Betriebskosten, die die Fördergelder nur teilweise abfedern können. Aus den Elektrolyseuren kommt aber noch immer ein Endprodukt, für dessen hohe Wertigkeit – i.W. mit seiner CO2-Bilanz begründet – kein Abnehmer bereit ist einen kostendeckenden Preis zu bezahlen.

Häufig wird dabei argumentiert, dass ein zunehmend ansteigender CO2-Preis die Wirtschaftlichkeit ja spätestens in absehbarer Zeit verbessere. Dieser müsste bei genauerem Hinsehen aber in kürzester Zeit in Höhen vorstoßen, die so kurzfristig aus heutiger Sicht absurd und mit verheerenden Folgen für weite Teile der deutschen Industrie verbunden wären.

Mehrgleisiger Ansatz für Hochlauf

Zu allererst bedarf es eines ambitionierten Hochlaufs der CO2-Bepreisung als grundlegende Basis sämtlichen Klimaschutzes.

Robin Hertenberger

Für das schnelle und zielgerichtete Etablieren von Wasserstofftechnologien empfiehlt sich daher ein mehrgleisiger Ansatz: Zu allererst bedarf es eines ambitionierten Hochlaufs der CO2-Bepreisung als grundlegende Basis sämtlichen Klimaschutzes. Darüber hinaus sind weiterhin und in noch größeren Maße Investitionszuschüsse erforderlich, um die noch hohen Technologiekosten auszugleichen und diese gleichzeitig über Skaleneffekte für folgende Anlagengenerationen nachhaltig zu reduzieren. Als ergänzende Säule, die der Wirtschaft v.a. Planbarkeit und Investitionssicherheit verschaffen soll, dienen Mengenvorgaben für grüne Gase, im Speziellen für Wasserstoff. Analog zu dem von der PtX-Allianz vorgeschlagenen Markteinführungsprogramm für Power-to-X könnten diese über Ausschreibungsmodelle kombiniert mit einer gewissen Quote auf Seiten der Brennstoff-Inverkehrbringer Brennstoffen etabliert werden. Bspw. hat die erfolgreiche Einführung der Biokraftstoffquote im Verkehrssektor ihre Lenkungswirkung bewiesen und führt inzwischen zu hohen CO2-Einsparungen (9,5 Mio. t CO2 in 2018).

Ergänzend dazu bräuchte es aufgrund der zunächst noch großen Diskrepanz zwischen den höheren Produktionskosten des grünen H2 und des bisher verwendeten grauen H2 einen zusätzlichen Ausgleichsmechanismus, welcher bspw. zu einem Teil über Einnahmen aus der CO2-Abgabe finanziert werden könnte.

Blick Richtung 2050

Bei allen Unsicherheiten zeichnen sich heute doch schon einige wesentliche Randbedingungen für H2 in der Zukunft ab.

Robin Hertenberger

Bei allen Unsicherheiten zeichnen sich heute doch schon einige wesentliche Randbedingungen für H2 in der Zukunft ab. Zum einen gibt es immer mehr Klarheit in Sachen „blauer“ Wasserstoff, welcher aus Erdgas in Kombination mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) hergestellt wird. Für diesen gibt es v.a. kurzfristig einen erheblichen Bedarf, bis entsprechende Elektrolyse-Kapazitäten (international) in Betrieb gehen, für die es wiederum einen erheblichen Erneuerbaren-Ausbau braucht. Ob blaues H2 aber auch längerfristig eine Rolle spielen wird, ist folglich abhängig von der Verfügbarkeit von grünem H2. CCS als Bestandteil der Herstellung ist jedenfalls kein Grund, diesen zu verteufeln – negative Emissionen und damit die Abscheidung und (Offshore-)Speicherung von CO2 werden wir in absehbarer Zeit benötigen, der Entwurf des EU-Klimagesetzes 2050 sieht dies ebenfalls vor.

Zum anderen steht mit Blick auf die voraussichtlich benötigten H2-Mengen bereits fest, dass Deutschland auch in Zukunft Gas importieren wird, nur eben anderes. Der Wasserstoff wird dabei überwiegend aus Nord(-west)europa stammen, aber auch von heutigen Öl- und Gaslieferanten, etwa Qatar, Russland und Saudi Arabien. Außerdem bedingt der nationale EE-Ausbau letztlich den deutschen H2-Bedarf, wobei H2-Importe neben höherer Effizienz quasi zu einer der Energiewende-Stellschrauben werden und Verzögerungen teilweise ausgleichen können.

Obwohl also heute weder vollständige Einigkeit hinsichtlich der Zahlen noch die geeigneten politischen Rahmenbedingungen bestehen, scheint sich in der Diskussion zumindest eine Frage nicht mehr zu stellen. Und zwar die, ob es für die Energiewende CO2-neutralen Wasserstoff denn überhaupt braucht.

Diese Frage ist mittlerweile mit Ja beantwortet. Und das ist gut so!

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