Ist Technologie die Antwort auf jede Herausforderung? Bericht vom Debatten-Abend zu Negativemissionen

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Redaktion

Stiftung Energie & Klimaschutz
27. Juni 2023
Foto: Wolfgang List

Sind sie unsere letzte Hoffnung? Bringt eine neue Technologie den Durchbruch? Oder handelt es um ein geschicktes Ablenkungsmanöver von der Aufgabe, jetzt und schnell CO2 einzusparen? Über Negativemissionen wird viel gesprochen. Doch wie so häufig in öffentlichen Debatten bleibt vieles im Ungefähren: „Nix genaues weiß man nicht.“ Daher war es an der Zeit für einen Debatten-Abend über Sinn und Unsinn von Negativemissionen und eine Einordnung der verschiedenen Technologien.

Unser Wald büßt Fähigkeit zur CO2-Speicherung ein

Wir Menschen können nicht nur CO2 emittieren, sondern verfügen auch über diverse Möglichkeiten, der Atmosphäre aktiv dieses CO2 wieder zu entziehen. Der live zugeschaltete Podiumsteilnehmer Thomas Hickler ist Professor für Quantitative Biogeographie am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt. Er hat an mehreren Berichten des Weltbiodiveritäts- und Weltklimarats mitgeschrieben. Negativemissionen, so Hickler, brächten uns der Einhaltung des Pariser Klimaziels nicht näher. Laut IPCC bräuchte es in ca. 20 Jahren eine Reduktion um 10 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr, um am Ende Netto Null zu erreichen. Es sei derzeit unmöglich, weil technisch nicht machbar und auch nicht bezahlbar, eine solche Menge CO2 der Atmosphäre wieder zu entziehen. Selbst bei den Natur basierten Optionen der CO2-Reduktion durch Baumpflanzungen sowie Renaturierungen von Mooren und Flussläufen werde das Potential häufig überschätzt. So verliere der deutsche Wald durch die Trockenheit an Aufnahmekapazität von CO2. Seit 2008 sei sich durch die Waldschäden 60 Mio. Tonnen CO2 freigesetzt worden. Statt über die Anpflanzung von Wald zu Negativemissionen solle man sich darauf konzentrieren, die vorhandenen Wälder nicht weiter zu zerstören.

Anders zu bauen wird die Welt nicht retten

Dem pflichtete Christine Lemaitre von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.) bei. Die promovierte Bauingenieurin ist Mitglied im Board of Directors des Cradle to Cradle Products Innovation Institutes und Fachfrau für Nachhaltigkeit beim Bauen. Gleich zu Beginn ihrer Ausführungen stellte sie klar: „Anders zu bauen wird die Welt nicht retten.“ Grundfehler der Menschheit sei, angesichts der Gefahren des Klimawandels zu lange zu warten, zu reden und nicht ins Handeln zu kommen. Der bessere Weg als Abfall zu vermeiden, sei ihn erst gar nicht entstehen zu lassen. So sei es auch beim CO2. Die Debatte um Negativemissionen, so sei ihr Eindruck, befördere den Irrglauben, wir könnten so weiter machen wie bisher. Die Ingenieure würden schon irgendwie eine Technologie entwickeln, die das Problem löse. „Techology is the answer. What´s the question?“

Artenvielfalt bringt Stabilität

Bedenken, dass die technische Diskussion über Negativemissionen die Debatte über den Klimawandel in die falsche Richtung lenkt, hat auch
Johannes Enssle. Der Landesvorsitzende des NABU Baden-Württemberg hat Forstwissenschaft und Global Change Management studiert. Die Wiederherstellung der Moore z.B. sei eine gute Maßnahme, einen natürlichen Lebensraum wieder herzustellen und große Mengen CO2 zu binden. Aber dabei allein auf den Aspekt der Negativemissionen zu schauen, verkürze die Zusammenhänge. Die Renaturierung von Mooren und Flußauen koste viel Geld, bringe aber auch einen starken Beitrag zum Artenschutz. Wir bräuchten Artenvielfalt. Intakte ökologische Lebensräume lebten von der Vielfalt. Vielfalt bringe Stabilität. In Zeiten des Klimawandels sei das für ökologische Systems hoch bedeutend.

Überhaupt seien es die ökologische Systems, die uns bisher vor den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels bewahrt hätten. 55 Prozent der anthropogenen Treibhausgase hätten das Meer, der Boden und die Pflanzen abgefedert, so dass sie nicht das Treibhausklima weiter anheizen würden. Mit dieser Pufferwirkung könne es aber nun vorbei seien. Das Meer ist CO2 gesättigt, der Ph-Wert sinkt, Korallen und alle Lebewesen mit einer Kalkschale wie die Muscheln sterben. Und beim Wald wandere die Hälfte der entnommenen Mengen direkt in den Ofen.

Nicht nur auf die CO2-Wirkung schauen

Holz anzubauen und mit Holz zu bauen, ist prinzipiell eine gute Sache. Das würden die meisten Menschen denken. Der Wahrheit komme man aber nur auf die Spur, so Christine Lemaitre, wenn man genauer hinschaue. Es gebe keine Pauschallösungen. Das tolle, aus Holz gebaute Hochhaus in Hongkong sei unter dem Aspekt des Klimaschutzes nicht zu vertreten, wenn das Holz aus Österreich komme. Wenn der Klimaschutz beim Bauen höchste Priorität habe solle, dann gelte es mehrere Aspekte zu betrachten. Einer entscheidender sei Regionalität. Ein anderer die Langlebigkeit. Gutes Bauen unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes bedeute auch, weniger zu bauen.

Auch ihn störe es, wenn alle ökologischen Zusammenhänge auf die CO2-Wirkung reduziert würden. Der Wald, so Prof. Hickler, sei kein Game-Changer beim Klimaschutz. Ein gesunder Mischwald und andere Systeme brächten uns vielfältige ökologische Dienstleistungen. Ganz unabhängig vom Klimawandel gelte es in den Waldumbau zu investieren. Nötig sei mehr Vielfalt. Johannes Enssle verwies in diesem Zusammenhang auf die Moore: „Wir brauchen sie in Zeiten der Trockenheit und der Extremwetterereignisse auch als Wasserspeicher.“ Und je trockener es werde, desto schwieriger sei, Moore zu schützen.

Technologie? Jetzt schnell in die Gänge kommen

Wenn wir das Klima effizient schützen wollen, müssen wir bei unserem Verhalten und unserer Politik anfangen. Dass der Regenwald in Brasilien abgeholzt werde, um Futtermittel anzubauen, sei hinlänglich bekannt. Nachgefragt würden diese Futtermittel in Deutschland und der EU. Christine Lemaitre betonte in ihrem Statement, dass wir viel diskutieren würden, aber bisher noch keinen Verzicht geleistet hätten. Deutschland stehe bei der Liste der größten Klimasünder in der Welt auf Platz 6. „Wir müssen jetzt in die Gänge kommen.“ Noch vor 20 Jahren, fügte Prof. Hickler an, war Deutschland global bekannt und wurde auch ein Stück bewundert für „The german Energiewende“. Dieses Ansehen sei geschwunden. Wir seien zurück gefallen und seien alles andere als Vorreiter.

Negativemissionen könnten helfen, den nicht zu vermeidenden Res der menschlichen Freisetzung von Treibhausgasen wieder aus der Luft zu holen. Aber, so die drei Diskutantinnen einmütig, bis dahin müssten wir unsere Hausaufgaben bei der CO2-Vermeidung erledigen. Und zwar schnell.

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