Die deutsche Gesellschaft diskutiert so intensiv wie nie zuvor über den Klimaschutz und über die richtigen Wege, damit Deutschland seinen angemessenen Beitrag zur Bekämpfung des globalen Klimawandels leistet. Eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Kontroverse dabei betrifft die Frage des Verhältnisses von Klimaschutzpolitik und zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklung. „Klimaschutz ja, aber nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie/der wirtschaftlichen Entwicklung/unseres Wohlstands“, so lautet – explizit oder implizit – das Paradigma, das sich durch viele Artikel, Posts und Talkshowbeiträge zieht. Immer wieder wird dabei auch angeführt, dass schon jetzt sowohl Haushalte wie Unternehmen aufgrund der EEG-Umlage fast die höchsten Strompreise in Europa, ja weltweit zahlen.
Nun ist diese Fragestellung nicht neu, und daher waren die Auswirkungen von politischen Rahmensetzungen gemäß den Klimazielen der Bundesregierung auf das Bruttoinlandsprodukt/die Zahl der Arbeitsplätze etc. bereits Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Studien[1]. Methodisch besonders gründlich hat der BDI in seiner Studie „Klimapfade für Deutschland“ das Thema untersucht. Er kommt zu einem eindeutigen Ergebnis. Die Auswirkungen sind eher positiv, in jedem Fall aber geringfügig: sie bewegen sich im Jahr 2050 in einem engen Korridor von +5 % im Vergleich zum Referenzszenario ohne Klimaschutzmaßnahmen[2]. Die anderen Studien kommen zu (bei Unterschieden im Detail) im Kern zu gleichen Erkenntnissen: Die negativen und positiven Effekte von Klimaschutzmaßnahmen halten sich in etwa die Waage[3].
Ein wesentlicher Grund für diesen Befund ist die Tatsache, dass moderat höhere Energiepreise die deutsche Wirtschaft kaum beeinflussen. Nimmt man die energieintensiven Branchen (v.a. Stahl, Metalle, Grundstoffchemie) – die ohnehin von den entsprechenden Belastungen ausgenommen sind und ausgenommen bleiben müssen – heraus, so beträgt der Anteil der Energieausgaben an den Gesamtkosten der Unternehmen im Mittel nur etwa 1 %. Daraus folgt: Die Strompreise für die deutschen Unternehmen sind zwar vergleichsweise hoch, aber gegenüber anderen Standortfaktoren und Einflüssen spielt dies (bis auf Ausnahmen) nur eine sehr untergeordnete Rolle für die internationale Wettbewerbsfähigkeit[4].
Sowohl BDI als auch die DENA kommen bezüglich der Energiepreise übrigens zu dem Schluss, dass sie bis 2050 auch bei ambitionierter Klimapolitik im Mittel real nur um maximal ca. 1 % pro Jahr steigen. Damit wird sich die Relation Energiekosten/BIP – wie schon in den letzten 30 Jahren (s. Abb.) – auch in der Zukunft nur wenig verändern.
Die negativen und positiven Effekte von Klimaschutzmaßnahmen halten sich in etwa die Waage.
Aber selbst wenn man einmal annimmt, dass diese Studien zu optimistisch sind und eine konsequente Verfolgung der Klimaschutzziele z.B. 15 % Wirtschaftswachstum bis 2050 kosten würde – was bedeutet das? Es wäre in etwa so, als hätten wir heute das BIP des Jahres 2010 (das real etwa 15 % unter dem von 2018 lag). Wäre das wirklich ein Problem? War die Lebensqualität in 2010 in irgendeiner Hinsicht signifikant schlechter, haben wir uns spürbar weniger leisten können, sei es als Haushalte oder als Staat? Es dürfte schwerfallen, das überzeugend zu begründen.
Eigentlich muss man aber argumentativ noch einen Schritt weitergehen. Selbst wenn auch diese Annahme sich noch als zu optimistisch erweist, selbst wenn wir also in den nächsten 10, 20 Jahren mit Klimaschutzmaßnahmen wirtschaftlich spürbar schlechter dastehen als ohne – wäre es das nicht wert? Eigentlich bedeutet die eingangs zitierte Grundhaltung ja: „Wir sind nicht bereit, zu Gunsten der kommenden Generationen wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen“. Wie muss dieser Satz klingen in den Ohren einer/s 16, 20-jährigen?
Fazit
- Erstens gibt es, quantitativ gesehen, nach heutigem Stand der Erkenntnis nur einen ziemlich kleinen Zusammenhang zwischen volkswirtschaftlicher Entwicklung und Klimaschutzpolitik in den nächsten Jahrzehnten. Andere Faktoren spielen für das zukünftige Wirtschaftswachstum und die Zukunft der Arbeit eine ungleich größere Rolle.
- Zweitens kann man, qualitativ gesehen, spürbare negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wohlergehen praktisch ausschließen.
- Und drittens: Nicht nur beruht der Satz: „Klimaschutz ja, aber nicht auf Kosten der volkswirtschaftlichen Entwicklung“ auf einer falschen Hypothese – nämlich dass es hier überhaupt einen signifikanten (negativen) Zusammenhang gibt – , er sendet auch ein fatales Signal an die junge Generation.
[1] BDI (2018), Klimapfade für Deutschland; DENA (2018), Leitstudie Integrierte Energiewende; BMWi (2018), Gesamtwirtschaftliche Effekte der Energiewende; vgl. auch das Sondergutachten des Sachverständigenrates „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ vom Juli 2019.
[2] Negative volkswirtschaftliche Effekte durch den Klimawandel sind hier nicht enthalten.
[3] Natürlich ist dabei vorausgesetzt, dass die entsprechenden Maßnahmen vernünftig sind im Sinne von Effektivität, langfristige Berechenbarkeit / Vermeidung von Strukturbrüchen, Aufkommensneutralität bei CO2-Steuern, Ausnahmeregelungen für die energieintensive Industrie zur Vermeidung von Carbon Leakage, Technologiemix, u.ä.. Diese Grundsätze sind aber politisch nicht umstritten und können daher vorausgesetzt werden.
[4] Ähnliches gilt für die privaten Haushalte: Die EEG-Umlage macht deutlich unter 1% der gesamten Konsumausgaben aus. Daher spielen energiewendebedingt höhere Energieausgaben für das Thema soziale Gerechtigkeit gegenüber anderen politisch bestimmten Faktoren nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Videotipp der Jungen Stiftung: Energie-Reporter Kai Ostholthoff zum Thema Konsumverhalten
In seinem jüngsten Video-Beitrag beschäftigt sich Energie-Reporter Kai Ostholthoff mit dem Konsum- bzw. Wegwerfverhalten.
Max Mustermann
vor 5 JahrenZiemlich viel Glaskugel im Beitrag.
Was Sie vergessen, sind die Auswirkungen die die mit der Klimapolitik einhergehenden Veränderungen für die Bevölkerung bedeuten. Da sind die Gelbwesten in FR nur ein kleiner Vorgeschmack.