Wasserstoff-Hochlauf: Das Glas ist halb voll

Gastautor Portrait

Nils Aldag

Mitgründer, CEO und Geschäftsführer der Sunfire GmbH

Nils Aldag ist Mitgründer, CEO und Geschäftsführer von Sunfire, einem weltweit führenden Elektrolyse-Unternehmen mit Hauptsitz in Dresden. Sunfire entwickelt und produziert industrielle Elektrolyseure basierend auf Alkali- und auf Festoxidtechnologien (SOEC), die eine nachhaltige und kostengünstige Produktion von erneuerbarem Wasserstoff und Synthesegas ermöglichen. Diese Elektrolyseure sind ein zentraler Schlüssel für die grüne Transformation und für Sunfires Vision einer Welt ohne fossile Energien. Durch erfolgreiche Finanzierungsrunden und öffentliche Fördergelder baut Sunfire mit seinen mehr als 500 Mitarbeitenden derzeit die industrielle Serienfertigung von Elektrolyseuren auf. Nils Aldag wurde 2020 von der Europäischen Kommission in die CEO-Gruppe der European Clean Hydrogen Alliance aufgenommen. Als Vorstandsmitglied des führenden Verbands Hydrogen Europe hilft er zudem, die Interessen der Wasserstoffindustrie und ihrer Akteure zu vertreten und Wasserstoff als Zukunftsreibstoff zu fördern. Zuvor war er von 2021 bis 2023 als stellvertretender Vorsitzender der Renewable Hydrogen Coalition in Brüssel aktiv. 2019 wählte das Magazin Capital Nils Aldag für seine „Top 40 unter 40“ aus – den wichtigsten Talenten, die Deutschland prägen. Seit 2020 zählt er zu den Young Leaders der Atlantik-Brücke e.V. Nils Aldag studierte Betriebswirtschaft und Wirtschaftsrecht an der European Business School und an der Universidade Nova de Lisboa. Er besitzt einen deutschen und einen französischen Pass und spricht beide Sprachen fließend.

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06. November 2023
Bild: Sunfire GmbH

Die Debatte um den Wasserstoff-Hochlauf in Deutschland und Europa hat manchmal etwas Philosophisches. Wir diskutieren über die Henne-Ei-Problematik oder ob beim Hochlauf das Wasser(stoff)glas jetzt halb voll oder halb leer ist. Jüngstes Beispiel für diese Unentschiedenheit war die Vorlage der „Global Hydrogen Review 2023“ der Internationalen Energie-Agentur IEA. In der Überschrift hieß es: „Wasserstoffproduktion kann bis 2030 massiv wachsen, aber Kostenprobleme behindern die Einführung.“ Auf der einen Seite liegt weltweit die potenzielle Wasserstoff-Produktion bis 2030 aus angekündigten Projekten um 50 Prozent größer als noch vor einem Jahr. Auf der anderen Seite bremsen noch Ausrüstungs- und Finanzierungskosten, unzureichende Regulierung und zögerliche staatliche und private Produktionsförderung den Hochlauf. Und natürlich ist es auch ärgerlich, wenn die EU-Freigabe für die IPCEI-Projekte mit einem Investitionsvolumen von 33 Mrd. Euro seit zwei Jahren überfällig ist und jetzt Projekte vor einem möglichen Aus stehen.

"German Optimism" statt Verzagtheit

Als Sunfire wollen wir uns von dem allen nicht bremsen lassen. Wir setzen auf German Optimism statt Verzagtheit. Und dazu gibt es aus unserer Sicht auch gute Gründe. Um ein paar Beispiele zu nennen:

Beim GET H2 Nukleus-Wasserstoffprojekt auf dem Gelände des RWE-Gaskraftwerks in Lingen (Ems) wurde die Genehmigung zum Bau und Betrieb der ersten beiden 100-Megawatt (MW)-Elektrolyseure innerhalb von nur sieben Monaten erteilt – trotz 2.250 Seiten Antragsunterlagen. Vor wenigen Tagen hat dort der Hochtemperatur-Festoxid-Elektrolyseur (SOEC) von Sunfire den ersten Wasserstoff produziert.

Beim Energiepark Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt hat im Juni die finale Investitionsentscheidung den entscheidenden Startschuss für die Realisierung des innovativen Wasserstoffvorhabens gesetzt.

Von den 15 führenden Elektrolyseunternehmen haben zwei Drittel ihren Sitz in Europa. Mit führenden Akteuren wie Thyssenkrupp/Nucera, Linde/ITM und Sunfire ist Deutschland besonders gut aufgestellt.

Mit dem Wasserstoffmarkt bildet sich gerade ein ganzes Ökosystem heraus, in dem Industriepartner eng zusammenarbeiten und neben den Anlagenherstellern auch hunderte von mittelständischen Zulieferern mit vollen Auftragsbüchern rechnen können. Sunfire kooperiert etwa mit dem Autozulieferer Vitesco, um schneller unsere Druck-Alkali-Elektrolyseure zu bauen.

Entwicklungen wie diese zeigen: Die Wasserstoffwirtschaft ist nicht das vermeintliche Anhängsel der Energiewende, sondern hat das Potential neue starke Industriezweige herauszubilden.

Die Stärken des Industriestandortes Deutschland

Für uns ist das Glas halb voll. Die Elektrolyseurindustrie steht in den Startlöchern, um die nächste saubere industrielle Erfolgsgeschichte für Europa zu werden.

Nils Aldag

Dafür ist die Elektrolyseindustrie ein hervorragendes Beispiel. Sie ist eine Jahrhundertchance für den Standort Deutschland.

Denn wir knüpfen an die Stärken des Industriestandortes Deutschland an: Mit unserem Know-how im Maschinen- und Anlagenbau, bei der Galvanik und in der Automatisierung. Wir können auf starke Netzwerke zwischen Industriepartnern und zwischen Industrie und Wissenschaft zurückgreifen. Und schließlich zeichnet uns die Differenzierungsfähigkeit aus: Anstatt reiner Standardisierung können wir im globalen Wettbewerb durch passgenaue Lösungen punkten. Das ist wichtig, denn Elektrolyseure sind – anders als etwa Solarmodule – hochkomplexe Anlagen.

Damit der Hochlauf der Wasserstoff-Industrie ein Erfolg wird, braucht es aber einen politischen Kickstart. Denn wir müssen allein in Deutschland nun in gut sechs Jahren die Elektrolyse-Kapazitäten ausbauen, wofür die PV-Industrie beispielsweise 20 Jahre gebraucht hat. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe – für Technologieanbieter, aber auch für Projektentwickler.

Was konkret getan werden muss

Wir brauchen (und so sieht es die Nationale Wasserstoff-Strategie auch vor) einen starken Heimatmarkt, wenn wir weltweit wettbewerbsfähig sein wollen.

Auf EU-Ebene liegen nun verpflichtende Quoten für den Einsatz von Wasserstoff in Industrie, Raffinerien, Schifffahrt und Luftverkehr vor. Diese Vorgaben müssen schnell in nationales Recht umgesetzt werden. Hierbei können wir uns keine politischen Grabenkämpfe leisten.
Beim Thema Finanzierung brauchen Technologieanbieter und Projektentwickler langfristige, standardisierte Finanzierungsinstrumente. Erste Initiativen wie H2Global oder die European Hydrogen Bank wurden in den letzten Monaten gestartet. Die Bundesregierung muss sich nun dafür einsetzen, dass sich diese Instrumente etablieren und mit einer soliden Finanzierung ausgestattet werden.

Von Meister Yoda in „Star Wars“ gibt es den schönen Satz: „Tu es oder tu es nicht. Es gibt kein Versuchen.“ Wir als Elektrolyseur-Hersteller wollen tun. Für uns ist das Glas halb voll. Die Elektrolyseurindustrie steht in den Startlöchern, um die nächste saubere industrielle Erfolgsgeschichte für Europa zu werden.

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