Wenn ich zu Hause aus dem Fenster schaue, sehe ich ein Gerüst. Das Haus, in dem ich wohne, Baujahr 1974, erhält eine Fassadendämmung. Das bringt viele Unannehmlichkeiten mit sich: Baumaterialien überall ums Haus, Lärm, Dreck, ganz zu schweigen von den Kosten, die gestemmt werden müssen. Aber: Nach Abschluss der Bauarbeiten wird die 32 Jahre alte Gasheizung gegen eine Wärmepumpe getauscht, die sich mit grünem Strom klimaneutral betreiben lässt.
Was ich zu Hause im ganz Kleinen erlebe, stellt auch Energieversorgungsunternehmen und Kommunen vor große Herausforderungen. Auf welche Energieträger setzen wir in der Zukunft? Welche Rolle wird Wasserstoff spielen? Was bedeutet das für die Versorgungsnetze? Und nicht zuletzt: Wer trägt die immensen Kosten zum Erreichen der Klimaneutralität?
Forschen für die Energiewende
Welche Transformationsprozesse müssen für die jeweiligen Netze erfolgen, um auch zukünftig Versorgungssicherheit gewährleisten zu können?
Nehmen wir als Beispiel Karlsruhe: Die Energieversorgung fußt aktuell im Wesentlichen auf den drei Säulen Fernwärme, Strom und Erdgas. Welche Transformationsprozesse müssen für die jeweiligen Netze erfolgen, um auch zukünftig Versorgungssicherheit gewährleisten zu können?
Die Stadtwerke Karlsruhe (SWK) und ihre Netztochter erarbeiten seit mehreren Jahren Strategien, um Antworten auf diese Fragen geben zu können. Die Ergebnisse sind auch Teil des Ende 2023 verabschiedeten Energieleitplans der Stadt, der als strategisches Planungsinstrument dient, um das Ziel Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen. Darüber hinaus hilft uns die Forschung: In öffentlich geförderten Projekten arbeiten die SWK seit etwa zehn Jahren mit unterschiedlichen Partnern aus Industrie und Wissenschaft eng zusammen – mit dem klaren Ziel, die Energiewende auf kommunaler Ebene zu meistern.
Schritt 1: Prognose der Energiebedarfe
Im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekt „Transformationsprozess für die kommunale Energiewende“ haben wir für Karlsruhe verschiedene Szenarien entwickelt, wie sich der Energiebedarf bis 2050 verändert:
- Erdgas muss bis 2040 vollständig aus dem Energiesystem verschwunden sein, um das im Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz Baden-Württemberg definierte Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Der Bedarf an anderen Energieträgern wächst deshalb.
- Der Strombedarf steigt aufgrund des verstärkten Einsatzes von Wärmepumpen sowie der Elektrifizierung des Mobilitätssektors und vieler weiterer Prozesse.
- Fernwärme ist aufgrund der Nutzung industrieller Abwärme bereits heute eine klimafreundliche Heiztechnologie. Auch hier steigt der Bedarf.
- Wasserstoff als neuer Player wird in Zukunft wichtige Nischen der Energieversorgung bedienen. Die Prognosen von Bedarf, Preisen und damit der wirtschaftlichen Machbarkeit insgesamt sind noch von großer Unsicherheit geprägt.
Schritt 2: Räumliche Zuordnung der Bedarfe
Die große Herausforderung liegt darin, die ermittelten Energiebedarfe einzelnen Quartieren oder Gebäuden zuzuordnen. Es müssen Informationen zu Netzstrukturen und Bebauung vorliegen, um entscheiden zu können, wo welcher Energieträger in der Zukunft sinnvoll einsetzbar ist. Im Forschungsprojekt „Transformationsprozess für die Integration von Wasserstoff auf Verteilnetzebene“ wurden dazu folgende Annahmen getroffen:
- Alle Gebäude, die bereits heute an einer Fernwärmetrasse liegen, können zukünftig mit Fernwärme versorgt werden. Darüber hinaus sieht der Energieleitplan der Stadt weitere Gebiete vor, die durch Netzausbau mit Fernwärme oder Nahwärme beliefert werden können. Bis 2040 soll 50 % der Wärmeversorgung in Karlsruhe durch Wärmenetze abgedeckt werden.
- Jährlich werden 1.000–1.300 Wärmepumpen neu installiert. Ein- und Zweifamilienhäuser, aber auch kleinere Mehrparteienhäuser sind für die Beheizung mit einer Wärmepumpe besonders gut geeignet.
- Die Versorgung mit Wasserstoff erfolgt in einigen wenigen Clustern. Die Anzahl und Lage dieser Wasserstoffcluster orientiert sich an einzelnen Großverbrauchern, deren Prozesse sich nicht elektrifizieren lassen. In Karlsruhe sind das z.B. Kraftwerke und der Raffineriestandort.
Schritt 3: Transformation der Infrastruktur
Selbst wenn einige wenige Netzabschnitte auf Wasserstoff umgestellt werden, birgt dies noch sehr große Unsicherheiten sowohl auf der technischen als auch auf der Versorgungsseite.
Um den Ausbau und die Nachverdichtung des Fernwärmnetzes stemmen zu können, sind allein für Karlsruhe Investitionen im 2–3-stelligen Millionenbereich notwendig. Hinzu kommen Kosten für die vollständige Defossilisierung der Fernwärme. Dazu gehört beispielsweise ein wasserstofffähiges Gaskraftwerk, das die Wärmeversorgung auch an kalten Wintertagen sicherstellt.
Das Stromnetz muss nicht nur auf den steigenden Bedarf durch Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge ausgelegt sein, sondern auch den zu erwartenden immensen Zuwachs an PV-Anlagen stemmen können. Hier gilt es durch intelligente Verfahren den Netzausbau zu begrenzen. Mit Methoden der KI haben wir mit unseren wissenschaftlichen Partnern bereits erste Erfolge bei der Prognose von Lasten im Verteilnetz erzielt.
Auch das Gasnetz steht vor tiefgreifenden Transformationen. Schon heute setzen immer mehr Haushalte und Gewerbebetriebe auf andere Heiztechnologien und machen sich damit unabhängig vom Gasnetz – Tendenz steigend. Ab einem gewissen Grad ist ein wirtschaftlicher Betrieb des Netzes nicht mehr möglich. Die Stilllegung von Netzabschnitten wird unausweichlich – ein Problem vor allem für die verbliebenen Nutzenden. Selbst wenn einige wenige Netzabschnitte auf Wasserstoff umgestellt werden, birgt dies noch sehr große Unsicherheiten sowohl auf der technischen als auch auf der Versorgungsseite.
Und nun?
Trotz der immensen Herausforderungen dürfen wir das Ziel Klimaneutralität nicht aus dem Blick verlieren. Dafür gilt es schon heute die richtigen Weichen zu stellen und klare Wege aufzuzeigen. Gerade regionale Energieversorgungsunternehmen müssen ihren Beitrag für eine zukunftsfähige, sichere und nicht zuletzt bezahlbare Energieversorgung leisten.
Wenn ich aus dem heimischen Fenster schaue, kann ich mich schon über den ersten Fortschritt freuen: Bald werden Gerüst und Baustellendreck verschwunden sein. Das positive Gefühl aber wird bleiben: Die Energiewende schreitet voran.
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