Die Stadtwerke Jena setzen gemeinsam mit Partnern ein Reallabor der Energiewende um. Bis 2027 soll vor Ort im thüringischen Jena ein virtuelles Kraftwerk entstehen. Es verknüpft sektorenübergreifend Erzeuger, Speicher und Verbraucher von Strom und Wärme und macht sie in Echtzeit steuerbar. In einem deutlich kleineren Vorprojekt konnten allein durch eine intelligente Heizungssteuerung bis zu 30 Prozent Energieeinsparung erreicht werden.
Unter dem Dach von JenErgieReal arbeiten die Stadtwerke Energie Jena-Pößneck, die Stadtwerke Jena Netze und jenawohnen, die Stadt Jena, die Westsächsische Hochschule Zwickau, die Ernst-Abbe-Hochschule Jena, der AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen sowie der Mess- und Energiedienstleister Brunata Metrona als Verbundpartner zusammen. Kern des Projektes ist die Umsetzung eines virtuellen Kraftwerks und die Errichtung verschiedener thermischer und elektrischer Großspeicher im Stadtgebiet von Jena.
Von der smarten Wohnung zur Smart City
Dabei setzt JenErgieReal auf eine konsequente Sektorenkopplung. Es betrachtet übergreifend die Haupttreiber des Energieverbrauchs in Städten – Verkehr, Gewerbe und Wohnen – und führt mit Hilfe einer digitalen Infrastruktur die verschiedenen Systeme der Erzeugung, der Speicherung und des Verbrauchs von Strom und Wärme zusammen. Die Besonderheit des Projektes besteht hierbei darin, dass die Betrachtung aller Sektoren bottom up erfolgt: Ausgehend von einzelnen Verbrauchern einer Wohnung über die Wohnung als Ganzes, das Gebäude und das Quartier bis hin zum Stadtmaßstab. Durch den Einsatz von Smart Home-Elementen können verschiedenste private und gewerbliche Verbrauchsanlagen digital gesteuert und so zum Teil des virtuellen Kraftwerksverbundes werden.
„Schwarm-Intelligenz“ statt zentrale IT-Architektur
Durch die Verbindung der Echtzeitdaten mit dem ”digitalen Zwilling“ des Jenaer Stromnetzes wird eine leistungsfähige virtuelle Kraftwerksstruktur gebildet, in der jede Anlage netzdienlich gesteuert werden kann.
In der Folge ist eine hohe Anzahl an Endgeräten zu integrieren. Deshalb setzen die Projektpartner statt einer zentralen IT-Architektur auf ein dezentrales, automatisiertes „Schwarm-System“, das vom Datenaustausch zwischen den Elementen des virtuellen Kraftwerks „lebt“. Dafür sollen innerhalb des Projektes neue günstige und genaue Messtechniken entwickelt werden, die diese Daten in Echtzeit liefern. Somit wird auch ein direkter Handel zwischen den Kraftwerksteilnehmern möglich – und dieser sogar abseits des bisher in der Energiewirtschaft üblichen 15-Minuten-Takts. Durch die Verbindung der Echtzeitdaten mit dem ”digitalen Zwilling“ des Jenaer Stromnetzes wird eine leistungsfähige virtuelle Kraftwerksstruktur gebildet, in der jede Anlage netzdienlich gesteuert werden kann. So soll das bestehende Stromnetz optimal ausgelastet und ein Netzausbau vermieden werden.
Im Ergebnis können je nach Auslastung im Stromnetz sowie Angebot und Nachfrage von Endverbrauchern beispielsweise:
- auf Quartiersebene bestimmte private Verbraucher (z.B. alle Kühlschränke) kurzzeitig „abgeschaltet“ werden
- elektrische Großspeicher geladen oder entladen werden
- mit Power-to-Heat aus Strom Wärme erzeugt und thermische Energie gespeichert werden
- durch Schnellladevorgänge überschüssiger Strom „aus dem Netz gezogen“ werden
- Erzeugungsanlagen „zugeschaltet“ oder Verbraucher „abgeschaltet“ werden
Die am virtuellen Kraftwerk teilnehmenden Endverbraucher erhalten hierfür eine Vergütung. So können die Menschen, insbesondere auch Mieterinnen und Mieter, an der Energiewende teilhaben und konkret profitieren.
Wohnkomplex mit DDR-Typenbauten als Musterquartier
Die von den Forschenden entwickelten wissenschaftlichen und technischen Lösungen sollen in einem Wohnquartier aus vier elfgeschossigen DDR-Typenbauten im Stadtteil Jena-Lobeda erprobt werden. Dort wird praktisch untersucht, wie und ob mittels einer intelligenten Steuerung eine Einsparung von thermischer und elektrischer Energie und folglich auch von Betriebskosten für die Mieterinnen und Mieter erreicht werden kann. Zunächst sollen einzelne Musterwohnungen mit Elementen des smarten Wohnens ausgestattet und in die virtuelle Kraftwerksstruktur eingebunden werden. Später könnten dann alle rund 290 Wohnungen als „intelligente“ Wohnungen integriert werden.
„Intelligente“ Wohnungen als Teil des virtuellen Kraftwerks
Als Wohnungsausstattung sind unter anderem Sensoren für energetische Messungen und elektronische Heizkörperstellventile geplant. So sollen bessere Prognosen über den Energiebedarf erstellt und die Möglichkeiten zur Heizungssteuerung besser genutzt werden. Weiterhin sind steuerbare Steckdosen, beispielsweise für den Kühlschrank, geplant, um im Falle einer drohenden Stromnetzüberlastung diese vordefinierten Verbraucher gezielt kurzzeitig vom Netz trennen zu können. Die dafür nötige Smart Home-Lösung bringt der Verbundpartner Brunata Metrona gemeinsam mit der Westsächsischen Hochschule ins Projekt ein. Zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Nutzung erneuerbarer Energien sind Photovoltaikmodule zur Erzeugung von Mieterstrom geplant.
30 Prozent Energieeinsparung allein durch intelligentes Heizen
Mit dem Ansatz der Digitalisierung und differenzierter Sanierung hat jenawohnen bereits im deutlich kleineren Projekt „Smartes Quartier Jena-Lobeda“ gute Erfahrungen gesammelt. Hier wurde in einem DDR-Plattenbau eine Fugensanierung umgesetzt, die Fernwärme-Heizungsanlage von einem Einrohr- auf ein Zweirohrsystem umgestellt und eine intelligente digitale Heizungssteuerung auf Wohnungsebene installiert. Im Ergebnis konnte der Wärmebedarf um circa 30 Prozent pro Quadratmeter Wohnfläche gesenkt werden. 2019 erhielt das Projekt beim Bundeswettbewerb „Stadt.Land.Digital“ einen Sonderpreis.
Begeisterter Bundeswirtschaftsminister beim Digital-Gipfel
Die Erfahrungen aus diesem Projekt bringt Thüringens größter Vermieter jenawohnen nun in das Reallabor der Energiewende ein. Allerdings geht der Ansatz von JenErgieReal noch einen Schritt weiter: Denn das virtuelle Kraftwerk bezieht neben dem Wärmeverbrauch einer Wohnung auch deren Stromverbrauch mit ein und nimmt über den privaten Energieverbrauch hinaus die gesamte städtische Stromversorgung in den Blick. Beim Digital-Gipfel der Bundesregierung 2023 konnten die Stadtwerke das Projekt als best practise-Beispiel für Digitalisierung als Schlüssel zur Energiewende u.a. einem begeisterten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck präsentieren.
Praktische Umsetzung startet im kommenden Jahr
Mit seinem ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatz versteht sich JenErgieReal als Blaupause für eine wirtschaftliche und sozial akzeptierte klimaneutrale Energieversorgung in Städten.
Noch stehen die Forschenden allerdings ganz am Anfang ihrer auf fünf Jahre angelegten Arbeit. Nach dem Projektstart im November 2022 konnte inzwischen die Machbarkeitsanalyse abgeschlossen werden. Aktuell läuft die Konzeptentwicklung und deren prototypische Erprobung. Daran schließt sich ab 2025 die praktische Phase an, in der die entwickelten Konzepte vor Ort in Jena umgesetzt werden. Als langfristiges Ziel sollen mit den Erkenntnissen aus JenErgieReal die technische Infrastruktur sowie das virtuelle Kraftwerk auf die gesamte Stadt Jena skaliert und die Verbindung von Wirtschaftlichkeit und Klimaneutralität hergestellt werden. Mit seinem ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatz versteht sich JenErgieReal als Blaupause für eine wirtschaftliche und sozial akzeptierte klimaneutrale Energieversorgung in Städten.
Das Projekt
Das Projekt JenErgieReal ist eines von 20 Gewinnerprojekten im Ideenwettbewerb Reallabore der Energiewende des Bundeswirtschaftsministeriums. Unter 90 eingereichten Ideen schaffte es JenErgieReal 2019 als einziger Thüringer Beitrag in die Runde der förderfähigen Vorhaben. Nach einer umfangreichen Antragsphase konnte die Projektarbeit im November 2022 offiziell starten. Zum Projektauftakt übergab Staatssekretär Christian Maaß vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz einen Förderbescheid über 20,4 Mio. €. Bis 2027 beläuft sich das Projektvolumen für Forschung und Investitionen aller acht Verbundpartner auf mehr als 41 Mio. €. Insgesamt sind Investitionen von rund 17 Millionen Euro vor Ort in Jena geplant.
Weitere Informationen finden sich auf der Website des Projekt.
Thomas Melzer
vor 5 MonatenLink auf website des Projektes funktioniert nicht; bitte aktualisieren